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Olugulade -19-

Wir bereiten uns auf die Urnenbeisetzung von Herrn Olugulade vor. Ein kleines Urnenreihengrab, direkt an der Mauer des Friedhofs soll es werden. Frau Olugulade ist manchmal nicht zu verstehen. In einem Moment erklärt sie, eine Feuerbestattung sei gar nichts, im nächsten Augenblick kommt dann wieder eine Erdbestattung nicht in Frage. Man würde etwas flaspig sagen: Sie ist völlig durch den Wind.

Eine Feuerbestattung hat auch Jussip, der Freund der Familie, für gut befunden. Zwar erklärt die Witwe, daß sie auf keinen Fall jemals nach Nigeria zurückkehren möchte, aber immerhin hätte sie in diesem Fall die Möglichkeit, die Urne mitzunehmen.

Ja, das mit dem Zurückkehren nach Nigeria, das ist noch so ein Thema.
Einen Tag zuvor stand Frau Birnbaumer-Nüsselschweif in der Tür. Unser Haus ist immer Dreh- und Angelpunkt für alle und Anlaufstelle für Familien, Vereinsamte, Merkwürdige und Streithammel. Ich habe schon oft überlegt, warum das so ist. Wahrscheinlich liegt es daran, daß wir ein sehr offenes Haus führen und viele Dienstleistungen unter einem Dach bieten. Schon allein, daß man bei uns seine Verstorbenen so besuchen kann, wie es einem beliebt, führt dazu, daß die Leute häufiger kommen und wenn sie schon mal da sind, dann reden sie entweder gar nichts oder sie erzählen ganz viel.

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Und ich bin ja nun ein Misanthrop und Grantler, der nicht mit jedem gleich ein langes, fröhliches Schwätzchen hält. Gerade das aber ist es, was die Leute wohl schätzen, daß ich einfach zuhöre, den Gemütlichen gebe und Verständnis für sie und ihre Lage aufbringe. Es ist wohl so, weil ich niemals Anteilnahme heuchle und immer auch klar sage, daß das mein Geschäft, mein Beruf ist. Die Fronten sind geklärt, keiner geht von falschen Voraussetzungen aus. Wir helfen den Menschen in einer schwierigen Situation, aber wir sind keine selbstlosen Samariter.

Die Birnbaumer-Nüsselschweif hat so einen Wallewalle-Mantel an, so ein Ding bei dem man nicht genau weiß, ob es ein Mantel, ein Cape, ein Umhang oder eine Wolldecke mit Schal ist. Irgendwo aus zwei Öffnungen an den Seiten schießen ab und zu ihre Hände hervor und fuchteln mir vor dem Gesicht herum. „Die Afrika-Gruppe, wie auch der Mütterkreis und überhaupt alle sind ja der Meinung, daß der Familie am Besten geholfen ist, wenn sie in die Heimat zurückkehrt.“

Ach nee, ganz neue Töne. Es ist noch gar nicht so lange her, da sah die Birnbaumer das Heil der Familie allein darin, daß sie sich höchstpersönlich um die Kinder kümmere. Was hat sie nicht alles in Aussicht gestellt, wie sie der Familie einen dauernden Aufenthalt hier in Deutschland ermöglichen würde. Und jetzt? Das sieht mir doch verdammt nach Sandkuchen-Plattdrücken aus.
Man kennt das doch: Das kleine Nüsselschweifchen sitzt im Sandkasten, die Kinder backen mit Förmchen aus Sand Kuchen und lassen das dicke, häßliche Nüsselchen nicht mitschweifen. Und weil sie nicht mitspielen darf, haut sie dann eben den anderen Kindern die Sandkuchen kaputt. Wenn ich nicht mit dem Kuchen spielen darf, sollt ihr es auch nicht.

Nur daß der Kuchen jetzt eine dreiköpfige Familie ist.

