Ich sehe beim vorherigen Artikel nur 10 Geschichten.
Merschwürdisch!
Hier kommen die restlichen sicherheitshalber nochmal:
GESCHICHTE Nr. 11
Die Kiste
„So, det issa.“ Der Dicke schlug mit der flachen Hand auf den mannshohen Karton, der an der Wand des Treppenabsatzes lehnte. Ich war irritiert. Ich hatte ja gar nichts bestellt, schon gar nicht bei der Spedition Brömmle. „War ja Ihre Frau Jemahlin, wenn ick ma alaum darf“, antwortete der Träger und tippte mit zwei Fingern an den Mützenschirm. „Denn ma viel Vajniejen mit den Trumm, wa?“ Und er stapfte bedächtig die Treppe hinab. Oben blieben wir beide zurück, ich und der Sarg.
Anne blätterte die Papiere durch. „Modell Palermo, Pappel mit Patina. Offenbar italienisches Design.“ Ich blickte sie fassungslos an. „Das ist alles, was Dir dazu einfällt? Sag mir lieber, wie die auf den Gedanken kommen, mir diese Kiste zu schicken?“ „Das ist ein Preisausschreiben“, las sie vor. „Hauptgewinn ist dies schmucke Erdmöbel, das Sie ein ganzes Leben lang…“ „Ich habe keines mitgemacht“, schnitt ich ihr barsch das Wort ab. „Du weißt genau, dass ich Verlosungen ablehne, weil man denen nur seine Adresse gibt und dann mit Werbung beschmissen wird.“ „Vielleicht kriegst Du ja als nächstes eine Urne“, prustete Anne, „aber nein, Du hast ja mit dem Rauchen aufgehört.“ Ich sah sie scharf an. „Du weißt auch nicht zufällig, wer dieses Preisausschreiben mitgemacht hat?“ „Diese dunkle Stelle, war die immer schon da?“ Innig schaute Anne auf das Parkett. „Du sagst mir jetzt sofort, wann!“ „Ich wollte doch nur den zweiten Preis, das Wochenende für zwei Personen im Kurhotel Sanftruh in Günzelfingen.“ Sie lief rot an bis unter die Haarspitzen. „Und da habe ich eben… naja, zwei oder drei…“ „Wie viele?“ „Sieben. Aber eine auf meinen Namen!“
„Wenn ich ungelegen komme, müssense sagen, nich?“ Horst Kümselkorn, Versicherungsvertreter und eine der biblischen Plagen in Menschengestalt, hatte sich einfach an mir vorbeigequetscht und stand in der Küche. „Was ich sagen wollte – die Hausrat, da müssten wir aber noch mal, und dann isses wegen der, warten Sie, ich hatte das genau ausgerechnet, die Kombi mit Wahloption Glasbruch oder Gewässerschutz plus Erdreich, falls Sie mal’n Friedhof aufmachen, haha, Scherz, ich…“ „Ach, Sie wissen es schon?“ Kümselkorns Kinnlade schlackerte. „Was ist das denn?“ Er klammerte sich ängstlich an meinen Arm. „Ein Alligator“, gab ich zurück. „Er leidet bloß unter Schüchternheit und verkleidet sich daher gerne.“ Der Policen-Mann fing sich nur langsam; verstört betrachtete er mich von der Seite. „Ich wusste ja nicht“, stammelte er, „hatte ja keine Ahnung, weil dann ist ja auch, falls Sie jetzt nämlich die Risiko-Lebensversicherung, da kann ich mit dem Preis gar nichts mehr machen!“ „Kümselkorn“, zischte ich, „Sie packen jetzt Ihren Kram zusammen und verschwinden.“ „Ist der denn gar nicht für Sie?“ Ängstlich schielte er mir über die Schulter, als würde im nächsten Moment ein Knochenmann aus der Totenlade steigen und ihm mit der Sense den schütteren Scheitel nachziehen. „Denkst Du an die Blumen für Tante Albertine?“ Anne hatte sich ins Arbeitszimmer zurückgezogen und rief nun durch die ganze Wohnung. „Du weißt genau, dass die nicht so lange frisch…“
Es dauerte keine dreißig Sekunden, und Horst Kümselkorn hatte die Wohnung verlassen; er hatte einen ächzenden Laut von sich gegeben, fluchtartig war er in den Flur gestürzt, gegen die Kommode gelaufen und endlich die Treppe hinuntergepoltert. Dass Tante Albertine, in der Blüte ihrer Jahre, heute ihren 94. Geburtstag feiern sollte, dass sie täglich eine Tafel Schokolade verschlang, Schach spielte und nichts so sehr hasste wie welke Schnittblumen, hätte man anmerken können. Aber das Leben ist schon kompliziert genug.
