Menschen

Nur ein Viertelstündchen

„Könn’se da mal den Deckel aufmachen?“

Ich schaue die Kundin verwundert an. Wozu soll ich den Deckel eines Sarges in unserer Ausstellung öffnen? Die Särge sind zum Teil gar nicht ausgestattet, innen nur rohes Holz oder allenfalls eine Stoffbespannung. Damit die Leute sehen können, wie ein fertig ausgestatteter Sarg aussieht, steht drüben ein offener Sarg.

„Der ist noch nicht ausgestattet, da gibt es nichts Besonderes zu sehen“, sage ich deshalb und hoffe, die Kundin ist damit zufrieden, denn es wäre mühsam, den Sarg aus seiner Position in der dritten Etage des Hochregals herauszuholen.

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„Sie werden mir doch wohl diesen Sarg von innen zeigen können, das ist ja wohl das Mindeste.“

„Wenn Sie darauf bestehen…, aber ich sage es Ihnen gleich, der sieht innen nicht anders aus, als dieser hier vorne. Den könnte ich Ihnen öffnen, bitte schauen Sie selbst, so sehen die von innen aus, einfach nur Holz.“

„Ich will aber den da oben sehen!“

Manni und ich heben den Sarg aus dem Regal, draußen sind es 27 Grad, im Ausstellungsraum ist es zwar kühler, aber trotzdem schwitzen wir in unseren dunklen Anzügen.

„So, bittesehr, jetzt können Sie schauen. Sehen Sie, der ist innen genauso wie der da vorne, nur reines Holz.“

„Das hätten Sie ja auch gleich sagen können, ich muß ehrlich sagen, ich fühle mich von Ihnen nicht besonders gut beraten.“

„Ich weiß nicht, was Sie wollen. Sie möchten einen Sarg von innen sehen, ich zeige Ihnen einen, der gut erreichbar ist und sie möchten dann trotzdem diesen von da ganz oben sehen. Okay, wir holen den runter und öffnen ihn. Warum ist das jetzt keine gut Beratung? Mehr kann man ja wohl nicht tun.“

„Gott, sind Sie pampig.“

„Ich bin nicht pampig, erlauben Sie mal. Aber das war jetzt ein völlig unnötiger Akt und dann sind Sie auch noch unzufrieden.“

„Ich will nur sehen, wie dieser Sarg von innen aussieht, wenn meine Mutter dann mal drin liegt.“

„Noch lebt Ihre Frau Mutter ja…“

„Eben!“

„Was eben?“

„Die sitzt ja nebenan, die könnte doch mal eben…“

„Sie wollen jetzt aber nicht, daß sich Ihre Mutter da mal rein legt, oder?“

„Ich will vor allem, daß Sie mich ernst nehmen. Es ist unverfroren, wie Sie mit Ihren Kunden umspringen.“

„Ich glaube, Ihnen kann man nicht helfen.“

„Was?“

„Nix.“

„Dann machen Sie jetzt mal die Decke und das Kissen da rein, ich hol‘ mal meine Mutter.“

„Also wirklich, so etwas macht man doch nicht!“

„Warum denn nicht? Die soll sich doch auch wohlfühlen.“

Manni und ich gucken uns an, Manni tippt sich an die Stirn und zückt sein Handy.

„Was will’ste denn mit dem Handy?“ frage ich und er grinst: „Das muß ich einfach aufnehmen.“

Schon kommt die Kundin wieder herein, ihre Mutter folgt ihr auf dem Fuß.

„So, Muttschilein, jetzt leg Dich mal in den Sarg da!“

„Ingeborg, Du spinnst, ich leg mich doch in keinen Sarg! Du bist ja wohl total verrückt!“

„Aber warum denn nicht? Die Männer haben den extra für Dich da hingestellt. Jetzt leg Dich doch ma‘ rein!“

„Nichts da! Du bist bekloppt.“

„Willste Dich in einen anderen mal reinlegen.“

„Ich will überhaupt nicht in einen Sarg, jetzt nicht, morgen nicht, niemals! Ich will gar nicht sterben. So, und jetzt mach‘ daß Du hier fertig wirst und dann bringste mich wieder nach Hause. Ist ja wohl die Höhe!“
Die alte Dame stapft energisch hinaus.

Manni kommt und bringt eine Decke und ein Kissen aus dem anderen Ausstellungssarg und drückt mir das in die Arme. Ich weiß im ersten Moment nicht, was er von mir will, dann habe ich eine Idee.
Ich lege Kissen und Decke in den Sarg und mache eine einladende Handbewegung:

„Bittesehr, dann legen Sie sich doch mal kurz hinein, Sie können dann ja Ihrer Frau Mutter erzählen, wie das so war.“

„Was?“

„Nun, Sie wollten doch gut beraten werden. Wie könnten wir Sie besser und umfassender beraten, als wenn wir Ihnen anbieten, das alles einmal selbst auszuprobieren.“

„Sie glauben ja wohl kaum, daß ich mich da reinleg‘?“

„Doch.“

„Also wirklich, ich finde es eine Zumutung, wie Sie hier Ihre Kunden behandeln.“

„Wir nageln ihn auch nicht zu.“

„Was? Sie wollen dann auch noch den Deckel draufmachen?“

„Nur ganz kurz, ein Viertelstündchen oder so.“

Es machte nur „Zisch“ und „Wusch“, dann war die Kundin aus dem Ausstellungsraum gelaufen.
Noch bevor wir ihr folgen konnten, war sie mitsamt ihrer Mutter aus unserem Haus verschwunden.
Schade eigentlich, das hätte doch ein cooles Juhtjuhb-Video gegeben.

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(©si)