Geschichten

Röschen und Kalli 4

Herr Rose war da und ich war mal wieder baff. Heute kam er in einem dunklen Anzug und man hätte auch „Herr Senator“ zu ihm sagen können. Nicht jedoch abgelegt hatte er sein exaltiertes Bewegen und Sprechen, gepaart mit großer Trauer und jetzt auch Entrüstung über das Verhalten des Vaters seines Partners.

Viele Jahre habe der alte Mann sich nicht um seinen Sohn gekümmert und Röschen empfindet es als Zumutung und Unverschämtheit, daß der sich jetzt einmischen wolle. Ich beruhigte ihn dahingehend, daß ich überhaupt keinen Grund sehe, dieses Mal anders zu verfahren, als bei allen anderen Fällen, in denen sich Eltern in die vom Ehepartner des Verstorbenen beauftragte Bestattung einzumischen.

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Das kommt ja häufiger vor, als man glaubt, wobei das häufig einfach an den unterschiedlichen Vorstellungen der Generationen liegen mag. Normalerweise arbeiten wir, wenn die Beteiligten da mitmachen, auf einen Kompromiss hin. Schließlich ist es für uns und die Familie einfacher, wenn hinterher jeder sagen kann, daß es gut und richtig war.
Ich erinnere mich da an eine Mutter, die während der Trauerfeier aufgestanden war und über das Mikrophon des Pfarrers mit ihrer Schwiegertochter abgerechnet hatte. Eine sehr peinliche Situation, die glücklicherweise nicht auf uns zurückgefallen ist. Angesichts des Todes eines Menschen sollte man soviel Anstand besitzen, die Trauerfeierlichkeiten nicht zu stören. Man schreit ja auch bei einer Hochzeit nicht Zeter und Mordio, nur weil einem das Brautkleid nicht gefällt.

Der Vater des Verstorbenen hatte heute Morgen schon sehr früh bei Kollege XYZ angerufen und sich erkundigt, ob sein Sohn schon da sei und ob er den Sarg bestellen könne. Kollege XYZ scheint zwar den Auftrag gerne haben zu wollen, aber auch keine Lust darauf zu haben, den Alten bedienen zu wollen. Er, der Kollege, rief mich nämlich an und meinte ziemlich unhöflich, ich solle jetzt mal die Kuh vom Eis holen oder den Toten hergeben.

Röschen lässt keinen Zweifel daran, daß er die Sache durchziehen will. Sogar das Geld für die Bestattungsrechnung hat er schon mitgebracht: „Wenn das alles schon bezahlt ist, gibt’s kein Vertun mehr!“

Es soll alles so ablaufen:
Morgen schon will Röschen von Kalli Abschied nehmen. Dazu möchte Röschen eine Stunde mit Kalli alleine in einem Aufbahrungsraum sein und ihm seine Lieblingsmusik vorspielen. Das ist kein Problem, da gibt es einen CD-Spieler. Ob man denn den Verstorbenen anfassen dürfe? Natürlich darf man das, die sind nur kalt, aber nicht giftig. Wie das denn mit dem Schmuck sei. Er wolle Kalli noch eine Armbanduhr, eine Kette und einen Ring anlegen, ob er das auch dürfe? Ich nicke, das ist kein Problem. Ich merke wie Röschen herumdruckst und ahne schon, was er fragen will. Um ihm die Sache zu erleichtern, sage ich wie beiläufig: „Sie können den Verstorbenen anfassen, ihn streicheln und manche wollen ja auch noch einen Kuß geben. Nur für denn Fall, daß Sie das möchten, sollten Sie wissen, daß das kein Problem ist.“
Röschen schließt die Augen, holt tief Luft und seufzt. Dann nickt er langsam und sagt: „Gut, daß Sie das sagen… nur ein Abschiedskuß, mehr nicht…“

Es mag für Viele ein Gedanke sein, der etwas Abstoßendes hat. Aber das ist wirklich nur durch die Tabuisierung des Todes begründet. Sachliche Gründe, Ekel vor einer Leiche zu empfinden, gibt es in Wirklichkeit nicht. Ich bin immer wieder verwundert, daß Menschen einen lieben Angehörigen pflegen, ihm Erbrochenes vom Gesicht wischen, Kot beseitigen können und ihn dennoch küssen und liebkosen. Kaum jedoch hat er die Augen für immer verschlossen, wagen sie nicht mehr ihn anzufassen und ganz oft habe ich das Gefühl, wir müssten ihn dann schnell entsorgen, wie Sondermüll.
Ganz anders war da eine Frau, die den Arzt erst morgens gerufen hat, obwohl ihr Mann schon am Abend im Bett gestorben war. Sie hat sich neben ihn gelegt, ihn in den Arm genommen und die ganze Nacht liebgehalten. Erst als die letzte Wärme gewichen war (etwa 1 Grad pro Stunde, je nach Umgebungstemperatur) und er ihr kalt und steif vorkam, hat sie den Arzt bestellt.
„So konnte ich von ihm Abschied nehmen, ganz so wie er es gewollt hätte und nicht nur ein paar Minuten am aufgeklappten Sarg stehen.“

