Geschichten

Mediaknödel

Bill und Penny sind Amerikaner und gute Freunde. So kam es, daß wir gestern zu Bills Geburtstagsfeier eingeladen waren. Etwa 15 Personen waren da, es gab jede Menge amerikanische Snacks zu essen, mein Favorit sind klitzekleine Hotdogs. Die sehen aus, wie eine kleine Backofenkroketten, nur daß innen drin ein kleines Stück Wiener-Würstchen (oder was Amis so für Wiener Würstchen halten) und etwas Sauce, Käse und Röstzwiebeln sind.

Mit ganz unschuldigem Augenaufschlag schob ich den fetten Käseauflauf beiseite und nahm mir nur so an die 170 von den vermeintlichen Kartoffelbällchen, was mir ein „Brav, Großer!“ von meiner Frau einbrachte. „Ja, nicht wahr, ich reiß mich wirklich zusammen, nur Kartoffelbällchen…“ Sie nickt und ich sehe in ihren Augen, daß sie mich in diesem Moment ob meiner Tapferkeit ganz besonders lieb hat.
Ich liebe sie auch, hey Bill, hast Du noch so 20 bis 30 von den Bällchen?

Bill hat zum Geburtstag eine Multimediazentrale geschenkt bekommen. Das ist ein kompletter PC, eingebaut in einen Bildschirm und optimiert auf die Wiedergabe von Medien. Gut, Fernsehen ging jetzt gestern noch nicht, da fehlt dem Gerät der passende HDMI-Anschluss, aber DVDs und CDs konnte man schon abspielen. Der Bildschirm ist einerseits ein Flachbildschirm, deshalb hängt er in Kopfhöhe an der Wand, andererseits ist es aber auch ein Touchscreen (Flach und Touch = Flatschscreen) und muss deshalb mit den Fingern bedient werden. Bill kann das, Penny ist aber zwei Köpfe kleiner und es sieht wirklich putzig aus, wenn sie vor dem Apparat hochhüpft, um irgendeine Stelle auf dem Bildschirm berühren zu können.

Werbung

Ich formuliere es mal vorsichtig: Penny hat eine sehr ausgeprägte Oberweite und es ist, besonders für Männer, ein durchaus sehenswertes Schauspiel, wenn sie so vor dem Flatschscreen herumhüpft.

Eine ganze Weile beschäftigt der Apparat die gesamte Geburtstagsgesellschaft. Ein blauer Fehlerbildschirm von Windows löst heftige Diskussionen darüber aus, was die Ursache dafür sein könnte, daß nun statt eines Musikvideos ein Hinweiskasten auftaucht, man müsse erst einen Treiber aus dem Internet herunterladen, damit Videos in diesem Format abgespielt werden können.

Irgendjemand dreht sich zu mir um und meint: „Du kennst Dich doch mit Computern immer so gut aus.“
Ich gucke, wer mich das gefragt hat, es ist „Knubbel“, der eigentlich Uwe-Herrmann heißt, und sich nach eigenem Bekunden in sämtlichen Bereichen der Technik auskennt.

„Wer sagt das?“, frage ich kauend zurück.

„Bei Dir läuft doch immer die ganze Technik.“

„Weil ich nicht so’n Windows-Quatsch habe.“

„Ach komm, Apple kocht auch nur mit Wasser, jetzt gib mal nicht so an.“

„Meinetwegen“, sage ich, werfe ein Wurstbällchen in Richtung Zimmerdecke, lege den Kopf in den Nacken und hebe das Bällchen dann geschickt vom Fußboden auf. „Aber mit diesem Windows, da kenne ich mich wirklich nicht aus. Bei Apple war iTunes schon drauf und das läuft seitdem reibungslos. Hab‘ da nie was einstellen oder verändern müssen.“

„Aber wo hast Du denn die Treiber her?“

„Hab ich mich nie drum gekümmert, die sind da schon dabei und was fehlt, das lädt und installiert der automatisch, glaub ich.“

„Ja aber für das WMZ-Format muß man doch den Treiber von Umi-Soft runterladen und über die Registry von Hand den Key einstellen. Bei mir hat das funktioniert.“

„Du, Knubbel, frag jemand anders, ich weiß es nicht.“

Penny hüpft immer noch und es sieht so aus, als wolle sie sich mit ihrer Oberweite selbst k.o. boxen.