Erschöpft setzte ich mich auf den Deckel des Leichenschreins. „Johoho, und ’ne Buddel voll Rum“, tönte Anne hämisch. „Sehr witzig!“ Mir war nicht nach Scherzen zumute. Wie sollte ich das Ding nur loswerden? Drei Geigen und ein Cello daraus bauen? Ein Bücherregal? „Du könntest ja mal fragen, ob mir das recht ist.“ Jetzt begann sie sich zu mopsen? „Schließlich verdankst Du den Preis mir. Wenn ich die Karte nicht eingeschickt hätte, wärest Du nie Sieger im Preisausschreiben geworden.“ „Dann nimm das Ding gefälligst mit“, fauchte ich. „Ich habe nicht darum gebeten.“
Schlotterfeld kratzte sich am Kinn. „Ich weiß ja nicht, ich weiß ja nicht. Einerseits ehrt Sie Ihre Spende, aber andererseits…“ „Schauen Sie mal“, erläuterte ich dem Berufsberater, „diesen reizenden Sarg bekommen Sie gratis, dazu ein großartiges Empfehlungsschreiben – möglicherweise kann sich Ihr Kunde schon mit seiner ersten Leiche als Franchisingpartner selbstständig machen?“ Er runzelte bedenklich die Stirn. „Na, Sie wissen schon.“ Schlotterfeld schien meinen jovialen Ton nicht zu hören. „Gestorben wird doch immer, was?“
„Großartig“, schimpfte Anne und fütterte die Parkuhr. „Du Business-Genie! Ich werfe hier der Stadt mein Erspartes in den Rachen, und Du kannst nicht einmal einen fabrikneuen Sarg verkaufen!“ „Wenn das so leicht wäre, mach es doch selbst!“ „Werde ich auch“, trumpfte sie auf. „Du wirst sehen, ich kann das.“
„Das ist ja alles sehr hübsch“, meinte Kleinpeter verbindlich. „Aber wissen Sie, wir gehören zu den ersten Häusern am Platz. Unsere Särge aus besten Massivhölzern werden gerne genommen, wenn Sie mal schauen möchten – Verzeihung, Sie wollten ja gar nicht.“ Ich stand ein wenig abseits vor dem Urnenregal und hielt mich zurück. Anne bettelte und feilschte, aber sie erreichte nicht viel. „Sagen wir: zweihundert. Dafür übernehmen wir auch den Transport.“ Der Bestatter hielt ihr die ausgestreckte Hand hin, doch Anne ließ ihn abblitzten. „Unter vierhundert können Sie es vergessen.“ Kleinpeter schmunzelte. „Wir haben uns nicht verstanden, ich bitte um Entschuldigung – Sie zahlen mir die zweihundert, damit ich die Kiste bei Ihnen abhole. Oder wollen Sie dieses Ding lieber dem städtischen Altenstift schenken?“
„Das ist mir völlig egal!“ Resolut zog Anne den Gurt fest und dreht den Zündschlüssel um. „Dann soll er eben klagen – jeder weiß, dass eine Glastür springen kann, wenn man sie zuschlägt. Hätte er sich halt eine Drehtür angeschafft.“ „Ich sage ja gar nichts“, erwiderte ich und grinste maliziös. „Ich bin beeindruckt von Deinem verkäuferischen Talent. Wenn ich Dir den Sarg überließe, Du würdest sicher innerhalb kürzester Zeit die beste Sarghändlerin im Umkreis.“ Der Motor heulte auf, Anne trat das Gaspedal durch. „Dann sag doch Du mir, wie wir das Monstrum loswerden.“ „Putzfrau.“ „Meine Putzfrau? Tamara Asgatowna? Warum meine?“
Juri Grigorjewitsch, der Schwager von Tamara und darüber hinaus etatmäßiger Hausmeister der hiesigen Volkshochschule, betrat mit zurückhaltend gezeigter Neugier mein Wohnzimmer. „Das wäre er dann also.“ Seine Pranken strichen andächtig über das polierte Holz, das matt in der Nachmittagssonne glühte. „Muss sein Qualität“, informierte er mich. „Soll halten Sarg für lange, wenn ist für Ludmila.“ „Mein Beileid, Herr Jakuschow.“ Anne hatte ihn vertraulich untergefasst, doch er entwand sich ihrem Griff. „Ist nicht tot, aber hat viel mit Herz und Beine. Schon seit 1975 immer hat mit Herz, und jetzt ist sicher bald vorbei.“ Wir schauten einander an; Anne gewann zuerst wieder die Fassung. „Da ist Ihre Tante Ludmila wohl schon recht betagt, nicht wahr?“ Der untersetzte, massige Mann mit dem gewaltigen Kahlschädel strahlte selig. „Viel alt“, nickte er. „Fast ganz alt wie Onkel Wanja, was hat aber Wasser in Lunge. Weiß nicht, wie alt. Aber hat immer gehauen Großväterchen und hat ihn geworfen in Taufbecken.“ Plötzlich verzog sich sein Gesicht. „Aber dunkel ist Sarg, sehr dunkel. Wird Onkelchen nicht gefallen, was hat doch bald Geburtstag. Ich kann nicht kommen mit Geschenk, was hat Farbe wie Schmutzrand in Umkleideraum von Volkshochschule, weil nicht putzt ordentlich Tamara Asgatowna?“ „Es ist besonders aufwendig gebeizt“, erläuterte ich, doch er hörte mir schon gar nicht mehr zu. „Ein edler Patina-Ton, passt hervorragend zu dem Pappelholz. Massiv übrigens.“ Keine Reaktion. „Modell Palermo.“ Da strahlte Jakuschow. „Palermo sehr gut! Qualität!“ Er schüttelte ergriffen meine Hand. „Damit viel bessere Geschenk wie Schwager Gennadi Samoilowitsch, was bringt immer nur goldene Uhr oder Automobil.“
Anne ließ sich aufs Sofa fallen. „Da hast Du ja noch mal Glück gehabt. Wenn ich nicht gewesen wäre!“ Ich ignorierte sie und sammelte ein paar Sägespäne vom Boden. Sie entfaltete die Zettel, die aus dem Karton gerutscht waren. „Schau mal“, sagte sie, derart harmlos, dass mein Hals schon anschwoll. „Sie haben ein neues Preisausschreiben. Und als dritten Preis gibt’s da so eine schöne Gartenskulptur!“
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GESCHICHTE Nr. 12
Es klingelt an der Tür! Große Aufregung bei den Kindern und der Frau, ist es der Spediteur der endlich die lang ersehnte Kiste bringt, die Kiste die wir schon am Wochenende benutzen wollen?
Da kommt er der Mann der das Große Objekt zu uns bringt. Mein Sohn springt aufgeregt auf und ab. Er ruft: In die Garage mit dem Ding, meine Frau sichtlich erleichtert weißt dem Transporteur den Weg.
Nun ist SIe da – die Basis für unsere Seifenkiste, mit der wir am großen Rennen teilnehmen werden ….
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GESCHICHTE Nr. 13
Ein Ende mit Schrecken
„Ich brauche noch da“, der Mann hielt mir einen Frachtbrief und eine Kugelschreiber unter die Nase, „Ihre Unterschrift, dass Sie die Ware erhalten haben.“
Merkwürdig, ich hatte in letzter Zeit doch gar nichts bestellt. Aber auf den Papieren stand eindeutig mein Name: David Heimertheim. Auch die Anschrift stimmte.
Ich runzelte die Stirn, der Absender sagte mir überhaupt nichts.
Anstatt vernünftig zu sein und die Annahme zu verweigern, siegte meine Neugier und ich nahm den hingehaltenen Stift und unterschrieb.
„Schönen Tag noch!“ Damit ging der Mann zu seinem LKW zurück, stieg ein und fuhr weg.
Vor meiner Garage stand die Lieferung: Ein großes Paket, das gut zwei Meter lang, bestimmt einen Meter breit und genau so hoch war. Selbst für den Flachbildschirmfernseher, mit dem ich schon seit Monaten liebäugelte, war das zu groß.
Damit mein Nachbar mir nicht über die Schulter schauen konnte, schob ich das Paket in die Garage und machte das Tor hinter mir zu. Dort hatte ich auch das passende Werkzeug, um die Lieferung auszupacken.
Zehn Minuten später war es soweit, und ich hatte die Verpackung, die aus unzähligen Lagen Packpapier bestand, abgemacht.
Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit einem Sarg.
