Das Ohr meiner Mutter
Nachdem mein Vater neunzigjährig gestorben war, erfreute sich meine Mutter noch ein paar Jahre ihres Witwendaseins. Sie war noch ziemlich fit, bei wachem Verstand und durchaus in der Lage, mit ihren 82 Jahren ihren Haushalt zu führen. Natürlich brauchte Sie Hilfe zum Beispiel bei Arztbesuchen oder beim wöchentlichen Einkauf, was meine Schwester und ich aber gerne untereinander aufteilten.
Nun, wie alte Leute so sind, als sie eines Nachts auf Toilette musste, machte sie kein Licht an, weil sie ja glaubte, sich in ihrer Wohnung gut genug auszukennen und so stolperte sie auf dem Rückweg und fiel mit dem Hinterkopf auf die Frisierkommode, was mit einem dicken Loch im Kopf endete. Sie blutete noch die ganze Nacht die Matratze voll und schleppte sich morgens ins Esszimmer, wo dann mittags meine Schwester sie fand und sofort den Notarzt alarmierte.
Im Krankenhaus wurden die körperlichen Blessuren zwar schnell geheilt, was aber stattdessen kam, damit hatte ich nicht gerechnet. Es begann damit, dass ich ihr einen Apfel ins Krankenhaus mitbrachte und sie mich bat, in die Küche zu gehen und ihr das kleine Küchenmesser mit dem Holzgriff zu holen, damit sie den Apfel schälen könnte! Sie war sich der Tatsache, dass sie im Krankenhaus lag, überhaupt nicht bewusst! Es folgte eine galoppierende Demenz, womit niemand gerechnet hatte, was aber nach einer schweren Kopfverletzung nicht ungewöhnlich zu sein scheint, wie ich erfuhr. Kurzum, eine Rückkehr in ihre Wohnung kam nach der Entlassung aus dem Krankenhaus überhaupt nicht mehr in Frage und so mussten wir uns schweren Herzens dazu durchringen, dass meine Mutter in ein Altersheim kam, weil wir alle berufstätig waren und keine Ganztagspflege organisieren konnten.
Ich bin sehr froh, dass mittlerweile das Thema Demenz in der Gesellschaft kein Tabuthema mehr ist, wie in früheren Zeiten, ich daher selbst schon viel darüber wusste und die Situation einordnen konnte, aber auch Gesprächspartner fand, mit denen ich mich ohne Scheu austauschen konnte, denn nichts ist schlimmer, als mit solch einer Situation alleine da zu stehen.
Unverhofft bekamen wir dann plötzlich eines Morgens einen Anruf vom Altenheim, dass meine Mutter in der Nacht verstorben sei. Was folgte, war der Ablauf, den jeder kennt, der schon einmal einen Verwandten zu Grabe tragen musste. Wir einigten uns schnell auf einen ortsansässigen Bestatter, der alles Notwendige in die Wege leiten sollte. Sogar die Umbettung meines Vaters an unseren jetzigen Wohnort in das neue Gemeinschaftsgrab meiner Mutter versprach er, zu organisieren. Es folgte eine Aufbahrung, eine Feuerbestattung und der Abschied von meiner Mutter, bei der wir erste Probleme mit dem Bestatter bekamen, denn Organisation schien nicht seine Stärke zu sein. Jedenfalls mussten wir ihm alles dreimal sagen und kontrollieren, ob es auch gemacht wurde. Nun gut. Schließlich war meine Mutter beerdigt und das Leben musste weitergehen.
Ein paar Tage nach der Bestattung rief meine Schwester an und fragte, ob ich wüsste, wo das Hörgerät meiner Mutter geblieben sei. Diese hatte nämlich kurz vor ihrem Tod von einem Hörgeräteakustiker ein Hörgerät leihweise zur Probe bekommen, damit sie testen konnte, ob sie damit zurecht käme. Wir sprachen nochmal im Altenheim vor, wo aber niemand etwas vom Verbleib des Geräts wusste. Auch beim Bestatter fragten wir nach, der natürlich auch versicherte, dass da kein Hörgerät gewesen sei. Der Hörgeräteakustiker wurde langsam massiv und verlangte den Gegenwert des Hörgeräts zurück, wenn wir das Leihgerät nicht mehr beibringen könnten. Verständlich. Immerhin ging es um rund 600 Euro. Wegen einer Kriegsverletzung war meine Mutter auf einem Ohr taub, daher kam nur ein Hörgerät zum Einsatz.
Irgendwann fiel mir ein, dass ich meine Mutter bei der Aufbahrung fotografiert hatte. Man mag darüber denken, wie man will, aber mir bedeutet es etwas, meine Angehörigen in diesem letzten Moment auch später nochmal auf Fotos ansehen zu können. Jedenfalls schaute ich mir die Bilder auf dem Computer nun genauer an und machte Ausschnittsvergrößerungen und – man ahnt es schon – da war im Ohr meiner aufgebahrten Mutter noch gut das Hörgerät zu erkennen!