Ich sehe überhaupt keinen Grund, daß Frau Olugulade, Daniel und Benjamin nach Nigeria zurückkehren sollten. Der einzige Grund den es geben könnte, wäre der Wunsch der Betroffenen und die wollen das auf gar keinen Fall. Frau Olugulade kann hier als Krankenschwester arbeiten und das auch noch in einem Krankenhaus, das neben einem Schwesternheim (im Volksmund der eher jugendlichen Bevölkerung „Jungfernbunker“ genannt) auch eine Kinderkrippe unterhält. Das gibt es nur ganz selten und stellt für Frau Olugulade das Optimum dar.
Meine Aufgabe sehe ich eher darin, ihr beim Start in die veränderte Lebenssituation zu helfen und nicht darin, der Frau jetzt jahrelang als Dauerhelfer zur Verfügung zu stehen.

„Nein, nein, nein, nein“, ich glaube das sagte die Nüsselbaum sogar an die siebenmal: „So geht das nicht, da bin ich gar nicht bei Ihnen, nicht einmal ein Stück weit sind wir da zusammen. Das sind Afrikaner mit afrikanischen Wurzeln und in Nigeria da gibt es Großeltern, Brüder und Schwestern und da wäre die Familie doch wesentlich besser positioniert.“

„Positio, was?“ frage ich verdutzt zurück, nicht weil ich es nicht verstanden hätte, sondern weil mir der Quatsch einfach zu absonderlich erscheint.

„Also, ich sehe das so, daß es das Beste wäre, wenn mein Mann und ich die Familie bei ihrer Rückkehr begleiten würden. Ich habe sogar schon einen Sponsor gefunden, der für die Flüge aufkäme.“

„Einen Sponsor, so so.“

„Ja und die Olugulades würde das alles gar nichts kosten, denn das übernimmt alles die Redaktion.“

„Der Sponsor ist also eine Redaktion?“

„Sagen wir mal so, es ist ein sehr hilfsbereite Firma.“

„Hmm, ja klar, und die schicken dann einen Reporter und einen Fotografen mit und schlachten das Schicksal der Familie schön aus.“

„So darf man das nicht sehen. Die begleiten unsere Arbeit in der Afrika-Gruppe schon seit Jahren und haben uns auch schon einmal ganz groß in der Zeitung gebracht.“

Es ist klar, woher der Wind weht. Egal auf welche Weise, die Birnbaumer-Nüsselschweif sieht bloß schwarze Neger, denkt an ihr Afrika-Projekt und die zu erwartenden Spenden und möchte sich als Beschützerin aller Negerkinder dieser Welt verkaufen. Ekelhaft.

„Und warum erzählen Sie mir das alles, warum kommen Sie hierher?“ frage ich sie und sie schmollt: „Weil Frau Olugulade nicht mit mir reden will. Die ist sturköpfig und sagt, ich soll mit Ihnen reden, was ich ja nun hiermit tue.“

Ich erkläre der müttervorsitzenden Matrone, daß ich keine Lust auf ihren Quark habe. Auf das Wort Quark reagiert sie säuerlich und einmal mehr schiebt sie schnaubend ab, mal wieder mit der Abschiedsformel, ich würde noch von ihr hören.

Jussip ruft an, er berichtet, daß die Viererbande um die Herren John & Smith mit Frau Olugulade gesprochen haben. In mir läuten alle Alarmglocken, da wäre ich doch nun wirklich gerne dabei gewesen. Aber ich bräuchte mir keine Gedanken zu machen, das Gespräch sei lang und intensiv gewesen, aber man habe die Frau eher vorsichtig behandelt. In der Tat versuchen die vier Männer, die Frau mit ihren Kindern zur Rückkehr nach Nigeria zu bewegen. Aber besonderen Druck hätten sie nicht aufgebaut. Na, immerhin.

Im Grunde hatte ich erwartet, daß von diesen Nigerianern eine Gefahr für die Frau ausgeht, daß sich da dramatische Entwicklungen ergeben würden, doch bis jetzt war es dazu nicht gekommen. Sie sind eher nur einfache, fleissige Missionare ihrer Sache und keine gefährlichen Krieger.
Daß die Sache noch eine dramatische Entwicklung nehmen würde und daß daran die Birnbaumer-Nüsselschweif beteiligt sein würde, das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Viel zu sehr konzentrierten wir uns alle auf die am nächsten Tag stattfindende Urnenbeisetzung.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#olugulade

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