Geschichten

Röschen und Kalli 9

Kurz nach 10 Uhr ging es los. Der VW-Bus einer Gärtnerei vom anderen Ende der Stadt fuhr auf den Hof und man fragte nach der Trauerfeier von Kalli. Noch während meine Frau den beiden Floristinnen den Weg zur Feierhalle zeigte, kam auch der Kurier, der die Abgüsse für die Totenmakse und die Hände abholte. Das könne man unmöglich der ‚Post‘ anvertrauen, hatte der Künstler aus Thüringen gemeint, als er heute Morgen anrief, um sich zu erkundigen, ob alles soweit geklappt hätte oder ob er nicht doch besser kommen solle, um die Abgüsse selbst zu nehmen.

Ich bin heilfroh, daß ich Sandy habe. So albern und ausgelassen, immer fröhlich und doch in der Sache so korrekt und fachlich versiert, ein Goldstück! Kein Wort habe ich gestern sagen müssen, das Wort Überstunden kennt sie gar nicht, sie merkt, wenn sie gebraucht wird und ist dann einfach da. Wundert es da jemanden, daß ich es ihr nachsehe, wenn sie auf oder unter dem Schreibtisch mal ein Nickerchen macht, wenn bei ihr am 15. schon wieder mal das Geld alle ist, wenn sie auch mal aus dem Urlaub einige Tage zu spät wieder auftaucht? Was die Lebensart anbetrifft, leben Sandy und ich auf unterschiedlichen Planeten, wenn es aber um die Arbeit gibt, ergänzen wir uns wie Schloß und Schlüssel.
Die Arbeit an Kalli ist sehr gut verlaufen, wir haben aber noch zahlreiche Fotos gemacht, denn Kalli hat einen schmalen Schnurrbart und recht buschige Augenbrauen. Diese Gesichtsbehaarung wird dick mit Vaseline eingeschmiert, damit die Abformungsmasse nicht hängenbleibt; später sollen sie doch aber in der Maske erkennbar sein.

Ich regele die Formalitäten mit dem Kurierfahrer, dann gehe ich in die Trauerhalle, wo Kallis Sarg steht. Das heißt er steht nicht mehr an dem Platz, an dem er stand, sondern die beiden Floristinnen haben ihn an die Seite geschoben. Sie bauen drei große Bögen aus Drahtgestell auf und umwickeln sie mit weißen Blütengirlanden. Diese Bögen sollen hinter dem Sarg stehen, als Kulisse quasi.
Auf dem Sarg selbst wird eine Holzlatte befestigt, auf der sich Steckmasse mit viel Grün befindet. Danach werden ungefähr hundert weiße Lilien gesteckt, sodaß sie ringsherum nach unten über den Sargdeckel hängen. Ich finde das sieht in Kombination mit dem grün-blau schimmernden Sarg Klasse aus.

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Die jungen Frauen laden immer mehr Blumen aus und tragen sie in unser Haus. Ich habe schon viele Trauerfeiern ausgestattet und geleitet und ich habe auch schon mal im Auftrag der Kunden 2.000 Euro für Blumenschmuck ausgegeben, aber das hier schlägt alle Rekorde!

Drei große Herzen in Rosa mit Schleifen mitsamt Ständer, zwei Kränze in Rot und acht Blumenständer mit großen Gestecken in Weiß und Rosa.
Ich weiß nicht, wie die Königin von Saba bestattet worden ist, aber wenn ich die Königin von Saba bestatten würde, dann genau mit diesem Blumenschmuck. Herr Rose muß Stunden im Blumenladen zugebracht haben.
Normalerweise übernehmen wir ja die Beratung hinsichtlich des Blumenschmucks und bestellen die Ware. Meine Frau wirft mir immer vor, ich würde das aber zu kostenbewusst machen. Die Blumen sind hier in der Gegen aber auch sauteuer und ich gestehe, daß ich lieber eigenen Umsatz mache, als daß die Leute noch einen Tausender extra für Blumengedöns ausgeben. Aber trotzdem: Mir liegt viel an schönem Blumenschmuck, das gehört zu einer Trauerfeier einfach dazu. Aber soviel hätte ich dann doch nicht bestellt und so bin ich froh, daß Röschen das selbst in die Hand genommen hat.

