Frag doch den Undertaker

Ökologische Bestattungen, sinnvoll? -II-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Lieber Tom,

als Blogleser der ersten Stunde möchte ich dir erstmal danken. Einmal für die vielen Information, für die bewegenden Geschichten und auch für die Schmunzler am Morgen oder den Lachanfall am Mittag.
Ich habe lange überlegt, ob ich dir schreibe, aber da ich heute Nacht sogar davon geträumt habe, will ich es einfach loswerden.

Es geht um den Beitrag vom 27. Oktober „Ökologische Bestattungen, sinnvoll?„. Dabei möchte ich eigentlich nicht dich kritisieren, sondern eher die GEO. Mir scheint, der Artikel wurde vom letzten Kapitel in Mary Roachs Buch „The curious life of human cadavers“ inspiriert. Falls du das Buch nicht kennen solltest, möchte ich hiermit eine ganz warme Empfehlung aussprechen. Roach zeigt auf, welche Möglichkeiten ein menschlicher Leichnam hat, außer in der Erde rumzugammeln. Sie nimmt an einer Organtransplantation teil, beschreibt, welchen Beitrag Tote bei der Crash-Test-Forschung haben/hatten, besucht einen amerikanischen Konservierungslehrgang, geht in einen universitären Präparationskurs, usw. Das Buch ist lustig, ohne jemals pietätslos zu sein und wahnsinnig informativ.

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Ich weiß natürlich nicht, ob die GEO-Redaktion das Buch kennt, aber falls ja, hat sie es nicht gründlich gelesen. Mary Roach macht immer deutlich, aus welchen Umständen heraus es zur Entwicklung dieser Bestattungsformen kam.
Im Gegensatz zu dem, was die GEO sagt, sind sie eben nicht nur als ökologische Alternativen zu sehen. Die Motivation dahinter ist jedesmal eine andere.

In Schweden sind wie in Deutschland die Laufzeiten der Gräber sehr kurz, daher wollen viele Menschen „reduziert“ werden, um nicht halbverwest einen Mitbewohner zu bekommen. Die Idee der Biologin Susanne Wiigh-Mäsak war, den Körper wieder in den natürlichen Kreislauf zu überführen. Nun ist die Asche aus der Kremation als organischer Dünger so gut wie wertlos, daher wandte sie sich der Kompostierung zu. Das dauert bei einer intakten Leiche aber einfach viel zu lange (von den ästhetischen Problemen mal abgesehen, da die Sauerstoffzufuhr gewährleistet sein muß). Der Körper wird daher mittels flüssigem Stickstoff schockgefroren, zerkleinert und gefriergetrocknet. Der Überrest wird mit Kompostbakterien in geringer Tiefe bestattet, kompostiert dort und dann kann ein Bäumchen auf dem Grab diese Nährstoffe aufnehmen und verwerten.
Das ganze ist nicht so energieaufwändig wie es klingt. Flüssiger Stickstoff fällt als Nebenprodukt zum Beispiel bei der Herstellung von reinem Sauerstoff oder Edelgasen aus der Luft in großen Mengen an. Solange also solche Produkte produziert werden, ist der Flüssigstickstoff Abfall und als solcher durchaus ökologisch vertretbar. Das Zerkleinern geht recht einfach, prinzipiell würde das Runterschmeißen der Leiche reichen und sie zerspränge wie Glas. Der Ultraschall ist eher dem Empfinden der Angehörigen geschuldet als eine technische Notwendigkeit (es klingt halt besser). Im großen und ganzen ist die Promession eine Alternative für Menschen, die schnell wieder in der Natur aufgehen wollen und nicht in der Erde verfaulen wollen. Dir muß ich ja nicht erklären, daß Verfaulen (unter Sauerstoffabschluß) und Verwesen zwei verschiedene Dinge sind. Für Menschen, die Wert auf diesen Unterschied legen und auch nicht verbrannt werden wollen, ist die Promession gedacht.

