Geschichten

Pokemon Go – Ihr seid die größten Idioten

Pokemon go
Pokemon Go auf dem Friedhof spielen. Soll ich, oder soll ich nicht?

Ich persönlich halte ja von diesem komischen japanischen Pokemon-Spiel überhaupt nichts. Überhaupt halte ich mich, als der Intellektuelle in unserer Familie, von solchen Hypes, Moden und Trends immer fern. Denn, wie flüchtig ist das Leichte und Sinnlose! Außerdem fehlt mir als vielbeschäftigtem Mann die Zeit, um wie ein Smartphone-Zombie durch die Gegend zu stapfen, um lächerliche bunte Taschenmonster einzufangen. So ein Humbug!

Gut, meine Tochter spielt Pokemon Go. Aber sie ist ja auch ein junges Mädchen und darf das. In dem Alter haben wir ja auch ganz verrückte Sachen gemacht. Wir haben uns beispielsweise unsere Jeans mit Kuli angemalt, meist mit Namen von Bands, die wir gar nicht kannten. Und hinten in der Schlaghose trugen wir eine Haarbürste, eine möglichst große Haarbürste. Ich ja jetzt weniger, da ich immer antitrend und sozusagen Trendsetter war. Als alle anderen die Haare lang trugen, bestellte ich beim Friseur: „Einmal den Himmler, bitte!“, und als alle Welt in Levis-Jeans mit riesigem Schlag herumlief, kaufte ich Wrangler Röhrenjeans.
Lange Haare trug ich erst wieder, als die von mir bevorzugte Kurzhaarfrisur zum Aushängeschild bestimmter rechtsradikaler Kreise wurde. Das heißt, ich hätte mein durchaus üppiges und wallendes Haupthaar lang getragen, wenn es noch in ausreichendem Maß verfügbar gewesen wäre.

Also wie gesagt, wir waren ja auch mal verrückt. Und da habe ich natürlich heutzutage großes Verständnis für meine liebreizende Tochter, wenn sie Pokemon Go spielen möchte.
Selbstverständlich komme ich meiner erzieherischen Pflicht ordnungsgemäß nach, indem ich dem durch seine Femina ja etwas benachteiligten Kind meine Medien- und Technikkompetenz in nahezu selbstloser Weise zur Verfügung stelle.
Ich habe ja sowieso das Handy mit dem größeren Display und mehr Speicher. Also haben wir das Spiel auf meinem Handy installiert.

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Mich selbst interessiert das alles ja herzlich wenig, aber wenn das Kind gelegentlich mal Pokemon Go spielen möchte, stelle ich ihr mein Gerät gerne mal kurzfristig zur Verfügung.
Okay, zwischendurch helfe ich dem nachgeborenen Weibchen natürlich, indem ich ihr ein paar Mal am Tag -sozusagen als Zeichen väterlicher Güte- ein paar Ratzfratze und Taubsis fange. Ich habe im Werfen der virtuellen Bälle eh mehr Geschick als sie, die die Grobmotorik der Mutter in erschreckender Weise geerbt zu haben scheint.

Ich, äh wir, sind jetzt schon auf Level 20, was aber nur dem Umstand geschuldet ist, daß ausgerechnet bei uns an der Ecke ein so genannter Pokestopp ist. Von der Wohnung aus kann ich da die Pokemons abgreifen, die andere Leute dort mit Lockmodulen anlocken. Ich muß halt nur schneller sein. Moment…
Ein Hornilu!
So, wo war ich?
Ach ja, ich wollte erzählen, weshalb ich von dem ganzen Pokemon-Scheiß nichts halte.

Da sitzen wir also gestern Abend bei unserem Lieblingsgriechen auf der Terrasse und mümmeln einen Bauernsalat. Drei Tische weiter sitzen Hühner auf der Stange. Also so Frauen im Alter zwischen Ende Dreißig und tot.
Die scheinen sich einmal in der Woche zu irgendwelchen Gemeinsamkeiten zu treffen. Es gehört ja bekanntlich nicht viel dazu, daß Frauen Gemeinsamkeiten erkennen, meist reicht die bloße Existenz. Das gibt dann auch jede Menge Stoff für Gespräche über diese Gemeinsamkeiten.

Wenn ich sage wir, dann meine ich meine Tochter und mich. Wir mümmeln also, und das Kind tippt zwischendurch mal ein paar Evolis und Raupis in die Kugeln und sucht nach einem Wassergeist.
Da gucken die Hühner immer so zu uns rüber. „Pokemon“, dringt es an mein Ohr. Kopfschütteln am Hühnertisch. Eine sagt: „Pokemon, das sind doch die größten Idioten, die das spielen. So etwas Sinnloses!“
„Ja, da hast Du Recht, Irene. Wie kann man nur?“
Erneutes kollektives Kopfschütteln, diesmal begleitet von Lippenschürzen und dem Ausstoßen des Geräuschs: „Tsss, tsss, tsss…“

Die Frauen unterhalten sich und machen irgendwas. Ich kann nicht genau erkennen, was sie tun. Lösen sie gemeinsam Kreuzworträtsel?
„Papa, Du bist so dumm!“, läßt sich meine Tochter vernehmen: „Die malen aus!“

„Was machen die?“

„Die malen aus.“

„Ja, das habe ich verstanden, allein ich vermag den Sinn Deiner Worte nicht zu erfassen.“

„Die malen Bildchen aus. Da gibt’s so Vorlagenbücher, die man mit Filzer oder Buntstift ausmalen kann.“

„Äh, Du meinst Malbücher?“

„Jau, Papa.“

„Nee, jetzt ernsthaft, Du meinst wirklich Malbücher.“

„Ja, sag ich doch.“

„Du willst mir jetzt nicht erzählen, daß da fünf erwachsene Frauen sitzen und Malbücher mit Buntstiften ausmalen?“

„Doch, das machen jetzt viele, ist voll in im Moment.“

Die Hühner gucken zu mir herüber, als ich ein wildes Taubsi in seine Pokemon-Kugel sperre. Ihre Blicke sagen alles. Sie stufen mich zwischen Kinderschänder und Vollidiot ein.

Ja, ich schäme mich! Ich schäme mich so, daß ich nicht auf die Stufe der Evolution gelangt bin, auf der man Malbücher auspinselt.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

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(©si)