Eine Stunde später sieht unsere Trauerhalle aus, wie die Dekoration zu einem -na, wie heißen diese Filme?-… ah ja: Revuefilm aus den 30ern. Gigantisch! Alle meine Mitarbeiter stehen wirklich und buchstäblich sprachlos vor dieser Blumenkulisse. Gott sei Dank macht mich eine Mitarbeiterin darauf aufmerksam, denn mit den Gestellen für die Girlanden können wir die Leinwand nicht herunterfahren und Röschen will doch Dias zeigen. Also dekorieren wir noch leicht um, dann passt’s.

Was dann folgt, ist Routine. Soundcheck, Staubsaugen, Licht einstellen (damit die Spots auch die Blumen erfassen), passend verdunkeln und die Tafel draußen im Gang mit Steckbuchstaben versehen. Das Kondolenzbuch kommt auf sein Pult, Kaffee, Wasser bereitstellen, Klos kontrollieren, nichts vergessen?

Manche werden sich fragen, was da verdunkelt werden muß. Der Beruf des Bestatters ist der Beruf eines Showmasters; Vieles in unserem Beruf ist Schau und Schein, wir verkaufen Emotionen. Unsere Trauerhalle ist holzgetäfelt, nur vorne (ich sag jetzt mal vorne zu dem Teil in dem bei einer Kirche der Altar stünde) sind es Wände, die so getüncht und verputzt sind, daß es aussieht wie Sandstein. Der Raum hat in Wirklichkeit keine Fenster. Hinten bei den Flügeltüren schließt sich die Empfangshalle an, rechts von diesem Raum befindet sich der Versorgungsgang über den die Särge entweder in die Trauerhalle oder die Aufbahrungszellen transportiert werden und links von der Halle liegt das Treppenhaus. Hinter der Halle ist ebenfalls ein Versorgungsgang und jenseits dieses Ganges sind die Technik für Aufzüge, Klimaanlagen und die Generatoren untergebracht. Dennoch hat die Trauerhalle hinten Buntglasfenster im gotischen Stil. Und an dieser Stelle beschwindeln wir die Kunden, denn das Sonnenlicht das immer so schön durch die bunten Fenster seine Strahlen auf den Sarg wirft, wird ganz profan von punktgenau hinter den Fenstern platzierten Halogen-Strahlern erzeugt. Damit man die Strahlen schön sieht, wird immer Räucherwerk abgebrannt, weil sich die Lichtstrahlen an dem feinen Rauch so schön brechen. Alles nur Schau, wie man sieht, aber die Atmosphäre ist atemberaubend.

Wenn aber nun vorne viel auszuleuchten ist, kommen die Fenster nicht mehr zur Geltung, deshalb muß man vorher eine regelrechte Lichtprobe machen und das eine oder andere Licht abschalten.

Um 14 Uhr soll Kalli „gefeiert werden“, wie wir das so nennen und etwa eine halbe Stunde vorher kommt ein Herr, der sich als guter Bekannter des Verstorbenen vorstellt und bringt die Dias und einige CDs. Mist! Die Dias sind in irgendwelchen Rundmagazinen und die schluckt unser Projektor nicht. Also hopp, zwei Leute aus dem Büro abziehen und alles umsortieren lassen, hoffentlich steht dann keins auf dem Kopf! Der Bekannte hilft, gut so! Ich bin sehr beruhigt, als ich erfahre, daß er sich später auch um das Abspielen von Dias und Musik kümmern will, bestens!

