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Mal wieder eine Nacht ohne Schlaf

Es ist jetzt kurz vor Sieben, ich komme gerade nach Hause und habe eine Tüte frische Brötchen mitgebracht. Die Kinder freuen sich: „Toll, daß Du so früh aufgestanden bist!“

Ja toll! Ich war noch gar nicht im Bett. Schon so gegen 22 Uhr war bei mir das Sandmännchen vorbeigeschippert und hatte seine lästige Last in meine Augen gestreut und es war klar, daß ich bald ins Bett gehen würde. Doch leider hatte ich die Rechnung ohne Freifrau von Bodenwisch gemacht, die gestern am späten Abend in einem Pavillon hinter ihrem Haus mit dem Gesicht voran tot in ihre Kakteensammlung stürzte. Die mit 97 Jahren wirklich hochbetagte Dame hatte zwei Schlaganfälle hinter sich und es war auch für die Angehörigen nur eine Frage der Zeit, daß sie sterben würde. Denn trotz ihrer Vorerkrankung paffte und trank die alte Dame wie ein junger Matrose. Das zumindest erzählte mir gestern Abend spät der Sohn. Herr Baldur von Bodenwisch ist selbst schon ein älteres Semester und bringt wohl an die 76 Jahre zusammen. Er hat sein Vermögen mit dem Verleih von Handtuchrollen für Gaststätten und dem Vertrieb von Wischmoppwagen für die Büro- und Krankenhausreinigung gemacht.

Ganz anders als erwartet verlief das Beratungsgespräch sehr angenehm. Herr von Bodenwisch und auch sein Sohn, ein Rechtsanwalt aus Niedersachsen, waren kein bißchen herablassend, sondern erfrischend normal und entschuldigten sich Dutzende von Malen, daß sie mich so lange aufhielten und alles besprechen wollten.
Es werden sehr viele Trauergäste erwartet, es ist eine große Trauerfeier geplant, ich muß mir allerhand notieren, weil es viel zu berücksichtigen gibt. Und dennoch werden wir nicht viel davon haben, die alte Dame wird nach dem Einbetten in die Nähe der niederländischen Grenze überführt, wo die Familie ihren Stammsitz hat. Einen eigenen Friedhof hat man nicht, aber traditionell werden alle verstorbenen von Bodenwischs auf dem dortigen Dorffriedhof bestattet.

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„Ich hätte ja lieber hier ein Grab“, seufzte ihr Sohn, gab sich dann aber pragmatisch: „Aber was sollen wir dreihundert Jahre eine Gruft auf dem Friedhof dort unterhalten, wenn wir nicht auch alle dort bestattet werden. Das Ding ist teuer genug.“

Sein Sohn, der Enkel der Verstorbenen, meinte: „Wenn wir da dann Blumen hinstellen, ist das gleich für alle unsere Verstorbenen und wir müssen nicht 30 Gräber in ganzen Land pflegen lassen.“

Aber wie gesagt: Es wird vieles an uns vorübergehen, außer der Überführung zu uns, dem Sargverkauf, der Innenausstattung, der hygienischen Versorgung und der zweiten Überführung nach Friesland wird alles ein Bestatter von dort übernehmen. Obwohl, immerhin machen wir alles, was einem Bestatter Geld bringt. Trotzdem, die Trauerfeier hätte ich auch gerne ausgerichtet. Das wäre bestimmt mal was anderes gewesen.

Als ich wieder nach Hause kam war es kurz nach drei und wenig später kamen unsere Fahrer mit Frau von Bodenwisch. Ein Fahrer ging nach Hause, Manni und ich machten uns an die Einbalsamierung der alten Dame, das geht auch nicht in zehn Minuten und als ich aus dem Keller kam, wurde es draußen schon hell. Ich bin dann Brötchen holen gegangen und habe mir eine Computerzeitschrift gekauft.

Heute werde ich erst ein wenig auf Chef machen und mich dann gegen zehn in meine Privatgemächer zurückziehen. Ob ich dazu komme, in der neuen Zeitschrift zu lesen, bezweifle ich. Vielleicht surfe ich aber auch noch ein bißchen im Web.


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Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 9. September 2008 | Revision: 28. Mai 2012

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Ulf
16 Jahre zuvor

Na dann gute Nacht. Ich hätte meine Schwierigkeiten, nach durchgemachter Nacht noch weiterzumachen…

RealMurphy
16 Jahre zuvor

Ebenfalls einen guten Tag (anstatt der Nacht)

Buchstabensalat
16 Jahre zuvor

Schlaf schön. Und nicht erst lesen – dann ist's meist mit dem nachgeholten Schlaf Essig.

Salat,

auch mit vielen durchwachten Nächten gesegnet

Matze
16 Jahre zuvor

Muss auch normale Leute geben, ne? 😉

Übrigens: Sollte ich es wider Erwarten in ein so hohes Alter schaffen, würde ich auch all die Dinge machen, die mir wichtig wären. Eine 97-jährige muss sich keine Sorgen mehr machen, ob sie (Lungen)krebs kriegt oder eine Leberzirrhose.

Louffi
16 Jahre zuvor

"Denn trotz ihrer Vorerkrankung paffte und trank die alte Dame wie ein junger Matrose."

Sehr sympathisch! 🙂

ein anderer Stefan
16 Jahre zuvor

Mit 97 ist es doch immer eine Frage der Zeit, wann der Betreffende stirbt, oder? Ich meine, in dem Alter kann jederzeit der Tod kommen, Vorerkrankung oder nicht.

Zia
16 Jahre zuvor

So wünsch ich mir auch mal zu sterben: Im hohen Alter inmitten meiner Pflanzen tot umfallen. Allerdings sollte die Entscheidung lieber zu Gunsten der Orchideenzucht ausfallen. Kakteen sind doch ein reichlich stacheliges Totenbett.

😉

Zia

Tanja
16 Jahre zuvor

@Zia

Wobei dir das dann ziemlich egal sein dürfe; den Menschen, die dich bergen müssen wohl eher nicht :D.

Rena
16 Jahre zuvor

Es sei der alten Dame gegönnt, wenn sie an Zigaretten und Alkohol noch ihre Freude hatte.

patsy
16 Jahre zuvor

Na immerhin ist sie aber TROTZ dieser Lebensweise schön alt geworden ;o)

erica
16 Jahre zuvor

von Bodenwisch – ich brech zusammen . :-))) . aber mal ne frage dazu: Muß das denn alles gleich in der selben Nacht abgehandelt werden? Kann man mit den Formalitäten nicht bis zum nächsten Tag warten?

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

Du bist zu beneiden.

So was gab es in Donaueschingen auch, vor kurzen wurde hier eine sehr bekannte und beliebte Adelige bestattet. Für die Paparazzi und die rosa Presse ein absolutes Highligth. Alles was Rang und Namen im örtlichen und überörtlichen Adel und volkstümlichem Showbuissiness hatte war da.

Für einen Bestatter ist es da doch eine Ehre einen Teil Geschichte zu schreiben und dabei gewesen zu sein. Da ist die Bezahlung Nebensache und nur schmückendes Beiwerk.

16 Jahre zuvor

Die Namenswahl hat mich sehr erheitert – "Baldur von Bodenwisch" klingt nach bester Micky-Maus-Manier.

16 Jahre zuvor

Bremen ist aber noch ein ganzes Stück weg von der niederländischen Grenze 😉




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