Laut dem beiliegenden Lieferschein war es der Kiefernsarg Nr. 4a antik mit Kupferbeschlägen, und er hatte sogar eine einfache Schnitzerei auf der Seite.
Was sollte das? Wer hatte sich da einen makaberen Scherz erlaubt? So alt war ich noch nicht, dass ich ihn brauchte und schon gar nicht wollte ich ans Sterben denken.
Wütend ging ich zurück insHaus, setzte mich in meinem Arbeitsraum in meinen bequemen Sessel und versuchte den Lieferanten – eine Sargfirma, was auch sonst – anzurufen.
An einem Freitagnachmittag war natürlich niemand mehr da, also machte ich den Computer an, um etwas über die Firma herauszufinden.
Doch vorher schaute ich noch schnell meine Mails durch und sah einen mir sehr bekannten Absender. Sie stammte von Evi. Meiner Exfreundin.
Eigentlich hatte alles gut angefangen, aber dann merkte ich, wie eifersüchtig sie war. Sie machte mir Szenen, wenn ich auch nur von einer Arbeitskollegin erzählte. Als ich es nicht mehr ertrug, hatte ich die Beziehung beendet und seit drei Monaten war ich ein glücklicher Single.
Zuerst überlegte ich, ob ich ihre Mail – wie auch alle anderen Nachrichten von ihr – ungelesen in den Papierkorb werfen sollte, aber dann kam mir der Gedanke, dass sie vielleicht etwas mit dem Sarg zu tun haben könnte.
„Hallo Peter! Hast du dich über mein kleines Abschiedsgeschenk gefreut, das dir die Spedition heute geliefert hat? Wenn nicht, ist es auch egal, denn du wirst ihn in zwei Tagen brauchen. Schönes Restleben noch, Evi!“
Ich saß eine ganze Weile wie betäubt vor dem Bildschirm, dann schob ich ihre Nachricht kopfschüttelnd in den Mülleimer. Dabei fragte ich mich, ob sie mir nur Angst einjagen wollte, oder ob sie wirklich so verrückt war, dass sie mich umbringen wollte.
Vielleicht lieferte der Sarg einen Anhaltspunkt? Ich stand auf, ging zurück in die Garage und betrachtete den völlig unauffälligen Sarg, soweit man das von einem Kiefernsarg in einer Garage sagen kann, dann ging ich zurück, setzte mich vor meinen Computer und holte die Mail wieder zurück.
Wenn sie so viel Geld hatte, um mir einen Sarg zu schicken, dann sollte ich ihre Drohung wohl auch besser ernst nehmen.
Aber was sollte ich unternehmen? Mich in meinem Haus verschanzen? Die Polizei anrufen? Menschenmassen suchen? Spontan Urlaub nehmen und wegfliegen?
Was erwartete sie von mir? Dass ich betteln würde, verschont zu werden? Nie im Leben. Das würde sie nicht erleben.
Spontan griff ich zum Telefon und wählte die Nummer von Horst. Wir kannten uns seit dem Kindergarten und hatten schon viel zusammen erlebt. Er war inzwischen glücklich verheiratet. Evis Bekanntschaft hatte er hatte er gemacht, als ich sie zu seiner Geburtstagsfeier mitgenommen hatte und sie mir dort prompt eine Szene gemacht hatte, weil ich mit seiner Frau Angela getanzt hatte.
Horst hatte nicht viel dazu gesagt, nur den Kopf geschüttelt und hatte mich abgefüllt, nachdem alles vorbei war.
Nach dem dritten Klingeln ging er ran.
„Hallo, David, altes Haus?“, begrüßte er mich. Seine Stimme hatte einen fröhlichen Klang.
„Ich brauche deine Hilfe!“, kam ich direkt auf dem Punkt und hasste es, seine gute Laune zu ruinieren.
„Was ist los?“
„Evi!“
„Ist sie zu dir auf die Arbeit gekommen und hat dir eine Szene gemacht?“
„Schlimmer, sie hat mir einen Sarg geschickt.“
„Sie hat was?“ Klar, dass Horst es nicht glauben konnte.
„Sie hat mir einen niegelnagelneuen Sarg geschickt und gedroht, dass ich ihn in zwei Tagen brauchen würde.“
„Bleib wo du bist, ich bin in zehn Minuten bei dir!“ Damit hatte er aufgelegt.
Ich kam in Versuchung, mich in meinem Arbeitsraum zu verschanzen, aber da ich genug Horrorfilme gesehen hatte, wusste ich, dass es nicht helfen würde und so ließ ich es. Ich kontrollierte nur, dass die Haustür abgeschlossen war.
Bis ich hörte, dass Horst seinen MX5 in der Einfahrt parkte, lief ich unruhig auf und ab. Ich schaute sogar durch den Türspion, bevor ich ihm aufmachte.
„Zeig mir den Sarg!“, war seine einzige Begrüßung.
Wortlos ging ich vor in die Garage.
Er umkreiste ihn zwei Mal, las sich dann Evis Mail mehrmals durch, überlegte einen Moment, lächelte siegessicher und anschließend ging es los zum Baumarkt.