War da nicht was mit Champus? Ich will gerade anfangen nervös zu werden, da kommt Party-Pauli und bringt blaue Styroboxen mit Eis und Champagner. Gläser haben wir ja, aber sind die gespült? Doch wieder zu früh nachgedacht, Party-Pauli bringt auch Gläser mit. Wir bauen auf.

Der Pfarrer kommt, zieht sich im Rednerzimmer um und hat noch Zeit für einen Plausch. Er findet Röschen so lieb und ich merke, daß er richtig Lust auf diese Trauerfeier hat. Egal, was da passiert, er will es bis zum Ende mitmachen.

Es ist fast 14 Uhr und ich bin gespannt wie ein Flitzebogen.

Röschen kommt. Ganz in Weiß. Ein weißer Frack mit weißem Zylinder!
Was hatte ich eigentlich erwartet? Nun, beim ersten Mal war er gekommen, fast wie Charlys Tante und hatte angekündigt, es würde schrill werden. Da rechnet man mit allem Möglichen, oder?
Zwei Freunde folgen ihm, keine Fracks, aber auch in Weiß. An der Tür bleibt Röschen stehen, blickt von ganz hinten auf den Sarg der inmitten eines Blütenmeeres steht. Er hebt die Hände vor den Mund, schließt die Augen, wankt den Bruchteil eines Augenblicks, schluckt, schaut noch einmal und schüttelt langsam den Kopf. Ich frage: „Irgendwas nicht in Ordnung?“
Röschen wendet den Kopf zu mir, schaut mich an und sagt dann nach endlos scheinenden zwei Sekunden: „Sooooo schöööön!“

Es kommen immer mehr Leute, Männer und Frauen, Paare. Männer-Männer-Paare, Frauen-Frauen-Paare und Männer-Frauen-Paare, etliche kommen alleine, insgesamt sind es 53 Personen.
Alle tragen etwas Weißes. Manche haben es geschafft ganz in Weiß zu kommen, andere haben nur eine weiße Jacke oder nur eine weiße Hose. Die Frauen sind alle fast ganz in Weiß, Frauen haben es da leichter.

Kennt jemand Carmen? Die Ouvertüre? Mit dem Schlag der Becken geht sie los und genau dieser Schlag ist es, der mich zusammenfahren lässt. In voller Lautstärke spielt es Carmen und Röschen zieht unter diesen Klängen, gefolgt von allen Trauergästen in die Halle ein, in der bis jetzt nur der Pfarrer vorne am seitlichen Pult steht. Ich kriege eine Gänsehaut.

Zwei, drei Minuten etwa lässt man die Musik spielen, dann wird es leise, alle sitzen. Der Pfarrer spricht und es tut mir gut, daß er das Thema Liebe und Gemeinsamkeit in den Mittelpunkt stellt.

Ein oft gehörter Satz, aber in diesem Zusammenhang so passend, leitete dann den zweiten Teil ein: „Drum lasst uns nicht nur traurig sein, daß wir Karl-Heinz verloren haben, lasst uns vor allem froh darüber sein, daß wir ihn gekannt haben. Laßt uns heute hier nicht seinen Abschied feiern, für die Trauer ist immer noch Zeit genug und Platz in unseren Herzen. Laßt uns heute mit Werner Rose zusammen feiern, das Leben von Kalli und Röschen feiern.“

Musik. Die Königin der Nacht…

Röschen steht auf, geht nach vorne, bleibt kurz vor dem Sarg stehen und weint. Er will wohl ans Rednerpult, bleibt aber vor dem Sarg stehen und weint laut schluchzend, während die Königin der Nacht durch unsere Trauerhalle klingt.
Ich habe schon wieder Gänsehaut und ich merke, wie ich -ganz Chef, ganz Mann- Tränen runterschlucke. Jemand nimmt meinen Arm, ich merke daß meine Frau neben mir steht, diese schöne, große Frau und mir schießt durch den Kopf, wie es wäre wenn sie da liegen und ich da stehen würde oder umgekehrt und vorbei ist es mit dem Runterschlucken, ich heule.

