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Familie Schlottbacher ruft an. Es ist der Tag der Beerdigung ihres Opas. Eigentlich müssten die Schlottbachers noch beim gemeinsamen Kaffeetrinken mit den übrigen Trauergästen sitzen, doch sie rufen bei uns an.
Genauer gesagt ruft die Schwiegertochter des Verstorbenen, Frau Fricklingshausen-Schlottbacher, bei uns an:

„Wir sind in hellster Aufregung! Hier steht alles Kopf! Wir sind ganz aufgelöst! Wir müssen sofort mit Ihnen persönlich sprechen und zwar mit Ihrem Chef.“

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Frau Büser klingelt bei mir durch, schildert mir kurz die Situation und daß die Schlottbachers vollkommen aufgelöst sind. Ich bitte Frau Büser, der Anruferin zu sagen, Sie möge noch ein Minütchen warten und rufe dann nach Sandy.
Sandy war am späten Vormittag auf dieser Beerdigung und ich hoffe, von ihr Näheres zu erfahren.

„Was ist beim Sterbefall Schlottbacher passiert, Sandy? Ist der Sarg in die Grube gefallen? Ist der Sarg in der Trauerhalle auseinandergefallen? Ist der Tote wieder auferstanden?“

„Was? Wieso? Nö. Nix. Äh, keine Ahnung, nö, da war nix, alles normal, echt Chef, da war nix. Also ich hab nix gemerkt. Im Gegenteil, die waren sehr zufrieden, die Witwe war nachher noch bei mir am Kondolenzpult und hat mich in den Arm genommen und gedrückt, so schön hat sie es gefunden.“

Gut, ich nehme also das Gespräch an und Frau Fricklingshausen-Schlottbacher jammert auch mir vor, wie aufgeregt man sei, die ganze Verwandtschaft sei in „hellster Aufregung“. Was denn passiert sei, will ich wissen, doch Frau Frick…bacher meint, das müsse man in einem persönlichen Gespräch klären und deshalb komme man jetzt sofort, unverzüglich und auf der Stelle bei uns vorbei.

„Au Backe!“ sage ich zu Sandy: „Da wird irgendwas passiert sein, das Du gar nicht bemerkt hast. Die sind ja vollkommen kopflos und erregt.“

Sandy zuckt nur mit den Achseln und sagt wieder „keine Ahnung“.
Ich kann ja diese Formulierung nicht mehr hören, sie bereitet mir Würgereiz, ist aber offenbar fester Bestandteil eines jeden Satzes aus jugendlichem Mund geworden.
Meine Kinder ernten von mir hochgezogene Augenbrauen und stellen dann ihre Sätze um, aber wenn Freunde und vor allem Freundinnen unserer Kinder da sind, höre ich oft Sätze wie:
„Ob ich meine Hausaufgaben schon gemacht habe? Ja, keine Ahnung, sicher, hab ich schon gemacht, keine Ahnung, oder so.“

Man fügt also die Wörter „keine Ahnung“ einfach vollkommen sinnlos in die Sätze ein, so wie Deutschlands berühmtester Stuss-Stammler Thilo Sarrazin immer an den unmöglichsten Stellen das Wort „also“ in seinen Sprechdurchfall einfließen läßt.

Nun gut, die Familie Schlotthauer taucht etwa eine halbe Stunde später bei uns auf. Sechs Personsn.

Also nochmals: Die haben Beerdigungstag, da hat man für gewöhnlich andere Dinge zu tun, als ins Bestattungshaus zu fahren; es muß also etwas ganz Wichtiges sein, daß sie sich auf den Weg machen.

Ich will die Familie in eines unserer Besprechungszimmer führen, doch eine kleine, dünne Frau mit spitzer Nase stellt sich als Frau Fricklingshausen-Schlottbacher vor und will gleich zur Sache kommen.

Meine Güte, was mag da schief gelaufen sein?

„Sie, wir müssen mit Ihnen reden!“

„Ja bitte!“

„Das muß jetzt auf der Stelle geklärt werden.“

„Um was geht es denn?“

„Das ist eine Sache von ungeheurer Wichtigkeit und sie duldet keinen Aufschub.“

„Ja?“

„Es dreht sich um die folgende Frage…“

„Ja?“

„…wegen der Danksagungen.“

„Was?“

„Ja, wegen der Danksagungen.“

„Und?“

„Ja, wir sind uns nicht sicher, ob wir die Danksagung bereits am Freitag oder erst am Samstag in die Zeitung setzen sollen.“

„Und deshalb kommen Sie her?“

„Ja, aber das ist doch wichtig, so etwas bricht man doch nicht am Telefon übers Knie.“

Es ist völlig egal, ob die Leute diese Anzeige am Freitag oder am Samstag in die Zeitung setzen.
Normalerweise erkläre ich den Kunden immer eine alte Bestatterweisheit, daß nämlich die Samstagsausgabe eine wesentlich höhere Auflage hat, weil sich zum Wochenende viel mehr Leute eine Zeitung kaufen, als unter der Woche.
Auf der anderen Seite werden die Wochentagsausgaben oft intensiver und sorgfältiger gelesen, weil am Wochenende in der Zeitung auch noch der üppige Stellen- und Gebrauchtwagenmarkt locken.

Aber deshalb die Beerdigungszeremonie, sprich das Kaffeetrinken, zu unterbrechen und dem Bestatter einen Schreck einjagen?

Diese Kunden müssen Römer sein, denn die spinnen ja bekanntlich, die Römer.

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(©si)