Auch die alkalische Hydrolyse ist nicht als Ökobestattung erfunden worden. Es ist eine Alternative zur Feuerbestattung in gering besiedelten Gebieten, wo sich ein Krematorium nicht lohnt. Als Bestatterweblogleser weiß ich ja, daß erst das viele Wasser im Körper verdampfen muß, bevor der Rest verbrennt. In einer großen Stadt, wo täglich mehrere Leichen anfallen, ist das kein Problem, da das Krematorium einfach auf Temperatur gehalten wird. In einem gering besiedelten Gebiet, wo einmal im Monat eine Leiche anfällt, müßte das Krematorium jedesmal hochgeheizt werden. Das wäre sehr teuer und energieaufwändig. Man könnte die Toten über einen längeren Zeitraum sammeln, was wiederum auf Widerstand bei den Angehörigen stoßen würde. Bei der alkalischen Hydrolyse wird der Körper durch eine starke Lauge zersetzt. Die Lauge wird bei diesem Vorgang neutralisiert und ja, man kann die entstehende Flüssigkeit hinterher problemlos in den Abfluß schütten. Übrig bleiben wie beim Kremieren ein paar Knochenhülsen, die zerstoßen und den Angehörigen überreicht werden.

Nun könnte man argumentieren, daß die Vorstellung, Grandma im Trinkwasser zu haben, etwas unappetitlich ist, aber nichts anderes passiert ja bei der Erdbestattung. Über einen längeren Zeitraum zersetzt sich der Körper im Boden und die aufgebrochenen Reste (Moleküle) gelangen in das Grundwasser. Ich nehme an, daß die Flüssigkeit aus Pietätsgründen gesondert entsorgt wird, aber nötig wäre es nicht. Ein Klärwerk oder ein großer See käme damit spielend klar.
Wenn man also in einer einsamen Gegend wohnt und nicht erdbestattet werden möchte, so ist die alkalische Hydrolyse eine umweltfreundliche Alternative zur Verbrennung. Das Ganze gilt natürlich nicht für Deutschland, da gebe ich dir vollkommen recht.
Bei beiden Bestattungsformen stand also nicht unbedingt der Umweltgedanke im Vordergrund, sondern sie sind von vorneherein für Menschen gedacht, bei denen eine Erdbestattung aus persönlichen Gründen nicht in Frage kommt und die Alternativen zum Kreamtorium haben möchten. Bei der Promession wird die Feuerbestattung nicht in Betracht gezogen, da die Überreste des Körpers nicht
sofort in die Natur zurückgeführt werden, sondern erstmal in der Atmosphäre landen; die Hydrolyse ist unter bestimmten Umständen einfach billiger und technisch einfacher als die Kremation.

Ich hoffe, ich habe dir jetzt nicht zuviel Bekanntes erzählt. Prinzipiell hätte ich diese E-Mail lieber an die GEO schicken sollen, aber bei dir ist es vielleicht auch gut aufgehoben.

Viele Grüße von einer dankbaren Leserin,
Sabine

PS: Falls du meinen Text veröffentlichen möchtest, was ich dir hiermit ausdrücklich erlaube, mußt du mich nicht anonymisieren. Auch mein Vorname ist eine Sammelbezeichnung 😉 Laß halt den Nachnamen weg.


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Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 4. November 2009 | Revision: 7. September 2012

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Matthias
15 Jahre zuvor

Sabine 4 GEO-Redakteurin.

Angie
15 Jahre zuvor

Ich würde auch gerne in einem Bäumchen „weiterleben“.

emz
15 Jahre zuvor

Danke Sabine! Sehr informativ.

Neuling
15 Jahre zuvor

Hier gab es mal eine große Brauerei unterhalb eines ebenfalls großen Friedhofs. Und das dort produzierte Bier wurde jahrelang ob seiner besonders würzigen Geschmacksrichtung gelobt. Wohl bekomms…

15 Jahre zuvor

Danke für die Erläuterungen Sabine,
im Moment kann ich mich nicht entscheiden, was mir lieber wäre, obs mich zerbröselt oder ob ich mich lieber überflüssig sehen würde. Obwohl, so flüssig hätte ichs einfacher dahinzufließen und meine Umwelt zu penetrieren. 😛

Salat
15 Jahre zuvor

Was das Grundwasser von Friedhöfen angeht, ist es wohl nicht ganz so „spielend einfach“ für den Klärsee, dieses Wasser zu reinigen. Ich erinnere mich dunkel an Probleme mit Belastungen durch Rückstände von Medikamenten.

