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Neunzehnhundertsechsundsechzig

Wenn ich auf den eingetroffenen Papieren sehe, daß ein Verstorbener erst 1966 geboren war, dann ist das immer sehr bedrückend. Die Angehörigen hatten am Telefon nichts davon gesagt, daß es ein so junger Mann war.

Blasenkrebs soll er gehabt haben und es soll ein langer Kampf gegen die Krankheit gewesen sein. Später am Vormittag kommen seine Angehörigen und ich freue mich nicht besonders auf das Gespräch.

Freuen? Darf man sich auf Kundengespräche freuen, so als Bestatter? Aber natürlich, es ist mein Beruf, und es ist ein Beruf der mir Freude macht. Auf der einen Seite möchte ich jedes Mal aufs Neue beweisen, daß wir das gut können und auf der anderen Seite bin ich ja auch Kaufmann und rechne natürlich mit den Einnahmen aus jedem Sterbefall. Auch wenn wir die Leute nicht in Richtung einer teuren Bestattung drängen, ist es natürlich trotzdem so, daß es ein gutes Gefühl ist, wenn man gut verkauft hat und die Angehörigen sich die Sache etwas kosten lassen.

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Selbst bei einer Billigbestattung, wie man das heute so nennt, legen wir nicht drauf, deshalb ist es mir völlig egal, was die Kunden auswählen, aber es ist natürlich auch entspannend, wenn nicht nur nach der billigsten Variante geschaut wird.

Eine Familie hat am Freitagnachmittag schon angerufen und kommt heute um 14 Uhr vorbei. Sie hatten in der Zeitung eine Anzeige vom Institut „Abendmond“ gesehen, das mit folgendem Text wirbt:

„Eine gute Bestattung zum Festpreis
ab 647,- Euro
(zuzügl. Amt, Krema, Friedhof, Grab, Blumen und Zeitung)

Dort hatten sie angerufen und waren als Erstes ziemlich erstaunt, daß die Leute von Abendmond Hausbesuche nur gegen Bezahlung machen. Das koste „unter der Woche“ schon 80 Euro in der Stadt und 120 in der Region. Am Wochenende, also von Freitagmittag bis Montag 10 Uhr (!) das Doppelte.
Um dieses Geld zu sparen, wollte die Familie dann zum Institut „Abendmond“ hinfahren, doch das ging auch nicht. „Am Wochenende ist da niemand, das Gespräch ist umgeleitet, ich bin jetzt in L. und das ist 50 Kilometer entfernt“, bekamen sie zur Antwort. Also entweder teurer Hausbesuch oder bis Montag warten.
Ob denn der Preis von 647 Euro auch stimme, fragte die Familie noch und der Abendmond-Mann versicherte, daß das so „wie in der Zeitung steht kostet“, es kämen nur die Nebengebühren hinzu und, ach ja, das wäre natürlich nur der „Sozialsarg“ und alles ohne Trauerfeier, weil dann käme noch die Fahrt zum Friedhof dazu und das würde dann gleich 250 Euro teurer, außerdem könne man den Sozialsarg nicht vorzeigen, der sei nur „für gleich ins Feuer“. Für „zum Vorzeigen“ müsse man dann einen anderen Sarg nehmen, da koste der günstigste schon allein 750 Euro.

Die Angehörigen haben sich dann artig bedankt und die nächste Anzeige in der Zeitung genommen, das war unsere. In dieser Woche werben wir mit dem Satz: „Zuverlässig und preiswert, Bestattungen in allen Preislagen“ ohne einen „Festpreis“ zu nennen.
Vom Abendmond-Mitarbeiter genervt, hatte die Familie dann aber am Wochenende keine Lust mehr und wohl auch Angst, jeder Bestatter würde einen Riesenzuschlag für Wochenenddienst nehmen und haben sich für eine Beratung bei uns im Haus heute Nachmittag entschieden. Immerhin können wir den Verstorbenen schon mal holen, eine zugefaxte Vollmacht haben die unterschrieben.

So ist das oft! Die Leute wollen es gerne preiswert und geraten an eine Firma, die ihnen schon am Telefon zu teuer wird oder unsympathisch erscheint und dann geben sie die Suche auf, nehmen dann eventuell doch den allerteuersten Bestatter der Stadt, weil sie meinen, bei dem sei es zwar etwas teurer, aber da würde man wenigstens anständig behandelt.
Ich bin gespannt auf die Leute und werde versuchen, nett und günstig zu sein. Die sollen sehen, daß man auch bei niedrigen Preisen als Kunde wie ein König behandelt wird.

So habe ich also zwei Beratungen vor mir, einmal die mit den Leuten vom 1966er und die die bei „Abendmond“ abgesprungen sind.

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#neunzehnhundertsechsundsechzig

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(©si)