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Milch statt Mettwurst

An und für sich war es da ziemlich sauber in der Wohnung, vielleicht nicht so steril und museal wie es sonst manchmal in Seniorenwohnungen ist, aber eben doch ziemlich sauber.

Frau Poppel will mich ins Wohnzimmer lotsen, ich lenke das aber -aus hinlänglich bekannten Gründen- in die Küche um und dort treffen wir auf Herrn Poppel, der gerade damit beschäftigt ist, sich eine Wurstsemmel zu schnitzen.

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„Moment, ich mach Ihnen Platz“, sagt er, fegt mit dem Ärmel seiner Strickweste die Krümel, die Wurstpelle und diverse Restbestandteile längst zurückliegender Mahlzeiten zusammen, baggert diese dann mit der einen Hand in die andere Hand und wirft die gesammelten Krustimente mit einem gekonnten Wurf in Richtung Küchenspüle.

„Hinnerk! Nicht ins Spülbecken, da kommen Ratten hoch“, beschwert sich Frau Poppel und wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. Ich kenne solche Blicke, die nur von Frauen erzeugen können. Dieser Blick bedeutet: ‚Ansonsten ist er ganz zahm, der tut nix, der will nur spielen.‘

Bei seinem Krümelweitwurf hat Herr Poppel aber die Spüle nur marginal getroffen, das Meiste hat sich über die daneben stehenden Kaffeetassen verteilt. Ja und genau von diesen Kaffeetassen nimmt Frau Poppel jetzt eine, füllt sie mit frisch aufgebrühtem Kaffee und stellt sie mir hin.

Ich stelle fest: Kaffee sollte einen eventuellen zum Verzehr bestimmten Fettgehalt besser aus Milch oder Sahne beziehen, nicht aus Mettwurstkrümeln…

Wenn man die Tasse aber leicht schräg hält, sollten die Krümel doch an den oberen Rand schwimmen und man kann am unteren Rand vorsichtig trinken. Doch jedes Mal, wenn ich das versuche, dreht sich der Flüssigkeitsspiegel kurz vor meinem Mund und die Krümel liegen unten, direkt vor meinen gespitzten Lippen.
Das sehe ich aber nur, weil ich ständig in die Tasse schiele.

„Hammse watt mitti Augen?“ will Herr Poppel wissen und seine Frau fragt: „Oder schmeckt Ihnen etwa unser Kaffee nicht?“

„Doch, doch, is‘ lecker! Ganz lecker!“ sage ich, tue aber nur so, als ob ich trinke und stelle die Tasse wieder hin.

Inzwischen hat der alte Poppel sein Runstück verzehrt, den Tisch abgeräumt und einen halben Quadratmeter Zeitungspapier ausgelegt. Er beginnt mit so einem Schiebeapparat Zigaretten zu stopfen. Vorne Überstehendes schneidet er fein säuberlich mit einem Pittermesser ab und pustet nach jedem Durchgang seine Stopfmaschine sauber.
Und wo landen die Tabakkrümel?

Richtig! In meiner Kaffeetasse.

Ich bin ja nicht pingelig, aber ich mag keinen Kaffee mit kleinen Fettaugen, aufgedunsenen, auf- und abschwimmenden Krümeln und Tabakresten.

„Nicht lecker?“ will Frau Poppel wissen und schiebt mir meine Tasse näher hin.

Soll ich jetzt den Kaffee ignorieren und einfach zum Tagesgeschäft übergehen und die Daten der verstorbenen Schwester der Frau Poppel aufschreiben?

„Trinken Sie!“ fordert mich Frau Poppel auf, „Der Kaffee wird ja ganz kalt.“

Ich merke schon, wenn ich den Kaffee nicht wenigstens ansatzweise trinke, werden die beiden Alten böse und schicken mich vielleicht weg und ich möchte den Auftrag nicht verlieren und nicht umsonst dahin gefahren sein.

Manchmal muß man tapfer sein und wer weiß, was dem Alten noch einfällt und was dann in meiner Kaffeetasse landet. Vielleicht will er sich noch den Ohrenschmalz rausmachen oder die Fußnägel schneiden…
Ich hätte das nicht denken sollen. Nein, ich hätte das nicht denken sollen, denn sofort verwandeln sich die Tabakkrümel in imaginäre Fußnägel und die Mettwurstbröckchen in Ohrenschmalz.

„Ist lecker!“ sagt Frau Poppel etwas ungehaltener und ich kann nicht anders, ich trinke das Gebräu tapfer aus.

Ab und zu muß man auch ein Märtyrer sein, oder so.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#mettwurst #milch #statt

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