Sonntagmittag war unser Werk fertig: Mein Garten hatte zwei wunderschöne neue Gartenkübel, die zwanzig Zentimeter tief eingegraben und mit Nelken bepflanzt waren. Das Kiefernholz passte perfekt zu meinen restlichen Gartenmöbeln. Anschließend machte ich noch ein Foto und schickte es Evi mit dem Kommentar: „Vielen Dank, ich konnte ihn wirklich brauchen.“
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GESCHICHTE Nr. 14
Ich hatte mir eigentlich überhaupt keine Gedanken gemacht, was mit dem Ding passieren sollte, wenn es mal hier ist. Die ersten sechs Wochen geschah dann auch gar nichts damit. Der Sarg war einfach nur da, lehnte im Keller an der Wand, gleich neben der Tiefkühltruhe, dort wo ihn der Lieferant abgestellt hatte. Irgendwie wollte ich mit der Kiste anfangs nicht warm werden, wobei es aber nicht daran lag dass sie mir unheimlich gewesen wäre. Mir war klar dass ich vermutlich noch Jahrzehnte damit verbringen werde, bevor wir auf die Reise gehen, und war mir anfangs unsicher wie wir miteinander umgehen sollten. Ein Sarg ist ja kein alltäglicher Haushaltsgegenstand. Es ist kein funktionales Möbelstück, kein besonders dekoratives Element, es leistet im Grunde keinerlei Beitrag zum Wohnen. Es wird seine Funktion erst erfüllen, wenn mir das Wohnen bereits sehr egal sein wird, und bis dahin wollte ich den Sarg auch nicht zweckentfremden. So teilnahmslos wie er da neben der Kühltruhe lehnte, das war für mich schon die richtige Lösung für den Moment, und er würde vermutlich auch heute noch da lehnen, wenn meine Nachbarin Frau Kotauschek nicht sechs Wochen nach meiner Sarglieferung das Zeitliche gesegnet hätte …
Frau Kotauschek hatte einen alten Holzraum von mir gemietet, der für mich seinen Nutzen verloren hatte, als wir auf Gasheizung umrüsteten. Sie nutzte das kleine Kellerabteil als Lagerraum für ihre Stoffballen, denn Frau Kotauschek war Schneiderin. Obwohl sie das immer korrigierte, denn genaugenommen war sie Weißnäherin. Auch wenn ihre alten Hände nicht immer so ganz machten was sie wollte, stickte sie bis zuletzt Initialen in Taschentücher und nähte Spitzen an Tischtücher. Für ihre Hinterbliebenen war das Stofflager nicht weiter interessant, und so fiel der Raum wieder an mich zurück. Ich nahm mir dann sonntags mal die Zeit um die verbliebenen Stoffballen auszuräumen und kehrte mal ordentlich durch, als die Mittagssonne in einem hellen Strahl durch das einzige Fenster einfiel. Mit dem aufgewirbelten Staub wirkte der Moment sehr theatralisch, fast schon kitschig übernatürlich. Für träumerische Menschen wie mich sind solch plötzlich auftretende Lichtstrahlen immer bedeutungsschwangere Zeichen. Irgendwer oder irgendwas, will einem etwas sagen, und für mich war in dem Moment klar, dass mein Sarg seinen Platz für die Endlichkeit gefunden hat.
Ich hievte die Kiste auf einen Trolly brachte sie in den Holzraum und legte sie mitten in den Mittagssonnenstrahl auf den Boden. Da lag die Truhe nun, das gewachste Eichenholz schimmerte in der Sonne. Nach kurzem Betrachten war ich aber ganz und gar nicht zufrieden. Irgendwie erinnerte mich die Szene an Graf Draculas Gruft, und ich wollte kein Gruselkabinett im Keller. So kam es dass ich am darauffolgenden Wochenende aus ein paar Ziegelsteinen, die noch vom Garagenbau rumgammelten ein hüfthohes Podest mauerte. Das hatte nun etwas altärisches und war damit ein guter Platz für meinen Sarg. Als wir ein Jahr später in unserem Wohnzimmer einen neuen Parkett verlegten, und dabei einiges an Material übrig blieb, bekam mein Sargraum auch einen hübschen neuen Holzboden. Nun sah das rohe Ziegelpodest ein wenig schäbig aus, und so bekam es Putz und Anstrich, und weil ich schon dabei war wurden auch die etwas abgenutzten Wände neu gestrichen. Ich war sehr zufrieden was ich aus dem stumpfen Kellerraum gemacht hatte und beschloss ihm noch ein wenig die Leere zu nehmen. Zwei Plastikbäumchen, ein alter Kerzenständer und ein ausgedienter Teppich machten den Raum sofort gemütlicher. Als ich dann auch noch einen bequemen Ledersessel neben das Sargpodest stellte, um dort meine Abendpfeife zu rauchen (der Tabakgenuss im Wohnraum ist mir nicht gegönnt), da wurde meine Frau langsam skeptisch. „Ich hatte ja schon so meine Bedenken als du mit dem Sarg da angetanzt bist, aber ich dachte das wäre so eine Art Midlife-Krise. Aber findest du nicht auch das das langsam zu weit geht?“ fragte mich meine Frau, während ich die neue Soundanlage in meinem Sargraum installierte. „Mein Gott,“ sagte ich „andere Männer schrauben in ihrer Werkstatt aufm Auto rum, ich hab mir eben hier einen Hobbyraum gemacht“. „Hobbyraum?“ fragte meine Frau, „Das hier ist kein normaler Hobbyraum. In Hobbyräumen stehen keine Särge rum. Ich mein, da stimmt doch irgendetwas nicht mit dir, das ist doch alles nicht normal.“ „Was ist schon normal“, sagte ich, legte Mozarts Requiem in den CD-Spieler, pflanzte mich in meinen Ledersessel und zündete mir eine Pfeife an.
Drei Jahre später war mein Sargraum ein wahres Schmuckstück, das selbst der schönsten Aufbahrungshalle problemlos das Wasser reichen konnte. Ich hatte einen Wasserfall, eine Sargunterbodenbeleuchtung und eine Diaprojektion mit Stationen aus meinem Leben. Ich hatte auch schon für die letzte Reise gepackt, und ein eigenes Schächtelchen mit Dingen, die ich mit ins Grab nehmen wollte. Ich hatte einen genauen Ablauf für meine Verabschiedung, mit ausgewählter Musik und einem von mir selbst gelesenen Gedicht von Rilke auf CD. Manchmal lege ich mich still in den offenen Sarg und stelle ich mir vor, wie es sein wird, wenn sie alle herantreten um sich von mir zu verabschieden, was sie mir flüstern werden, und ob sie weinen oder schluchzen werden. Meine Frau wird vermutlich nicht dabei sein, die ist nämlich über alle Berge seit ich ihr nach einer weiteren Diskussion vorgeschlagen hatte ihr einen eigenen Sarg zu kaufen. Auch wenn ich mir das nicht anmerken lasse, macht mich das schon etwas traurig, dass sie sich dafür nicht begeistern ließ. Ich verbringe jetzt auch gar nicht mehr so viel Zeit im Sargraum wie früher. Meistens schraube ich in meiner Werkstatt (wie andere Männer auch) ein wenig am Wagen rum. Ich habe mir einen alten Leichenwagen gekauft, und versuche den wieder flott zu bekommen. Nach der Aufbahrung muss ich in meinem Sarg ja irgendwie aufn Friedhof kommen, und ich hab da recht eigene Vorstellungen davon. So einen Trauerzug hat die Welt noch nicht gesehen, da können sie sich drauf verlassen. Die Leute werden Augen machen – ich kann‘s kaum erwarten. Ich bin schon richtig hibbelig, wie man‘s eben vor einer großen Reise manchmal ist. Der Tod kann jedenfalls etwas sehr spannendes sein, wenn man sich rechtzeitig einen Sarg anschafft. Obwohl ich jetzt nach drei Jahren am überlegen bin, mir vielleicht doch einen anderen Sarg aus Eiche zu holen. Muss man dann mal gucken, worin man besser schläft. Gibt es ja kaum Erfahrungsberichte auf dem Gebiet. Der Bestatter meines Vertrauens konnte mir da jedenfalls keine zufriedenstellende Auskunft geben, und wollte es mich auch nicht testen lassen. Ein Buch hat er mir stattdessen in die Hand gedrückt. „Ab nach unten“ heißt es, und ich denke das könnte mir gefallen …
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GESCHICHTE Nr. 15
Hier meine Sarggeschichte in Briefform.
