Allgemein

Paolo Laterno

So war das also an jenem heißen, schwülen Tag, als wir Paolo Laterno aus seiner verwinkelten Hinterhofwohnung abgeholt hatten. Jetzt, so rückblickend betrachtet, kann man darüber schmunzeln, damals war uns gar nicht danach, uns schwirrten die Köpfe, als wir mit dem Verstorbenen an Bord nach Hause fuhren. Wie das so ist, man fährt mit gemäßigtem Tempo. Erst war es ja ein Stück Fußgängerzone, da geht es sowieso nicht schnell, aber auch dann verhalten wir uns im Verkehr eher unauffällig. Man will ja auch nicht, daß an die teuren Autos was dran kommt. Denn wenn mit einem Bestattungswagen was passiert, dann nie vorne, denn die vorderen Türen, die Kotflügel, ja die sind Standard. Nee, wenn etwas passiert, dann hinten oder hinten an der Seite, da wo nur Spezialteile verbaut wurden und wo es bei Reparaturen dann so richtig teuer wird.

Die Klimaanlage kühlte uns auf ein erträgliches Maß herunter und wir endlich auf den Hof des Bestattungshauses einbogen, fingen wir gerade an, uns etwas zu entspannen.

Werbung

Doch mit der Entspannung war es sofort und schlagartig vorbei, als wir die Ansammlung von Fiat und Lancia entdeckten, die auf dem hinteren Teil des Hofes parkten. Frau Büser kam herausgelaufen: „Chef, Sie müssen was machen, das Haus ist voller Italiener!“

Während unser Fahrer den Wagen mit dem Vestorbenen die Rampe hinunter in den Keller chauffierte, betrat ich durch die Hintertür unser Bestattungshaus. Die erste, die mit begegnete, war Mama Maria, das lebende Navigationssystem aus dem kleinen intalienischen Dorf Pitorello. Das heißt, eigentlich begegnete sie mir nicht, sondern sie saß in unserer Halle neben dem Treppenaufgang auf einem Stuhl und schnarchte.

„Ah, da sinte sie ja. Wir habbe alle schon gewartet und mein Familia musse alles angucke“, hüpft mir der Quirlige entgegen und ich höre, daß aus allen Räumen unseres Hauses italienisches Stimmengewirr klingt. Ich seufze, schaue den Quirligen an und sage: „Sie wollten doch in kleiner Besetzung kommen, nicht die ganze Familie.“

In seinem Gesicht versammelt sich die ganze Liebenswürdigkeit des Mittelmeeres, er legt den Kopf etwas auf die Seite, breitet die Arme aus und sagt mit zuckersüßem Unterton: „Sinnte wir alle klein, sinnte Italiener!“ Er strahlt und ich nicke nur, wo er Recht hat, hat er Recht.

Der übermüdete Luigi unterbricht uns, er sucht nach dem Klo. Ich weise ihm den Weg, zeige eindeutig nach link und während Luigi zielsicher nach rechts abbiegt, zieht mich der Quirlige in unseren Ausstellungsraum. Dort herrscht eine Stimmung wie auf einem Fischmarkt am Mittelmeer. Etwa neun oder zehn Familienangehörige haben alle unsere Sargdecken vom Ausstellungsständer genommen und ausgebreitet. Teils auf dem Boden, teils auf den ausgestellten Särgen. Man beratschlagt offenbar, welche Ausstattung die richtige für Paolo sein könnte. Ich nehme mal an, daß die sich beratschlagen, auf den ersten Blick scheint es nämlich eher so, als ob sie sich jeden Moment die Köpfe einschlagen wollen. Wild gestikulierend deutet ein alter Mann auf eine seidengraue Decke und aus der anderen Ecke des Raumes melden sich wort- und lautstark diejenigen zu Wort, die ausgerechnet eine Decke in bunt haben wollen. Diese bunte Decke in einem psychedelischen Gemisch aus Bleu und Pink mit organgefarbenen Kreisen ist eine solche geschmackliche Entgleisung, daß man auf jede Droge verzichten kann. Um high zu werden, muß man nur einige Minuten diese Decke anstarren.

Der Pietätwarenhändler hat sie von einer Bestattermesse mitgebracht, angeblich hat er auf dem Bestellzettel die falsche Reihe angekreuzt und um die scheußlichen Dinger loszuwerden, hat er jedem seiner Kunden eine dieser Technicolor-Schrecklichkeiten zu einem Fast-schon-geschenkt-Preis aufgeschwatzt.

Aus dem Nebenraum, einem Beratungszimmer, poltert und scheppert es, ich will nachsehen was da los ist, doch der Quirlige verstellt mir den Weg: „Isse Familia“, sagt er knapp, „habbe Hunger!“, Dabei schürzt er die Lippen, nickt heftig, als ginge es um etwas vollkommen Selbstverständliches und ich bin kurz davor, ihn mal eben hochzuheben und in das Regal mit den Urnen zu setzen. Ich beschränke mich darauf, ihn einfach beiseite zu schieben, gehe nach nebenan und sehe, daß dort eine weitere römische Kohorte dabei ist, die Tische zu einer Tafel zusammenzuschieben und die Stühle neu zu ordnen.
„Alles kein Problem, Cheffe, sie mache keine Problem? Oder?“
Fassungslos stehe ich in der Tür, der Quirlige versucht mich davon zu überzeugen, daß das alles „ganze normale“ sei, und genau in dem Moment kommen drei Frauen von hinten, schieben uns palavernd in den Raum und bringen Brot, Wurst, Tomaten und Wein.

Mein Handy düdelt, es ist meine Frau: „Du hier oben sitzt ein Italiener auf unserem Klo und schläft. Hast Du den in die Wohnung hochgeschickt?“

Aus dem Ausstellungsraum ertönt eine heisere, hohe und laute Stimme. Mama Maria ist aufgewacht und hat in der Deckenfrage ein Machtwort gesprochen. Paolo bekommt von der bunten Ausstattung das Kissen und von der seidengrauen die Decke. Mit diesem Kompromiss können augenscheinlich alle beteiligten Fraktionen gut leben und man kommt jetzt versammelt zu uns, drückt mir Kissen und Decke in die Arme und läßt sich zum fröhlichen Tafeln nieder.

Na wenigstens haben die sich jetzt wegen der Decke entschieden und die meisten sind jetzt in einem Raum, um zu essen und zu trinken. Der Quirlige hat Luigi von oben geholt und bringt meine Frau mit: „Komme alle, jetzte isse Pause, kurz Pause, dann such wir die Sarg ausse, ja?“

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#laterno #paolo

Lesezeit ca.: 7 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)