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Olugulade -20-

orgel

Es ist der Tag der Urnenbeisetzung von Kaldawule Emmanuel Ologulade.
Ich schreibe absichtlich den Namen dieses Mal mit O als drittem Buchstaben, denn die Familie hat unterschiedliche Schreibweisen des Namens in den Papieren. Frau Olugulade sitzt an unserem Küchentisch und erklärt das recht einleuchtend: „In unserer Sprache wird das ‚O‘ überhaupt nicht richtig ausgesprochen, man sagt ‚Ol’glad“. Das muß man aber mit ‚U‘ schreiben, weil ‚O‘ ist auch richtig.“
Dabei spricht sie den Namen so schnell und fast wie eine Silbe aus, daß man sich nicht sicher sein kann, ob da nun ein ‚O‘ oder ein ‚U‘ vorkommt und ob das ‚E‘ am Ende nun mitgesprochen wurde oder verschluckt wird.
In einem Land, in dem sogar einflußreiche Leute oft des Lesens und Schreibens nicht richtig mächtig sind, kommt es dann eben dazu, daß auch innerhalb einer Familie die Namen völlig unterschiedlich geschrieben werden. Sie nennt noch einige Beispiele, aber diese Namen kann ich mir nicht merken.

Klare Sache, sie muß selbst ein wenig darüber lachen, obwohl ihr gar nicht zum Lachen zumute ist, heute wird sie ihren Mann Kaldawule Emmanuel beisetzen.

Sie hat Benjamin dabei und wir trinken alle gemeinsam noch einen Kaffee, essen noch die restlichen „Bolle“ von Frau Büser. Wir haben uns alle fein gemacht, weil sowieso nicht viele kommen und wir dem Verstorbenen wenigstens anständig gekleidet die letzte Ehre erweisen wollen.

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Noch anderthalb Stunden, dann geht es rüber zum Friedhof. Es ist Spannung und Entspannung zugleich in uns, das spürt man. So dazusitzen, einfach ein bißchen klönen und schnacken, das tut gut, das hilft auch Frau Olugulade. Und dennoch, es steht ein schwerer Gang für sie bevor und auch das steckt uns allen in den Knochen.

Doch eine Sekunde später steckt uns etwas ganz anderes in den Knochen, meine Tochter kommt von nebenan, wo eben noch die Kinder spielten und sagt: „Daniel ist weg!“

„Wie weg?“ frage ich und sie steht nur da mit ihren großen Kulleraugen und sagt: „Ja, weg eben. Vorhin war er noch da, dann ist er mal kurz rausgegangen und jetzt schon eine ganze Weile weg. Einfach weg.“

Frau Olugulade verdreht die Augen, presst Benjamin an sich, ruft etwas in ihrer Muttersprache und fängt an zu weinen. Meine Frau und ich schauen uns nur kurz an und dann geht die Suche los. Wo kann der Bursche bloß stecken?
Wir durchsuchen das ganze Haus, stellen alles auf den Kopf und auch die gesamte Belegschaft beteiligt sich an der Suche, doch die bleibt ergebnislos. Eine halbe Stunde später kommen die Rückmeldungen aus allen Abteilungen: Der Junge ist nirgends zu finden.

Mir gehen tausend Gedanken durch den Kopf. Ist Daniel weggelaufen, hat er sich nur versteckt? Stecken die nigerianischen Männer dahinter? Hat die Birnbaumer-Nüsselschweif etwas damit zu tun?
Wo fängt man jetzt an?

Manni fährt zum Friedhof hinüber, vielleicht ist dorthin gelaufen, unsere Kinder ziehen sich Jacken an und suchen draußen auf der Straße, auf dem Spielplatz und dort am Stromhäuschen, wo sich Kinder eben so verstecken.
Daniel ist und bleibt verschwunden.

Was tut man denn in einem solchen Fall?

„Sollen wir die Polizei rufen?“ fragt meine Frau, doch das widerstrebt mir, ich habe keine Lust mich jetzt mit hölzernen Beamten auseinanderzusetzen, die vermutlich in der Kürze der Zeit sowieso nichts bewirken können. Die Beisetzung ist gleich und ohne Daniel kann und soll sie nicht stattfinden.