Sehr geehrter Herr Albrecht Weckmeier, Geschäftsführer des Speditionsgeschäftes „SpeedTransPort“,
am 23.07.2011 wurde ich von Ihren Mitarbeitern um 6 Uhr morgens aus dem Schlaf gerissen, welche außerordentlich eifrig damit beschäftigen waren, gleichzeitig an meine Tür zu klopfen, rhythmisch zu klingeln und dabei zum Überdruss auch noch im Chor „Eillieferung!“ zu grölen. Als ich im Halbschlaf nach unten wankte und die Tür nach mehreren Fehlgriffen nach der Türklinke öffnete, verstummte der Lärm endlich. Einer Ihrer Mitarbeiter hielt mir eine Empfangsbestätigung unter die Nase, welche ich – glücklich durch das Verstummen des Getöses – auch widerspruchslos unterschrieb, während zwei andere ein längliches, hölzernes Objekt in mein Wohnzimmer trugen, bevor alle die Wohnung wieder mit einem schwungvollen Zuschlagen der Tür verließen. Ich dagegen schlurfte wenig schwungvoll zurück in mein Bett, in dem ich mehrere selige Stunden verbrachte, bis ich später freudig erwachend aus dem Bett sprang und voller Vorfreude auf ein leckeres Frühstück durch das Wohnzimmer in Richtung meiner Küche lief, und ich voller Schrecken feststellen musste, dass sich auf den Weg dorthin nun plötzlich ein Hindernis befand (länglich, hölzern), über welches ich (schwungvoll!) stolperte. Bei dem Hindernis handelte es sich, wie ich, nachdem ich mich mühsam (und unter großen Schmerzen!) wieder aufgerichtet hatte, feststellen konnte, um einen großen, schweren Eichensarg. Anfangs dachte ich, dass es sich hierbei wohl um einen morbiden Scherz handeln müsste, später wurde mir jedoch klar, dass ich hier dem Schenker Unrecht tue. Ich bin mir sicher bei dem Sarg handelt es sich vielmehr um ein außerordentlich großzügiges Geschenk (der Sarg hat ganz sicher viel gekostet) und sogar um ein nützliches (allerdings (hoffentlich!) erst in ein paar Jahrzehnten). Leider habe ich keinen Platz um den Sarg aufzubewahren und vor allem kann ich ein so großzügiges Geschenk nicht annehmen. Ich habe mich also entschieden, den Sarg zurückzuschicken. Die Lieferungsgebühr ist schon auf Ihr Konto überwiesen, den Sarg können Sie im Laufe der nächsten Woche abholen. Bitte liefern Sie den Sarg zurück an jenen, der mir dieses freundliche Geschenk zukommen lassen wollte. Vorzugsweise um 3 Uhr morgens, schließlich soll der Empfänger nicht bei wichtigen Tätigkeiten gestört werden. Des Weiteren blockieren Sie mit dem Sarg mindestens eine Tür, sodass jener ihn nicht aus Versehen übersieht.
Mit freundlichen Grüßen,
Ferdinand Freundlich
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GESCHICHTE Nr. 16
Mein Freund kam vor gut 3 Jahren durch eine glückliche Fügung an einen Leichenwagen von Mercedes Benz Baujahr 1962 mit Welschaufbau. Dieser Wagen war 20 Jahre in einer Garage gestanden ohne irgendwelche Bewegung,aber trotz der dicken Staubschicht ahnte man schon was für ein Schmuckstück darunter versteckt war.
In liebevoller Kleinarbeit hat er den ,,Boneshaker“ wieder zum Leben erweckt. Anfangs wusste ich nicht was ich davon halten soll…doch irgendwann war ich damit auch glücklich da ich wusste das mein Freund aufgeräumt war. Und wir Frauen wissen ja wie das Leben mit Autofanatiker ist und wir erst an zweiter Stelle kommen.
Als dann der Tag der ersten gemeinsamen Ausfahrt kam war die Aufregungen groß ob der Boneshaker das auch durch hält,doch er hat uns nicht enttäuscht. Und wir haben von Fahrt zu Fahrt immer mehr Vertrauen zu dem Boneshaker aufgebaut.
Wir sind auch irgendwann auf Oldtimertreffen gefahren und haben das Auto geparkt und uns dann irgendwo hingesetzt und die Leute beobachtet wie sie darauf reagieren und zu 90 Prozent waren die Reaktionen positiv. Doch wirklich jeder hat hinten reingeschaut und war dann enttäuscht das kein Sarg drin ist weil man das ja erwartet.
Nun fiel mir letztes Jahr nichts ein was ich meinem Freund zu Weihnachten schenken konnte, weil mit Technik habe ich es nicht so und dann holt man ja eh nur das Falsche und was er für Autoteile braucht oder nicht wusste ich auch nicht.
Irgendwann habe ich einen Bestatter beim Bäcker sitzen sehen und da kam mir die Idee das ich ihm einen Sarg schenke.
Also nichts wie hin zu dem guten Mann und ihn in seiner Pause stören.
Freundlich wie ich bin habe ich den Bestatter gefragt ob ich ihn den mal kurz stören dürfte und er bejahte. Als ich ihn fragte was den ein einfacher Sarg ohne Innenausstattung kostet hat er mich verdutzt angeschaut und meinte nur ob ich den nicht noch zu jung wäre um so was zu fragen. Kurzerhand erzählte ich ihm von unserem ,,Bonshaker“ er war gleich begeistert und fragte wo das Auto den wäre.
Also habe ich heimlich einen Termin mit den Bestatter ausgemacht wann er das Auto mal anschauen kann, ohne das mein Freund was davon mitbekommt. An dem Tag der Autobesichtigung war der Bestatter der glücklichste Mensch hat er gemeint das er so einen Schatz sehen durfte und auch mal rein sitzen durfte. Kurz darauf haben wir uns in seinem Sarglager getroffen und er hat mir ausführlich alle Modelle gezeigt. Ich muß ehrlich sagen das es sich schon komisch anfühlt als Normalo der mit dem Tod noch keine Berührung hat in dem Lager sich die einzelnen Modelle anzuschauen und an zufassen.
Doch wir haben uns schnell geeinigt das es ein einfaches Modell aus Linde fürs erste auch mal tut.