Röschen möchte aber am aufgeklappten Sarg stehen und dennoch in der Weise Abschied nehmen, wie er es sich vorstellt. Das gefällt mir. Wir müssen nichts anderes tun, als ihn machen zu lassen und werden einen zufriedenen Kunden haben.

Die Trauerfeier soll am Donnerstag sein. Es kommt ein evangelischer Pfarrer, den ich gut kenne, und der homosexuellen Paaren immer schon das Gefühl vermittelt hat, nicht ausgeschlossen zu sein. Der wird sich auch um die Musikauswahl kümmern, es kommt nur ein einziger Musikwunsch von Röschen zum Einsatz. Ganz am Ende wird „Er gehört zu mir“ von Marianne Rosenberg gespielt.
„Sie dürfen sich aber nicht wundern, wenn es etwas schrill wird“, sagt Röschen und guckt mich mit vorauseilend entschuldigendem Blick an. Ich zucke nur mit den Achseln und meine: „Was stellen Sie sich denn vor?“
„Nee, wir kommen nicht im ‚Fummel‘, keine Bange. Aber wir wollen Champus trinken und der Sarg soll in der Mitte stehen, daß wir alle im Kreis um Kalli herumsitzen können. Ich gehe heute noch zum Schnellfotografen und lasse mir ein paar Dias auf Papier ausdrucken, diese Bilder würde ich gerne herumzeigen.“

„Wir haben eine Leinwand in der Trauerhalle“, sage ich, „Sie können also auch die Dias direkt zeigen.“
„Das wär‘ ja oberprima“, jubelt Röschen und zappelt mit Armen und Beinen. Er will die wichtigsten Stationen des gemeinsamen Lebens abspielen und mit den gemeinsamen Freundinnen und Freunden das Leben von Kalli feiern. „Wir sind alle traurig und ich bin fix und fertig, aber jetzt noch eine Trauerfeier bei der alle nur traurig gucken, das könnte ich nicht verkraften. Man soll sich doch lieber an das Schöne erinnern, das man gemeinsam erlebt hat. oder?“

Marianne Rosenberg, Champagner und draußen ein kaltes Büffet, das ist doch alles kein Problem, ich hatte es mir anders vorgestellt, irgendwie tuntiger, aber ich verstehe ja auch nichts davon. Es ist aber auch nicht meine Aufgabe, zu beurteilen, ob das was die Trauergäste sich wünschen schön ist, ich kann nur mithelfen, daß es so wird, daß sie es schön finden. Aber so wie Röschen das vor hat, so finde ich es auch schön.

Kalli soll dann eingeäschert werden und auf der Wiese ausgestreut werden. Das geht aber hier auf dem Friedhof nicht und Röschen schaut mich mit großen, enttäuschten Augen an. „Ich dachte, das sei ganz normal, daß die Asche auf der Wiese vom Friedhof verstreut wird.“

Das glauben viele Leute, aber es ist nicht so. Die Urnen werden zwar anonym, aber an doch bekannten Plätzen beigesetzt. Ich zähle Röschen die ganzen mir bekannten Möglichkeiten auf. Angefangen von der Ausstreuung der Asche von einem Heißluftballon über dem Elsaß, bis hin zur Übergabe der Asche an einen rauschenden Bergbach in der Schweiz.
Das gefällt ihm zwar alles, aber das sei ja alles so weit weg.

Ich bespreche mit Röschen eine weitere Variante, die Leser meines Weblogs wissen, welche ich meine, und wir kommen überein, daß die Asche später in die Niederlande überstellt wird. Wie es dann weitergeht, entzieht sich ja üblicherweise meiner Kenntnis…

Bleibt das Problem, wie wir mit dem Vater des Verstorbenen umgehen. Zu der von Röschen geplanten Trauerfeier wird er wohl kaum kommen und ich muss einen Weg finden, damit auch er Abschied nehmen kann. Ich hadere mit mir, ob ich den Vater anrufen soll.


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Kategorie: Geschichten

Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 9 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 23. Oktober 2007 | Revision: 26. Januar 2025

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