Ich fälle eine Entscheidung: „ich rufe jetzt auf dem Friedhof an und wir verschieben die Urnenbeisetzung um eine oder zwei Stunden. Manni soll dort die Trauergäste abfangen und hierher schicken.“

„Sandy!“, ich muß nicht viel zu ihr sagen. Sie weiß Bescheid und kennt unser Notfallprogramm. Die vorher gefeierte Frau Schulzbach wird aus unserer Halle in die Kühlung geschoben, vorne etwas durchgefegt und die Blumen der Familie Schulzbach etwas mehr in die Mitte geschoben. Kränze mit Schleifen kommen nach draußen.
Vom CD-Spieler kommt leise und ruhige Musik. Nur noch die Stühle etwas geraderücken und unsere Halle ist fertig für eine kleine, improvisierte stille Gedenkfeier für Kaldawule Emmanuel Ologulade.
Es wird Frau Schulzbach nichts ausmachen, wenn wir ihre Blumen noch ein Stündchen für jemand anders nehmen.

Ich habe zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, ob da überhaupt Leute zum Friedhof kommen und von Manni zu uns geschickt werden, erbeten oder angekündigt war es nicht, aber man weiß ja nie.

Eine Praktikantin und Sandy sind auf jeden Fall bereit, um eventuell eintreffende Gäste in die Halle zu führen und dort zu plazieren.

So können wir anderen uns der Suche nach Daniel widmen.

Frau Olugulade, meine Frau, Jussip und ich diskutieren und überlegen hin und her, wo der Junge stecken könnte. Jussip sieht ihn schon gefesselt und geknebelt auf dem Flug nach Nigeria, Frau Olugulade jammert, weil ohne Daniel ihr Kaldawule nicht unter die Erde kommt und meine Frau hat komische Ideen. Ich könnt‘ sie ja manchmal, wenn sie so komische Ideen hat, so Ideen, auf die kein Mann käme, völlig an der Realität vorbei, vollkommen weltfremd. Und noch mehr könnt‘ ich sie, wenn sie dann -was meistens der Fall ist- auch noch recht hat mit ihren komischen Ideen…

„Die Nüsselschwein!“ sagt sie und macht so ein vielsagendes Gesicht.
„Das traut die Dicke sich nicht“, behaupte ich und dennoch greife ich zum Telefon und rufe bei der Birnbaumer-Nüsselschweif an.

Es meldet sich der Anrufbeantworter, die Nüsselschweif singt darauf einen Rapp:

„Egal wer anruft,
wir sind nicht da!
Ruf später wieder an,
dann ist alles klar!“

Okay, so komme ich auch nicht weiter.

Inzwischen kommen die Kinder wieder und sagen, sie hätten Daniel auch nicht gefunden und dann rückt das Stück Holz, das mein Sohn ist, mit der Botschaft heraus: „Der ist bestimmt Blumen kaufen gegangen.“

„Was für Blumen?“

„Hat er gestern gesagt, er will von seinem Geld Blumen für seinen Papa kaufen.“

So eine Holzbirne! Warum sagt der das nicht früher, von wem hat er dieses Holzbirnige bloß? Meine Frau und ich waschen unsere Hände in Unschuld und während ich noch wasche, sehe ich im Augenwinkel, wie sie auf mich deutet und mit dem Mund lautlos irgendwas Häßliches über mich in die Welt setzt.

Es gibt sechs Blumengeschäfte in der Gegend, die Nummern haben wir alle, schon aus beruflichen Gründen, eingespeichert.
Bei Kötters war Daniel nicht, aber der alte Kötters verspricht, sofort anzurufen wenn ein schwarzer Junge kommen sollte.
Das versprechen auch die nächsten drei Blumenhändler und auch meine Frau signalisiert, daß Daniel nicht beim Blumenhaus „Egons Blumenstübchen“ war.