Die Zeit verging und der Weihnachtstag kam. Ich habe meinem Freund an dem Tag gesagt ich müsste Mittags nochmal weg was ihn schon stutzig machte, weil ich eigentlich an dem Tag schon alles erledigt hatte und mich da schon um das Abendbrot kümmerte. Also bin ich am Mittag zum Bestatter gefahren um den Sarg zu holen, als ich da ankam war der gute Mann und sein Sohn schon dabei meinen Sarg herzurichten, also die Griffe an zuschrauben. Ich habe doch einen fairen Preis bekommen unter der Bedingung niemanden zu erzählen was ich bezahlt habe und als Dreingabe eine Matratze und das Spannlaken. Der Bestatter meinte nur das er mir gerne geholfen hat weil er weiß das es bei so einem Auto dazu gehören würde.
Dann haben wir zu Dritt den Sarg in meinen Opel Astra Caravan geladen und ich habe noch schnell ein rotes Samttuch drüber getan, weil ich den ja schlecht in Weihnachtspapier einpacken konnte.
Am Heilig Abend zur Bescherung war mein Freund schon enttäuscht das sein Geschenk nicht unterm Weihnachtsbaum lag. Ich habe ihn dann mit raus zu meinem Auto genommen, voller Freude das ich ihm was Schönes schenke. Als er vor dem Kofferraum stand und in mein Auto sah sagte er nur ,,Ich hoffe das ist kein Sarg“ und ich war tief traurig das er es a) erraten hatte und b) das bestimmt nicht das richtige Geschenk ist. Und als er die Samtdecke runter zog war doch schon etwas Enttäuschung in seinen Augen… das musste er erstmal verdauen. Irgendwann haben wir dann den Sarg in die Garage gestellt und haben auch schon wieder lachen können. Die ersten Gedanken waren was machen wir damit da wir ja die Garage nutzen wollten, also haben wir diskutiert ob wir ihn umwandeln zum CD Regal und oder zum Couchtisch und ihn nur dann in den Boneshaker tun wenn wir irgendwo auf Treffen fahren. Aber das war uns dann doch alles zu umständlich und wir hatten im Haus den Platz nicht.
Im Frühjahr habe ich dann den Sarg lackiert und im Spätsommer ist er dann schon im Leichenwagen mitgefahren.
Nun werden wir ihn nächstes Jahr zum Werkzeugkasten umbauen und mit einer Sargschiene im Leichenwagen befestigt. Der Leichenwagen soll dann als Servicefahrzeug bei verschiedenen Oldtimerveranstalltungen vorfahren mit einen Sarg als Werkzeugkasten und Ersatzteillager.
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GESCHICHTE Nr. 17
Erschrocken reißt Klaus die Augen auf, kalter Schweiß auf seiner Stirn. Schon wieder dieser Traum. Zum Glück ist es Morgen. Verängstigt tastet er seinen Körper ab, aber es scheint alles in Ordnung zu sein. 5 Uhr 36. Er steht auf, schlüpft in seinen Morgenmantel und beginnt seinen gewohnten Rundgang durch die Wohnung. Dabei muss er vorsichtig und gewissenhaft vorgehen, denn die Wohnung ist eher klein und relativ voll.
Ein Blick auf den Kalender, um sich zu vergewissern, welcher Tag heute ist. 27. November.
Klaus zählt. Januar, Februar, …, Oktober, der November ist noch nicht zu Ende. Alles ist richtig.
Nächster Raum. Ein großer Schrank, schon nicht mehr zu öffnen, doch Klaus kennt seinen Inhalt. Davor beschriftete Kisten. 2009, 2008, zurück bis ins Jahr 1993.
1993. Da kamen zum ersten Mal diese Träume, die Angst. Die Träume vergingen tagsüber, aber die Angst nicht. Sie schnürte ihm die Kehle zu, lähmte ihn.
6 Uhr 15, Zeit ins Bad zu gehen. Um neun Uhr hat er einen Termin in der Stadt, bis dahin muss alles erledigt sein. Klaus entkleidet sich und legt sorgfältig seinen Schlafanzug zusammen. Er steigt auf die Waage. 74,2 kg. Das Notizbuch und der Füller liegen griffbereit im Regal. Er trägt das Gewicht in die dafür vorgesehene Spalte ein. Jetzt kommt ein schwieriger Teil. Klaus setzt sich auf die Toilette und seinen Morgenurin ab. Stuhlgang hatte er gestern, das erlaubt er sich nur alle zwei Tage. Nachdem er sein Geschäft beendet hat erneut der Gang auf die Waage. 73,9 kg, Differenz 300g. Auch das wird in sein Buch eingetragen. Anschließend putzt Klaus sich die Zähne, wäscht sein Gesicht und kämmt seine Haare vorsichtig über einer ausgebreiteten Zeitungsseite. Acht. So viele Haare hat er dabei verloren. Vorsichtig sammelt er sie auf. Er nimmt einen wieder verschließbaren Gefrierbeutel zur Hand. „Haare. November 2010“. Er gibt die Haare in den Beutel, verschließt ihn und beginnt damit sich anzuziehen. Fertig angekleidet geht er ins Schlafzimmer um sein Bett zu machen. Er sucht das Kissen nach verlorenen Haaren ab, es sind fünf, und gibt sie zu den anderen in den Beutel. Jetzt kann er Bettdecke und Kissen aufschütteln und seinen Schlafanzug unter das Kissen legen.
7 Uhr. Klaus holt die Tageszeitung rein und legt sie links neben seinem gewohnten Platz auf den Küchentisch. Ein Messlöffel Kaffeepulver, 200 ml kochendes Wasser, zwei Tütchen Zucker, ein Brötchen. Die untere Hälfte des Brötchens mit Butter und Pflaumenmus, die obere mit Schinken. Die Zeitung liest Klaus von hinten nach vorne, wie er das immer tut. Bevor er sich auf die Artikel konzentrieren kann muss das Sudoku gelöst werden. Zahlen liegen ihm. Noch den Abwasch erledigen, Klaus verlässt die Wohnung niemals in unaufgeräumtem Zustand.
7 Uhr 45, Zeit sich auf den Weg in die Stadt zu machen. Der heutige Termin ist besonders wichtig. Deshalb will er etwas zu früh dort sein, um sich vor dem Betreten der Praxis noch einmal sammeln zu können. Es ist der letzte Termin vor einem wichtigen Tag in Klaus‘ Leben. Die letzte Möglichkeit, sich Unterstützung für seinen Schritt zu holen. Ein Schritt in ein neues Leben? Klaus ist sich da nicht sicher.