Röschen hustet, räuspert sich und mit nassen Augen geht er ans Rednerpult.
Ich spare seine Rede hier aus, aber ich habe selten eine solche Liebeserklärung gehört. Nein, ich habe so eine Liebeserklärung noch NIE gehört und bin fest entschlossen, meiner Frau von nun an viel häufiger zu sagen, wie sehr ich sie liebe. JETZT leben wir, JETZT müssen wir uns die Liebe zeigen, Blümchengießen auf dem Friedhof ist ein Liebesdienst aber wahre Liebe gibt es nur auf Gegenseitigkeit und das geht nur unter Lebenden.

Knapp 10 Minuten spricht Röschen, dann nickt er nach hinten, setzt sich wieder und unsere Leinwand fährt herunter. Es tauchen Bilder von Kalli und Röschen auf, nur Bilder auf denen beide sind und dazu spielt Marianne Rosenbergs „Er gehört zu mir“. Jemand muß das Stück zusammengeschnitten haben, so scheint es mir, viele Instrumentalstellen, der Refrain häufiger als gewohnt, aber vielleicht gibt’s das ja so auf Platte.

Die Musik klingt aus. Was wird jetzt kommen? Werden jetzt auch andere Trauergäste aufstehen und sprechen? Viel mehr an Emotionen kann man kaum ertragen, hinter mir zücken meine neugierigen Mitarbeiterinnen auch diverse Taschentücher, ich dreh mich nicht um, die sollen nicht so sehen, daß ich geheult habe…

Nein, der Pfarrer spricht wieder, nach nur wenigen Sätzen spricht er ein Gebet, tritt an den Sarg und dann ist er fertig und geht durch die seitliche Tür hinaus.

Stille. Man hört Leute, die sich räuspern. Röschen sitzt still ganz vorne, die beiden Herren ganz in Weiß neben ihm (ich will immer „ihr“ und „sie“ schreiben, was ja auch nicht falsch wäre, vielleicht ist es mir ja auch im Verlauf der Texte passiert…).

Dann knackt es in den Lautsprechern und erst ganz leise und dann lauter werdend „Time to say goodbye“. Röschen steht auf, macht in Richtung der Anwesenden eine einladende Handbewegung und alle stehen auf, gehen nach vorne. Sie bilden einen Halbkreis um den Sarg und man wiegt sich im Takt der Musik. Dann kommt „Candle in the wind“… Taschentuch-Arie hinter mir…

Kann man schöner Abschied nehmen???

Als die Musik verklungen ist, umarmen die Leute der Reihe nach Röschen und dann ist die Trauerfeier vorbei. Man kommt heraus in die Halle und meine Mitarbeiter verpieseln sich geschwind.

Hatte ich da nicht irgendwann mal was von „schrill“ gehört?
„Barcelona“, singt Freddy Mercury aus den Boxen und es gibt Champagner. Und ich kann es nicht anders beschreiben, es ist als habe jemand einen Schalter umgelegt. Die Leute lachen, sie trinken, feiern und Röschen hat rote Wangen.
Manche gehen mit ihrem Glas noch einmal zurück zum Sarg, was mögen sie wohl Kalli mit auf den Weg geben?
Zwei Stunden lang hat der Champagner gereicht, dann war der ganze Zauber auf einmal sehr schnell vorbei.

Wir hatten genug aufzuräumen und es tat so gut, etwas anderes tun zu können.


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Kategorie: Geschichten

Die teils auch als Bücher erschienenen Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Sie haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Ähnlichkeiten mit existierenden Personen sind zufällig, da Erlebnisse nur verändert-anonymisiert wiedererzählt werden.


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Lesezeit ca.: 15 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 25. Oktober 2007 | Revision: 26. Januar 2025

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