Erst bei Neureuthers haben wir endlich Erfolg. Ja, der Junge sei schon vor einer halben Stunde oder so dagewesen, habe für 5 Euro Nelken gekauft und sei dann mit der Frau wieder weggegangen. „Mit was für einer Frau?“
„Keine Ahnung, so eine Dicke, die müßten Sie aber kennen, die ist irgendwas bei der Gemeinde.“

„Die Nüsselschweif!“ entfährt es mir.


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Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 26. Februar 2009 | Revision: 28. Mai 2012

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LeSmou
15 Jahre zuvor

polizei anrufen und großfahndung einleiten. und einfach mal anzeigen wegen Entführung etc. pp.. nur so…auch wenn nix dran ist und sie ja nur die besten absichten hat…irgendwas bleibt immer hängen 😉

15 Jahre zuvor

WOAH! Darauf hab ich den ganzen langen Arbeitstag gewartet. Dann kann ich ja jetzt endlich Feierabend machen 😉

Ronald
15 Jahre zuvor

Die beste Blog-i-Novela. 😀

anita
15 Jahre zuvor

ich hasse cliffhanger 🙁

15 Jahre zuvor

Aaaaargh, Cliff übersehen. Ich falle…

@2: Wie, Feierabend machen? Und wenn ich auf dem Heimweg bin, kommt der nächste Teil? Ich werde wohl im Büro campieren und auf Nr. 21 warten 😉

15 Jahre zuvor

@5..ich glaube da kannst du vorher getrost nochmal nach hause fahren 😉
ich tippe auf morgen mit dem nächsten teil *undertakerpieks*

15 Jahre zuvor

Dass es hier auch immer so spannend zugehen muss.

DerBayer
15 Jahre zuvor

Die Nüsselschweif in nen Sarg, Deckel zu und ab zum nächsten Steinbruch.
Konsequenzen: Mehr Friede für Tom, die Menschheit und ein endlich mal gefüllter Krater für den Kiegrubenbetreiber

Rena
15 Jahre zuvor

Pah, und jetzt erst Recht die Polizei anrufen. Der Nüsseldingens eine reinwürgen. Grrrr.

Matze
15 Jahre zuvor

War ja klar, dass das Rüsselschwein noch Mist baut…

15 Jahre zuvor

Wie sich wohl die Nüsselschweifige rechtfertigt, wenn man ihr Entziehung Minderjähriger vorwirft?

Himmel ist die Frau dumm…

Squirrel
15 Jahre zuvor

Die Frau hat wohl nen Schaden, sie hätt ja wenigstens Bescheid geben können! *zeter*

Wurstmann­­
15 Jahre zuvor

Aber den Anrufbeantworter-Spruch mag ich.

15 Jahre zuvor

Whoah! *auf Fortsetzung gar nicht warten kann*
Wie immer toll geschrieben.

Dorien G
15 Jahre zuvor

„Sie hat Benjamin dabei und wir trinken alle gemeinsam noch einen Kaffee“

Ist Kaffee denn gut für einen Neugeborenen?
Und all das von Olugulade 15 bis Olugulade 20 fandst Du damals eher nicht erzählendswert? Da bin ich dann aber gespannt, was Frau Nüsselschweif jetzt in der Gegenwart verzapft hat…

StevieMC
15 Jahre zuvor

Jaja, war doch logisch, daß die blöde Nüsselschweif wieder dazwischenfunkt – immer „Für das Wohl des armen Kindes“, oder wie war das noch gleich ? 🙁

macabre deified
15 Jahre zuvor

Ich glaube Tom zwar, dass diese Geschichte großteils wahr ist,
allerdings wäre es schlicht blöd, zu glauben, dass sie in der Gegenwart spielt. Er hatte ja auch mal darauf hingewiesen, dass er an Details wie Alter, Jahreszahl, Beruf, usw. gerne mal zur Anonymisierung herumspielt, was ja auch allemal verständlich ist.

Die hier so oft bemängelten Cliffhanger finde ich garnicht schlimm, im Gegenteil, ich finde sie erhöhen den Gesamtcomfort beim Lesen. Wieso sollte Tom denn auch etwas, was sich in der Realität über Wochen, wenn nicht Monate erstreckt hat, in einem Volltext wiedergeben? Sicher wäre der einfacher zu lesen, und man hätte dann auch gleich das Ergebnis des Ganzen parat, aber dem Realismus tut die Cliffhangerei weit besser.