Ich besprach mich darauf hin mit dem Bestatter, der vier Jahren davor meinen Vater beerdigt hatte und von dem ich sehr angetan war. Da wir in einer anderen Stadt wohnten, dachte ich, dass ein ortsansässiger Bestatter bei der Beerdigung meiner Mutter die bessere Wahl sei, aber wenn man mit einem Bestatter zufrieden ist, dann sollte man auch bei ihm bleiben, habe ich daraus gelernt, zumal die Entfernung nur gering war. Er beriet mich auch in dieser Situation, an der er nichts mehr verdienen konnte, und riet mir den Weg zum Anwalt.
Nachdem ich dem Anwalt die Geschichte erzählt hatte und das Foto vom Ohr meiner Mutter mit dem Hörgerät gezeigt hatte, kam alles schnell zu einem für uns guten Ende. Da ich noch die Rechnung für die Umbettung meines Vaters offen hatte, erklärte mein Anwalt gegenüber dem Bestatter Aufrechnung der gegenseitigen Forderungen und ich bezahlte die Bestatterrechnung, gekürzt um die Kosten des Hörgeräts, worauf der Hörgeräteakustiker natürlich Anspruch hatte.
Ich frage mich nur, wie die Geschichte ausgegangen wäre, wenn ich nicht zufällig dieses Foto gehabt hätte. Ich bin überzeugt, dass ich dann auf den Kosten des Hörgeräts sitzen geblieben wäre. Ich meine schon, dass es zu den Pflichten eines Bestatters gehört, solche Gegenstände den Angehörigen auszuhändigen, oder irre ich mich?
Diesen ausführlichen Bericht und auch das Foto sandte uns Leser Sigi ein, der auch die Genehmigung zur Veröffentlichung erteilte.
Ja, es ist die Aufgabe des Bestatters, den Leichnam sorgfältig zu untersuchen, ob sich Fremdkörper, wie zum Beispiel Schmuck, Prothesen o.ä an ihm befinden.
Hierüber ist mit den Angehörigen zu sprechen und die haben dann zu entscheiden, wie damit zu verfahren ist.
Schmuck und Hörgeräte, dieses Thema kennt jeder Bestatter.
Ein guter Bestatter arbeitet nach dem Vieraugenprinzip, hat also einen Mitarbeiter als Zeugen dabei, wenn er in einer Liste festhält, welche Wertgegenstände -und dazu gehört ein Hörgerät durchaus, denn das kann locker auch mal ein paar Tausend Euro kosten- der Verstorbene an sich trägt oder bei sich hatte.
Die Familie hat dann zu entscheiden, ob diese Gegenstände beim Verstorbenen verbleiben oder ob sie sie ausgehändigt haben möchten.
Aber hier ist Vorsicht geboten! Der Auftraggeber des Bestatters kann ein entfernter Verwandter, Freund oder Bekannter sein und darf somit u.U. gar nicht über Schmuck usw. entscheiden, weil dieser zur Erbmasse gehört!
Wir hatten bei einem benachbarten Kollegen den Fall, da hat die Lebensgefährtin eines Verstorbenen diesen mit dicken Ringen, einer teuren Luxusarmbanduhr und einer dicken, goldenen Kette beerdigen lassen.
Die nicht von dem Mann geschiedene, aber getrennt lebende, Ehefrau hat dann Ansprüche auf diesen Schmuck im Wert von über 45.000 Euro erhoben.
Die Geschiedene ging schließlich leer aus, weil an eine Graböffnung nicht zu denken war, die Behörde lehnte das als Störung der Totenruhe rundweg ab.
Die Frau, die tatsächlich Erbin des Verstorbenen war, konnte sich auch nicht an der Lebensgefährtin schadlos halten, die fraglos schadensersatzpflichtig gewesen wäre, schließlich hatte sie fast das gesamte Vermögen fast 2 Meter tief auf einem Friedhof versenken lassen. Doch die Frau war in ihr osteuropäisches Heimatland zurückgekehrt und nicht mehr greifbar.
Böse Zungen behaupteten später, der Bestatter und die Lebensgefährtin hätten mitnichten den Schmuck mit bestattet, sondern Halbe-Halbe gemacht.
Aber das ist nur gemunkelt worden und wurde nie zur Anzeige gebracht.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
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Das ist kein Einzelfall. Gerade Hörgerät werden vor dem Kauf oft mehrere Wochen bis mehrere Monate zur Probe getragen und können heutzuage auch sehr diskret und unscheinbar sein. Wobei ich noch nie ein Hörgerät oder auch ein Paar Hörgeräte im Wert von 10.000 Euro gesehen habe – und ich komme aus der Schweiz…