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Ohren auf!

„Warum eigentlich erzählen mir die Leute alles?“ Diese Frage, eine rhetorische wie ich zugeben muß, stelle ich Frau Büser und den versammelten Mitarbeitern.

„Sie sind eben so gemütlich und können gut zuhören“, meint Frau Büser und die berichtensunwürdige Antonia glotzt ein wenig dazu.

Sandy meint: „Ich stelle auch fest, daß die Leute bei den Beratungen oft den Drang haben, stundenlang erzählen zu wollen. Es kümmert sich ja sonst keiner mehr um sie.“

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Klar, das ist so. Normalerweise stellt man sich das, vor allem als jüngerer Mensch, ja so vor, daß die Leute zu einem Bestatter gehen, wie zu einem Schreiner, ihren Auftrag erteilen und der dann seine Dienstleistung abspult. Aber ganz so ist das heutzutage nicht mehr. Zunehmend erfüllt der Bestatter auch die Aufgaben eines Seelsorgers und leistet intensive Trauerarbeit, wenn er denn will.

Ich kenne nun leider zu viele Kollegen, die lassen diese Suche nach Gespräch gar nicht erst zu. Einer sagte mir mal: „Wenn ich das alles noch an mich heranlassen würde, dann würde mich das auch nach Feierabend noch so belasten, dann müßte ich bald in die Klapsmühle.“

Aber ich erlebe auch immer mehr Kollegen, die ihr Dienstleistungsangebot ganz bewußt auch um die Trauerarbeit erweitert haben und sich richtig viel Zeit für die gesprächssuchenden Kunden nehmen.
Das ist meiner Meinung nach aber auch dringend notwendig. Viele Menschen haben keinen Bezug mehr zur Kirche, suchen und finden dort keinen Ansprechpartner mehr, haben überdies auch keine Familie in der Nähe oder wollen ihrem näheren Umfeld ihr Leid und ihre Trauer nicht aufbürden und finden dann im Bestatter einen neutralen Gesprächspartner.

Ich glaube, daß es vor allem die Professionalität im Umgang mit dem Tod ist, der den Bestatter für viele Hinterbliebene als geeigneten Gesprächspartner erscheinen läßt. Sicher, er nimmt auch Anteil an der Trauer, aber er wird ob der Tatsache, daß da jetzt jemand gestorben ist, nicht verschreckt die Hände vors Gesicht schlagen und Anteilnahme heucheln. Sein oft pragmatischer Umgang mit diesem für die Angehörigen so bedeutsamen Ereignis bringt Ruhe und Gelassenheit in die Sache, einfach so und ohne größere seelsorgerische oder psychologische Ausbildung.

Man muß gar nicht viel machen, das habe ich zumindest festgestellt. Ein wenig Menschenkenntnis, eine gute Portion gesunder Menschenverstand und vor allem die Bereitschaft zum Zuhören sind die wichtigsten Eigenschaften.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an Frau Schimmelpfennig. Die kam nach dem ersten Beratungsgespräch am nächsten Tag unter einem, ganz deutlich bemerkbaren, Vorwand noch einmal zu mir und klebte dann fest. Damit meine ich, daß das Notwendige besprochen war, wir uns eigentlich hätten verabschieden können, sie jedoch zögerte und ich merken konnte, daß da noch irgendwas ist.
Ich bat sie in einen unserer Beratungsräume, ließ sie Platz nehmen und servierte ihr eine Tasse Kaffee. Ohne daß ich Frau Schimmelpfennig dazu auffordern mußte, erzählte sie mir über eine Stunde lang ihre ganze Lebensgeschichte. Flucht, Vertreibung, Nachkriegsjahre, Kennenlernen, Heirat, Ehe, Altwerden und Tod.
In der ganzen Zeit habe ich kein Wort, oder kaum ein Wort gesagt. Nach diesem Monolog ging es ihr um so viel besser, daß sie ganz erleichtert war, regelrecht durchatmen konnte und zum Abschied sagte sie mir, daß ich ein hervorragender Gesprächspartner gewesen sei und ihr soviel Mut und Zuversicht gegeben hätte. Wiegesagt, ich habe nicht viel gesprochen.

Die dafür notwendige Zeit muß man aber auch erst mal haben, leider hat man sie nicht immer, aber ehrlichgesagt tun mir die Leute leid, die sonst überhaupt niemanden haben, der ihnen zuhört.

Ich mache im Übrigen auch gar keinen Hehl daraus, daß wir uns auch etwas davon versprechen. Es ist nicht unser Antrieb, aber eine nützliche Begleiterscheinung, daß Leute, die zu uns Vertrauen gefaßt haben, uns einerseits auch weiterempfehlen und andererseits sich dann viel eher für unser Angebot, für sich selbst eine Bestattungsvorsorge abzuschließen, offen zeigen.