Erstmal den Schritt in den Hausgang schaffen. Die Treppe hinunter, ohne das Geländer zu berühren. Aus dem Haus und nach links, 43 Schritte bis zur Ampel.
Der Fußmarsch zur Praxis ist schwierig, die Angst vor den öffentlichen Verkehrsmitteln jedoch ist zu groß.
Die Angst ist allgegenwärtig, die Angst sich aufzulösen, irgendwann einfach weg zu sein. Die Angst zu sterben. Deshalb kann Klaus auch nichts von sich hergeben. All die Haare, die einfach ausfallen, die immer weniger werden. Die Fingernägel, die abbrechen oder einfach geschnitten werden müssen. Seine Substanz, die sich ständig verliert, die aus seiner Nase läuft, die er ausschwitzt. Klaus spürt, wie sein Körper sich auflöst, verschwindet. Zwar kontrolliert er ständig sein Gewicht und die Menge seiner Ausscheidungen, doch die Zahlen können ihn nicht täuschen. Klaus spürt den Tod. Die ständige Bedrohung, den ständigen Verfall.
Noch 15 Minuten bis zum Beginn seiner heutigen Sitzung. Er muss sich mit seiner Sterblichkeit auseinandersetzen, seinen Frieden schließen mit dem Tod. Das meint zumindest seine Therapeutin. Und morgen soll er einen ersten symbolischen Schritt tun. Noch einmal holt Klaus tief Luft, dann betritt er die Praxis.
Der nächste Morgen. Wieder erwacht Klaus schweißgebadet aus einem Alptraum. Die Angst ist heute Stärker als sonst, heute, an seinem großen Tag.
Aufstehen, Morgenmantel, Morgenritual, Wiegen, Waschen, Frühstück. Ein wenig Sicherheit bieten ihm diese Abläufe, doch das bevorstehende Ereignis schwebt wie eine dunkle Wolke über Klaus.
Heute ist es soweit. Heute ist der Moment gekommen, in dem er sich trennen soll von einem Teil von sich selbst. Finger- und Fußnägel, nach Jahren geordnet, sorgfältig in Gläsern gesammelt und archiviert. Die Haare, Monat für Monat eingetütet, beschriftet und abgelegt. Die getrockneten Taschentücher, ebenfalls in Tüten verpackt und nach Jahren sortiert, gewogen und beschriftet. Von all diesen Dingen, den Teilen von ihm, soll er sich heute trennen. Einzig sein Buch soll er behalten dürfen, ein letzter Rettungsanker. Damit nicht zu viel von ihm auf einmal sterben muss.
Er soll sich dem Tod nähern, indem er die Teile von sich sterben lässt, die seinen Körper ohnehin schon verlassen haben. Indem er sie zu Grabe trägt. Wenn er diesen Schritt wagt.
Und diesen Schritt soll er heute tun. Denn heute wird er geliefert. Der Sarg. Sorgfältig hat er ihn ausgewählt um ihm ein Stückchen Klaus anvertrauen zu können. Doch ob er dazu wirklich fähig ist, ob er die Angst überwinden kann, sich dem Tod anzunähern, das weiß Klaus nicht. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals als er den Lieferwagen vor dem Haus anhalten hört. Kalter Schweiß, seine Hände zittern. Sein Atem setzt kurz aus als die Türklingel ertönt. Jetzt ist es also soweit. Noch einmal tief Luft holen. Klaus öffnet die Tür.
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GESCHICHTE Nr. 18
Ah, die Jungs von der Spedition sind pünktlich. Wie besprochen kommen sie genau zur richtigen Zeit. Donnerstag vormittags ist unser ohnehin schon so ruhiges Stadtviertel wie ausgestorben, weil die Omas, die die umliegenden Häuser bevölkern, alle auf dem Wochenmarkt sind und Tratsch halten.
„Ganz schön groß, Ihre Kiste“, reißt mich einer der Spediteure aus meinen Gedanken und beginnt mit seinem Kollegen auszuladen. „Gar nicht so schwer wie sie aussieht. Sollen wir sie Ihnen noch ins Haus bringen?“ Ich schüttele ablehnend den Kopf, murmele irgendetwas und beeile mich, den Spediteuren Tip zu geben, damit sie sich verziehen. Im Haus kann ich die beiden wirklich nicht gebrauchen. Und schon gar nicht sollen sie wissen, was sie da geliefert haben. Nicht ohne Grund habe ich auf den Lieferservice des Verkäufers verzichtet und gleich zwei Speditionen zwischengeschaltet. Glücklicherweise war der Verkäufer ganz auf meiner Seite und hat das Ding diskret so eingepackt, dass niemand ahnen kann, was in dem unförmigen Paket sein könnte.
Ha, das mit dem Verkäufer war auch so eine Sache. Konnte ich denn vorher wissen, wie schwer es sein würde, so etwas zu kaufen? Die Händler in der nahen Großstadt haben mich angeguckt als sei ich aus der nächsten Klapse entlaufen und die Großhändler wollten Nachweise. Im Internet war auch nichts zu machen. Schließlich wurde ich im nahen Ausland fündig. Hier hatte man Verständnis und hat nicht viele Fragen gestellt, sondern alles nach meinen Wünschen ausgeführt.
Der LKW hat unsere Straße verlassen. Inzwischen habe ich die Kiste auch ins Haus gewuchtet und werde langsam ruhiger. Niemand scheint die Lieferung bemerkt zu haben. Gerade noch gefehlt hätte es mir, dass genau im falschen Moment eine der Omas nach Hause gewackelt kommt und mich mich Fragen a la „Na, junger Mann, was haben Sie denn da Schönes?“, behelligt.
Ich mache mich ans Auspacken. Ich reiße Pappe auf, entferne Styropor und Papier und endlich steht er vor mir, mein Sarg. Modell Khaya aus edlem Mahagoni. Designtruhe nennt man so was wohl. Er ist schlicht gearbeitet, ohne unnötigen Firlefanz, ohne Schnitzereien, Beschläge oder gar Griffe. Sonst richte ich mich ja auch nicht mit Eiche rustikal ein. Ja, ich habe ihn mir was kosten lassen. Schlechten Geschmack konnte man mir eben noch nie nachsagen. Ehrlich gesagt konnte ich die Alte auch einfach nicht mehr sehen.
Ich hebe den Deckel an und sehe, dass das Innenleben wie bestellt schon drinnen ist.
So, nun muss ich mich beeilen. Die Styroporreste lade ich ins Auto. Ich werde Sie in den nächsten Tagen zum Wertstoffhof bringen. Pappe und Papier verbrenne ich direkt im Kamin.
