Geschichten

Opa Kleiber IV

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Was mir bei städtischen Bediensteten immer schon aufgefallen ist, ist die Tatsache, daß jemand so faul, unhöflich und inkompetent sein kann, wie er will, sein unmittelbarer Vorgesetzter wird immer sagen, daß das das beste Pferd im Stall sei.

Die Leute beschweren sich reihenweise beim Friedhofsdirektor, denn die Telefonnummer seines Vorzimmers steht auf dem Zettel in den Schaukästen der Friedhöfe. „Fragen, Anregungen, Beschwerden? Rufen Sie an!“
Fast jeder Anruf der letzten Zeit drehte sich um die „Qualle“, doch der Friedhofsdirektor versicherte mir am Rande einer Beerdigung auf einem anderen Friedhof, daß er ganz froh sei, daß der Mann mal richtig durchgreife, da sei über viele Jahre der Schlendrian eingekehrt und da müsse „man jetzt mal mit dem eisernen Besen durchfegen“ und dafür sei die Qualle genau der Richtige.

Für uns direkt hat sich nicht viel geändert, da wir aufgrund einer alten Absprache mit der Friedhofsverwaltung unsere eigenen Schlüssel für die Leichen- und Trauerhalle haben. Aber alle anderen Bestatter beklagen sich, daß die beiden Hallen fast immer abgeschlossen sind und sie den Dicken immer erst mühsam auf dem ganzen Friedhof suchen müssten. Meist halte er sich im alten Wärterhaus am anderen Ende des Friedhofs auf, wo er angeblich fast den ganzen Tag Zeitung lese und Radio höre.

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Ansonsten läuft der Dicke mehrfach am Tag auf dem Friedhof Streife und hat sich inzwischen wohl mit jedem der regelmäßigen Friedhofsbesucher angelegt. Man darf jetzt hinter dem Grabstein keine Gießkanne mehr lagern und dort auch keine Blumenvasen oder diese kleinen Harken und Schüppchen verstecken. Das störe das Gesamtbild des Friedhofs.
Man sehe die Sachen doch gar nicht, protestieren die alten Leute, doch der Dicke blieb hartnäckig und fertigte einen Aushang und setzte eine Frist. Als die abgelaufen war, ließ er alle diese Gegenstände einfach einsammeln und neben der Kompostanlage auf einen Haufen werfen.

Opa Kleiber hat sich von irgendwoher einen Spazierstock für Jäger besorgt, den man aufklappen kann und an dem sich dann ein schmaler und unbequemer Sitz befindet.

Gustl, die Qualle, hat aber kein Mitleid mit dem alten Mann und wenn er ihn abseits des Grabes seiner Frau sieht, scheucht er ihn gleich weg. „Ich hab nix dagegen, wenn Sie am Grab von Ihrer Frau stehen tun, aber herumgelungert wird nich‘. Wenn erst mal einer hier immer herumsitzt, dann hab‘ ich erst alles voll mit Rentnern, dann kommen die Invaliden, dann die Arbeitslosen und nachher die Penner! Und wer muß die Bierflaschen und Kippen alle wegräumen? Na? Wer wohl? Genau! Ich!“

„Ich rauche nicht und ich trinke nicht, ich will bloß hier sitzen“, soll sich Opa Kleiber gewehrt haben, doch der Friedhofsverwalter bleibt unerbittlich und spätestens nach einer halben Stunde schickt er jeden Friedhofsbesucher weg.

„Nein, nein, der verjagt keine alten Leute“, wehrt sich der Friedhofsdirektor, als ich ihn darauf anspreche. Ich sage ihm, daß die Friedhöfe ausdrücklich auch als Grün- und Parkanlagen ausgewiesen seien und der Bevölkerung auch zur Erholung dienen sollen. Da könne es doch nicht angehen, daß der Dicke alle Leute von „seinem“ Friedhof verjage.

Der Friedhofsdirektor hört sich meine Argumente gar nicht richtig bis zum Ende an und sagt: „Da ist viel weggekommen in letzter Zeit und da haben immer viele dunkle Gestalten herumgelungert. Da ist es ganz gut, wenn da mal mit fester Hand durchgegriffen wird.“

„Ich bin oft auf dem Friedhof, da lungert niemand herum, da will bloß ein alter Mann auf der Bank sitzen und da wollen bloß ein paar Rentner ein paar Stunden Abwechslung in ihren eintönigen Alltag bringen, mehr nicht.“

„Dann sollen die in die Seniorentagesstätte gehen, da werden lustige Spiele mit den Dementen gespielt und Lieder von früher gesungen, die haben doch sowieso alle Alzheimer und erinnern sich nur noch an Kinderlieder.“
Der Friedhofsdirektor lacht meckernd, klatscht sich mit den Händen auf die Schenkel und erzählt mir von einer alten Frau die auf dem Südfriedhof jeden Tag ein bis dahin verwildertes Grab pflegt, obwohl das Grab ihres Mannes schon vor drei Jahren weggemacht worden sei. „Stellen Sie sich vor, die merkt das gar nicht! Hahaha Hahaha!!!“

Ich kann das gar nicht fassen. So ein Verhalten kommt in meiner Software gar nicht vor und wenn das der Fall ist, dann fällt mir, ob der Dreistigkeit und Dummheit, mit der mir solche Leute begegnen, auch manchmal einfach keine passende Antwort ein. Das ist einfach viel zu weit von dem Niveau entfernt, auf dem ich mich zu unterhalten pflege.

Der Friedhofsdirektor klopft mir jovial auf die Schulter und steigt in seinem zweieinhalb Tonnen schweren Dienst-Geländewagen ein und fährt weg.

Arschloch!

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