In den Kommentaren zu einigen meiner Artikel habe ich schon häufiger gelesen, daß da jemand schreibt: „Ja klar, Bestatter verschenken ja auch alles. In Wirklichkeit haut er das dann irgendwie wieder auf die Rechnung drauf und macht seinen Schnitt.“

Dazu kann ich sagen: Kann sein; ist manchmal vielleicht auch so, wäre aber zu kurz gedacht.
Unterm Strich muß der Umsatz stimmen und kein Kaufmann hat etwas zu verschenken. Aber es wäre wirklich dumm, würde man einem Kunden irgendeinen Vorteil oder irgendeine Lieferung ohne Bezahlung zukommen lassen und würde es dann irgendwo auf der Gesamtrechnung versteckt wieder mit abrechnen.

Dieses ganze Drumherum muß in die Gesamtkalulation mit einfließen, dann wird das eine runde Sache.

Und wenn man berücksichtigt, was ein moderner Bestatter heute alles leistet oder leisten kann, wenn man berücksichtigt, wieviel Zeit, also Arbeitszeit auch für die oben geschilderten Gespräche draufgeht, dann kann man vielleicht auch verstehen, warum ein Billigbestatter letztlich das alles nicht leisten kann.
Auch wir können, wenn es darauf ankommt, ganz günstige Bestattungen anbieten. Aber wir könnten von der dauernden Ausrichtung auf billige Bestattungen nicht leben. Dazu müßten wir doppelt oder dreimal so viele Bestattungen durchführen.

Lieber sind wir etwas teurer und bieten einen wirklich umfassenden Service.
Unsere Kunst ist es doch, den Menschen etwas zu verkaufen und etwas zu bieten, wovon sie in aller Regel noch nie etwas gehört haben, was sie gar nicht wirklich kennen und an das sie nur eine vage Erwartungshaltung haben. Hinterher muß der Kunde aber dennoch sagen können daß alles perfekt war und genau seine Erwartungen erfüllt hat.

Dazu gehört eben auch die Bereitschaft zum Zuhören. Und genau diese Bereitschaft zum Zuhören ist es, die mich mit Geschichten anfüllt, die ich dann unter den bekannten Voraussetzungen hier erzählen kann.

Es ist also gar nicht so verwunderlich, daß ich ausgerechnet als Bestatter oft so detailliert über alles Bescheid weiß. Gerade weil der Bestatter nur einen ganz kurzen Abschnitt im Leben der Menschen ausmacht, ist er offenbar in den Augen Vieler ein geeigneter Zuhörer, dem man alles erzählen, den man in alles einbinden kann, weil er dann eben auch wieder aus dem Leben und aus dem Blickfeld verschwindet.


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 9. April 2008 | Revision: 5. Februar 2014

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Wittmann
16 Jahre zuvor

Tränen gelacht über den Textfetzen „berichtensunwürdige Antonia glotzt ein wenig dazu“ …

remmidemmi
16 Jahre zuvor

Ich find diesen (Neben-)Satz ein bisschen fies. Ich hoff ja, das ist wieder eine Eurer Insider-Sticheleien, oder aber, dass „Antonia“ hier nicht mitliest, sonst dürft sie sich gegenüber Sandy&Frau Büser reichlich zurückgesetzt fühlen :]
Aber der Rest des Eintrags ist so schön wie immer. Ich hoffe nur, es gibt hier im Norden auch so tolle Bestatter wie Euch, wenn’s denn mal soweit ist…

16 Jahre zuvor

Was ist denn jetzt mit Antonia?! OK, sie ist „berichtensunwürdig“, das werde ich wohl als Leserin akzeptieren und mit Fassung tragen müssen. Aber das unauffällige Fastnichterwähnen muss doch irgendeinen Grund haben…

i--h
16 Jahre zuvor

Ich tippe auf eine augenzwinkernde Retourkutsche auf „Och, über mich gibts doch nix zu erzählen…“

Torky
16 Jahre zuvor

^ genau sowas hab ich auch im Verdacht:

„Antonia, darf ich auch was über dich im Blog schreiben?“ „Ach neeein, was wollen sie denn über mich erzählen?“. Dann wird sie halt jetzt erwähnt, aber nichts berichtet 🙂

Andere Alternative: diese Antonia hat sich nur sehr kurz (aus welchen Gründen auch immer) in der Firma gehalten. Wobei das doch wieder berichtenswert wäre hmmm

16 Jahre zuvor

Wer länger BWL (huch, blöde Abkürzung) liest, der weiß: da kommt noch was.