Bill hat inzwischen einen Root-Beer-Float aufgesetzt, sechs Pfund Vanille-Eis schwimmen in einer großen Schüssel voller Root-Beer.
Meine Frau wirft mir einen warnenden Blick zu, ich mache eine abwehrende Handbewegung und gehe in einem extraweiten Bogen um die Eisschüssel, um mir noch so zwei, drei Dutzend von den kalorienarmen Bällchen zu holen. Inzwischen ist die zweite Ladung fertiggeworden, gefüllt mit einem Stück naturidentischer Peperoni und fettem amerikanischem Käseersatz.

Mittlerweile stehen etwa acht Personen vor dem Flatschscreen und tippen mit ihren Käsebällchenfingern auf dem Monitor herum.
Einer will einen Treiber installieren, ein anderer meint, man müsse einen Reboot durchführen und wieder ein anderer nimmt die CD aus dem Laufwerk und putzt sie mit einem Brillenputztuch.
Auf einmal, ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, tönt aus dem Multimedia-Flatsch etwas dünnlippiger Hardrock. Fetzige Bässe klingen anders.

Mir ist das inzwischen alles zu kompliziert geworden. Früher habe ich ständig irgendwas am Rechner geschraubt, verbessert und installiert. Die übelsten russischen Treiberhöhlen waren mir nicht fremd und was immer man basteln konnte, das habe ich gebastelt…
Aber heute? Ich habe für sowas keine Zeit mehr, habe auch keine Lust mehr, habe mich innerlich aus der Windows-Welt verabschiedet. Privat und beruflich habe ich Apple-Rechner, die verstehe ich, die verstehen mich, die laufen einfach so, da muß ich nichts dran machen. Musik auf der Anlage? Kein Problem, da klicke ich einfach auf das passende Symbol am Rechner und schon läuft die Musik da, wo ich es haben möchte.
Das sage ich auch zu Knubbel und der sagt wieder nur: „Angeber.“

Pffft, her mit den Käsebällchen!

„Sag mal, wieviele Kartoffelbällchen hast Du denn inzwischen schon gegessen“, will meine Frau wissen. Ich setze mein Unschuldsengel-Gesicht mit den Dackelaugen auf und sage nur: „Ganz viele.“

„Ach was bist Du tapfer, mein Großer.“

„Ja, nicht wahr?“

„Ich bin stolz auf Dich!“

„Ich hab Dich lieb.“

Schön, es ist so schöööön und es hätte schön bleiben können und ich hätte meine Frau sogar dazu gebracht, mir aus Mitleid ein bißchen vom Eis zu holen, da kommt dieser niederträchtige Republikaner Bill und fragt, ob ich noch ein paar von seinen Cheeseballs haben möchte.

Meine Frau dreht sich um, ganz langsam: „Cheeseballs? Habe ich das gerade richtig gehört? Du futterst die ganze Zeit schon fette Käseknödel und spielst mir den hungernden Mahatma vor?“

„Was? Die sind gefüllt? Ach herrjeh, hab ich gar nicht gemerkt, da siehste mal, wie geschmacklos dieses amerikanische Zeug ist.“

„Ach komm, Du hast genau gewusst, was da drin ist. Warte nur, Bürschchen, warte!“

Es war doch bisher so schön…

Der Computer im Flatschscreen hat sich aufgehängt und der Bildschirm ist jetzt nicht mehr blau sondern flackert in psychedelischen Streifenmustern.
Knubbel hat die Installations-DVD gefunden und installiert Windows neu. „Noch eine Stunde und 49 Minuten!“

So sitze ich da in der Ecke auf dem Stuhl neben der Katzenklappe, bin ein Außenseiter und einsam. Ich kenne mich mit Windows nicht aus, darf keine Käseknödel und kein Eis essen und von drüben blitzt mich meine Frau aus teuflischen Weiberaugen an. Ihr Blick sagt: „Du hast mich getäuscht, Du verfressener Lump!“

Ich werfe verzweifelte Dackelblicke in ihre Richtung, manchmal hilft das, aber an diesem Abend merke ich, dass eine ganze Woche Reiscräcker auf mich zukommt.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#apple #Ehe #frau #Käsebällchen #mann #windows

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)