Madner Kami
15 Jahre zuvor

Boah, das ist ja wohl der Abgrund der abgründlichen Abgründlichkeit. Wie dummdresit kann das Rüsselschwein noch werden?! Ich hoffe ja, ihr habt ihr dann irgendwann auch noch die Polizei auf den Hals gehetzt…

Warte gespannt auf die weitere Entwicklung der Geschichte.

Eulchen
15 Jahre zuvor

Neeeeeeeeein ist das spannend. Ich warte artig bis morgen auf die Fortsetzung.

jemand
15 Jahre zuvor

Kauf noch so eine Puppe wo der Mensch anatomisch korrekt dargestellt wird und lass Daniel darauf zeigen, was sie mit ihm gemacht hat. Wir wissen ja alle was darauf folgt. Aber ob du dich auf Nüsselschwein-Methoden herablässt.

MacKaber
15 Jahre zuvor

Oder noch besser, kauf eine gut genährte korrekt dargestellte Puppe, und eine Packung Stecknadeln…….

Eulchen
15 Jahre zuvor

dann braucht es aber noch Haare oder Fingernägel (bääääääääks) oder etwas Blut von Madam Nüsselzahn

15 Jahre zuvor

Scary-Movie Style im Bestatterweblog?
Die Nüsselschweif rappt auf dem Anrufbeantworter, Slapstick-Einlagen des besorgten Ehepaars und Tom als strahlender Held rettet schwarze Kinder. Mir product placing von youtube.

Krass.

jemand
15 Jahre zuvor

@MacKaber
Stimmt. Hab die Geschichte nicht nochmal nachgelesen.

15 Jahre zuvor

Ja und von wem hat Dein Sohn nu das holzbirnige? Das würde mich ja schon interessieren.

Ma Rode
15 Jahre zuvor

Kann man dieser Birnbaum-Rüsselschwein nicht endlich mal das Handwerk legen?!

idriel
15 Jahre zuvor

Der Rüsselsteif gönne ich doch mal ein „freiwilliges“ soziales Jahr in Afrika – da könnte sie womöglich was sinnvolles tun. Was für eine schreckliche Person!!

Jule
15 Jahre zuvor

Wenn Doofheit klingeln würde, das Rüsselvieh bräuchte bestimmt kein Mobiltelefon mehr! Und wie gings nun weiter? Meine Güte, Sie machens aber spannend *hufescharr*

15 Jahre zuvor

@27/idriel: DAS ist mal ne gute Idee! Und ich würde für mein Leben gern ihr Tagebuch während dieses Jahres lesen! 😀

ärgernis
15 Jahre zuvor

@ idriel
Wenn die Entwicklungshilfe in Afrika eines nicht gebrauchen kann, dann sind es Leute wie die Rüsselschweif. Wenn man sich mal ansieht, was „wir“ mit unserer Entwicklungs“hilfe“ schon alles angerichtet haben, schäme ich mich.
Entwicklungshilfe hat nur eine Chance wenn sie wirklich hilft und nicht schön brav anknüpfend an die Missions-Tradition „denen mal gezeigt wird wie es richtig geht“. Ein kluger, Katastrophenhilfe-erfahrener Mann hat mal gesagt: „Entwicklungshilfe ist was wir mit denen machen wenn es ihnen so schlecht geht dass sie sich nicht wehren können“.
Wollte nicht eine Diskussion anzetteln oder so, möchte nur klargestellt haben dass Frau Nüssel-Rüssel-Schweif oder wie sie auch immer heisst mit ihrer Arbeit mehr schadet als nützt, wie uns das Tom ja auch schon bewiesen hat. Mit DEM Verständnis für Hilfe, dass Kinder am besten aus der Familie gerissen werden, egal aus welcher, und dass sie alleine weiss was „das beste“ ist für andere Menschen, wir würden uns mit Händen und Füssen wehren gegen die Frau. Das Dumme ist, dass das ihre afrikanischen Opfer nicht können.




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