Vielleicht kann Sabine oder der Undertaker da ja Licht reinbringen?

Salat

Björn
15 Jahre zuvor

In Hannover gibt es die Gilde-Brauerei, die mit ihrem Betriebsgelände samt dem Grundwasser-Brunnen direkt neben einem Friedhof liegt. Deshalb heißt es scherzhaft, das dort gebraute Bier hätte einen ganz besonderen Geschmack – „mit Leichenwaser gebraut“ 🙂

3-plus-1
15 Jahre zuvor

@Björn

Lasst euch aber nicht verunsichern, Gilde und Rathskeller kann man aus Hannover trinken, das was wie Leichenwasser schmeckt ist Lindener Spezial.

Hm, dass ich da nie drüber nachgedacht habe, wohne ja von der Brauerei nur einen Steinwurf entfernt. Bist du sicher, dass die Brunnenwasser nutzen und nicht Leitungswasser?

ein anderer Stefan
15 Jahre zuvor

Na, das Friedhofsbier aus Hannover muss ja wohl eher das Herrenhäuser sein – einmal und nie wieder! Pfui Deibel, war das eklig.
Direkt neben der Gilde-Brauerei ist übrigens wirklich der Friedhof Engesohde, zwischen Maschsee und Hildesheimer Straße.

Anonym
15 Jahre zuvor

Auch bei uns gab es mal so eine Brauerei neben einem Friedhof. Die Brauerei wurde nur „Friedhofsbräu“ genannt. Das Bier natürlich „Friedhofsbrüh“

Tentotwo
15 Jahre zuvor

Vielen Dank für den Beitrag Sabine (und Tom für’s Veröffentlichen). Sehr erhellend, ich habe auch länger über das Thema nachgedacht, mir aber nicht die Mühe gemacht, die Quellen (vor allem den Geoartikel) nachzuschlagen. So machen die alternativen Bestattungsmethoden tatsächlich deutlich mehr Sinn.

Allerdings möchte ich dem Punkt, dass bei der Feuerbestattung „die Überreste des Körpers nicht sofort in die Natur zurückgeführt werden, sondern erstmal in der Atmosphäre landen“, widersprechen. Der atmosphärische Wasserkreislauf ist deutlich schneller als der Weg über das Grundwasser. In den allermeisten Fällen ist die Fliessgeschwindigkeit im Grundwasser in der Grössenordnung von Zentimetern pro Tag, bis die Moleküle also einen Baum oder eine Quelle erreichen, vergehen Wochen, Monate oder Jahre. Sind die „Überreste“ (das ist allerdings schon ziemlich abstrakt) allerdings in der Atmosphäre, so vergeht vielleicht eine Woche, bis sie mit dem Regen wieder irgendwo auf der Erde landen und von Pflanzen aufgenommen werden können.

Bine
15 Jahre zuvor

Ich glaube, „irgendwo auf der Erde“ ist das Stichwort. Wer als Bäumchen wiedergeboren werden will, der muß dafür sorgen, daß seine Moleküle so weit wie möglich an Ort und Stelle bleiben. Gelangt man in den atmosphärischen Kreislauf, düngt man vielleicht die Bäume des verfeindeten Nachbarn oder landet als Vegetarier auf der Kuhweide 😉

Burn
15 Jahre zuvor

Ich erinnere nochmal an [url=http://en.wikipedia.org/wiki/Soylent_green]Soylent Green[/url], das fehlt noch bei Sabines Vorschlägen.
Damit können wir dann auch endlich das Problem mit dem Welthunger in den Griff bekommen.




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