Lobo
16 Jahre zuvor

Bei dir wird es sicher alleine auf Grund deines Berufes häufiger vorkommen, aber auch bei uns (im Buchhandel)werden wir des öfteren mit Schicksalsschläge konfrontiert. Hier ein kleines Beispiel : Eine seeeeeehr liebe ältere Kundin, die leider an MS erkrankt ist, ihr Schicksal aber tapfer trägt und seeehr viel liest, kam neulich mal wieder bei uns vorbei. Am Gesichtsausdruck hätte ich es schon merken müssen, aber ich dachte nur an schlecht Laune. Sie kaufte wieder rund um sich zu, für die Enkel und die Kinder usw. Mit einem Mal fängt sie bitterlich an zu weinen und erzählt mir, dass ihr am Mann letzte Woche am Frühstückstisch tot zusammengebrochen ist. Wahrscheinlich Schlaganfall. Ich war so perplex, fühlte mich so voller Mitleid, wollte was sagen, aber eine meterdicker Kloß im Hals verhinderte alles. Ich schaffte es dann noch ein gekrächztes „Mein herzliches Beileid“ rauszudrücken, aber mehr war wirklich nicht drin. Wenn ich mir vorstelle, daß du fast täglich solche Geschichten hörst, wird mir ganz anders. Gewöhnt man sich da irgendwie dran, verdrängt man das oder wie schaffst du… Weiterlesen »

16 Jahre zuvor

jup, ich bin auch fest überzeugt dass da noch was kommt…
Als eifrige BWLerin kann ich mich aber in Geduld üben und in Ruhe verfolgen, welche Handlungsstränge sich um die bisher noch berichtensunwürdige Antonia wickeln werden.

remmidemmi
16 Jahre zuvor

Das wär natürlich klasse. Spekulier ich auch so’n bisschen drauf.
Ich will ganz viel Antonia! Bitte, Tom… 🙂

Louffi
16 Jahre zuvor

Ja, das kenne ich auch… es meldet sich jemand, der Reiki lernen will, wir machen was aus und plötzlich öffnen sich die Schleusen und ich erfahre das halbe bis ganze Leben. Oft sind die Leute – meist Frauen – in Krankheits- oder Trennungsphasen oder gerade verwitwet oder völlig erschöpft. Die, die aus Spaß kommen, sind der kleinere Teil.

Am Anfang hat mich das alles noch sehr mitgenommen, inzwischen habe ich gelernt zuzuhören und das meiste nicht mit nach Hause zu nehmen. Man muss das aber lernen. Und, wie du sagst: viele haben einfachen niemanden zum Reden, der mal neutral außen vor steht.

Katrin
16 Jahre zuvor

Bevor die Leute bei Tom landen, habe ich sie bei mir in der Apotheke stehen und auch dort ist es, gerade bei den älteren Menschen, oft so, dass sie scheinbar niemanden zum Reden haben und froh sind, wenn sie ihren Kummer mal los werden können.
Während meines Studiums habe ich das dann irgendwann verstanden. In den Lernphasen, in denen ich wochenlang ohne Kommilitonen isoliert am Schreibtisch saß, war ich dann froh, wenn ich z.B. mal im Supermarkt der Dame an der Wursttheke meine Bestellung mitteilen durfte. Auch habe ich irgendwann immer nur ein Teil eingekauft, damit ich noch für den nächsten Tag einen Grund hatte, wieder los zu müssen 😉
Ein Gesprächsbedürfnis hat wohl jeder, besonders in Krisensituationen wie Krankheit und/oder Trauer. Viele haben ja leider sonst niemanden zum Reden.
Umso besser, dass es noch Menschen gibt, die Zuhören können!

Mac Kaber
16 Jahre zuvor

BWL…..
Hm – bis gerade eben hatte ich noch nicht gemerkt, dass ich seit einem Dreivierteljahr BWL studiere.
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„Komm, lasst uns drüber reden“ – bevor ich diesen abgedroschenen Modesatz ausspreche, beiss ich mir lieber auf die Zunge.
Ich sag lieber: „Möchtest Du (Sie) einen Tee/Kaffee? – Ich habe Zeit für Dich (Sie)“.
Hier ergibt sich dann oft alles von allein und so saßen wir schon häufig auf einem Sofa und blätterten in alten Fotoalben.
Dabei kommen so viele Erinnerungen und Besonderheiten in den Lebensbiographien hervor, dass man garnicht merkt, wo die Zeit denn nur geblieben ist. Und auf einmal läutet es und der Sohn, der von sehr weit herbeigeeilt ist sagt: „Ist gut Mutter, jetzt bin ich da.“




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