Ich beginne fröhlich zu summen, denn ich kann sie endlich in den Sarg heben. Das ging ja schneller als erwartet. So kann ich schon heute abend genießen. Noch ein paar kleinere Arbeiten, ich schiebe den Sarg an die zugedachte Stelle.
Am Abend mache ich eine gute Flasche Wein auf. Der Kamin prasselt. Ich gehe nochmal zum Sarg. Gute Arbeit, ich bin wirklich zufrieden. Ich setze mich wieder, lehne mich zurück und drücke ein paar Knöpfe auf der Fernbedienung. Und sie setzt sich in Gang; meine alte Stereoanlage in ihrem neuen Kleid. Sanft tönen die Bässe, die perfekt in den Sarg eingepasst wurden, wie die gesamte Anlage im Übrigen. Endlich steht dieses hässliche Ding nicht mehr einfach so im Wohnzimmer herum, sondern passt sich perfekt in die Umgebung ein. Ich hebe nochmal mein Glas auf diese wundervolle Idee, schließe die Augen und lausche den Klängen…
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GESCHICHTE Nr. 19
Der bunte Sarg
„Hier unterschreiben.“, mault der Typ im Blaumann. Fassungslos starre ich auf die Holzkiste, die wir gerade auf die Garageneinfahrt gestellt haben. Er hatte mich völlig überrumpelt, als er mich bat, beim Abladen zu helfen. „Was soll das? Was ist das? Ich hab nichts bestellt.“ Er schnippt die Asche von seiner Zigarette. Dann schaut er enttäuscht auf den Stummel und stellt fest, dass der letzte Zug bereits abgesogen ist und lässt die Kippe in mein Rosenbeet fallen. „Mir egal. Ich liefere nur aus. Rufen sie den Absender an und veranlassen sie eine Abholung. Hier steht Ihr Name, also ist das für Sie!“ Immer noch streckt er mir das Klemmbrett hin. Seufzend mache ich einen schwungvollen Haken, den ich Paketdiensten gegenüber als Unterschrift verwende und er zieht mir die Liste wieder weg. „Dankeschön!“, sagt er merkwürdig gelöst und schneller als ich gucken kann ist er im Führerhaus seines kleinen Lastwagens verschwunden. Der Motor brummt auf und der Laster setzt sich in Bewegung. Fast etwas benommen schaue ich hinterher. Dann verschwindet er um die Ecke.
Irritiert starre ich auf die Kiste in meiner Garageneinfahrt. Sie ist gute zweieinhalb Meter lang und etwa einen Meter hoch und breit. Immer wieder laufe ich um das Ding herum. Sie ist aus grobem Holz genagelt. Eine Stückgutkiste, wie man sie früher im Hafen häufig gesehen hat. Heutzutage wird fast alles auf Paletten oder gleich in Containern verpackt. Schließlich stutze ich. Nirgendwo an der Kiste ist ein Lieferschein angebracht. Seufzend hole ich mein Brecheisen aus dem Schuppen. Hoffentlich liegt der Schein darin. Wie sonst sollte ich die Abholung veranlassen? Aber was ist überhaupt in diesem Ungetüm? Neugierig bin ich ja schon.
Etwas amüsiert setze ich den Stahl an. Man bekommt ja nicht gerade oft die Gelegenheit eine Schatzkiste aufzubrechen. Vielleicht ist sie ja voll Gold? Dann könnte ich mir das mit der Abholung auch nochmal überlegen. Schade nur, dass sie für Gold zu leicht war.
Krachend geben die Nägel nach und der Deckel löst sich. Holzwolle quillt aus der Kiste und eines nach dem anderen ziehe ich die Bretter ab. Auch Holzwolle habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Styroporchips oder Luftpolsterfolie haben das Material ja eigentlich vollständig abgelöst. Fast schon übermütig wie ein Kind rupfe ich die braunen Fäden heraus. Vielleicht sind die Goldstücke ja darin versteckt? Ein Büschel nach dem anderen lasse ich auf die Pflastersteine fallen. Immer von der kindlichen Hoffnung beseelt, es möge vielleicht doch etwas darin klimpern. Dann stoße ich mit den Händen an etwas Hartes. Es klingt hohl und hölzern wie eine Kiste. „Eine Kiste in der Kiste? Was soll das denn?“, frage ich noch irritiert, als die Holzwolle endlich den Blick freigibt.
Es ist ein Sarg.
„Was machen wir jetzt mit dem schrecklichen Teil?“, will meine Frau wissen. Mein kleiner Sohn trommelt mit den Händen darauf herum. „Lass das!“, motze ich hinüber und er trollt sich. Sein Interesse kann ich ihm allerdings nicht verübeln. Der Sarg ist bunt gestaltet und dekoriert. Der Deckel erinnert fast an ein Pagodendach. Die Kante ist mit vergoldeten Schnitzereien verziert. Gestrichen ist er in grün, rot und blau und merkwürdige Zeichen, den germanischen Runen nicht unähnlich, sind auf der Seite eingeritzt.
Ein Lieferschein war natürlich nicht dabei. Nur die Nummer der Spedition war auf dem Holz der Kiste eingebrannt. Eine vierstellige Telefonnummer. Den Laden muss es schon sehr lange geben. Aber dort weiß man nicht, wer der Absender war. „Ohne eine Sendungsnummer kann ich Ihnen nicht weiterhelfen.“, war die lapidare Antwort.
Meine Frau weckt mich mit einem schmerzhaften Stoß in die Rippen aus meinen Gedanken. „Was wir damit jetzt machen, hab ich gefragt!“, faucht sie etwas gereizt. Ich zucke die Schultern: „Macht sich doch vielleicht als Blumenkübel im Garten sehr gut?“ Ich muss grinsen. Das wäre tatsächlich mal ungewöhnlich. Sie schüttelt aber nur den Kopf und geht wieder ins Haus. Den Kleinen nimmt sie auf den Arm. „Was ist das für eine Kiste?“, fragt er beim Reingehen. „Die ist falsch hier. Papa lässt sie wieder wegbringen.“, erklärt sie.
Etwas verdattert stehe ich auf der Einfahrt. Ich hatte den Sarg aus seiner Transportkiste herausgeholt um auch wirklich überall nach einem Lieferschein suchen zu können. Sogar im Inneren des Sarges selbst hatte ich gesucht. Nicht zuletzt, um auch sicher zu gehen, dass sich hier nicht eine weitere Kiste in der Kiste verbirgt.
Es war zwar weder eine weitere Kiste noch irgendein Schein darin, allerdings, zum Glück, auch keine Leiche. Er war schlichtweg komplett leer. Von Innen war nur das nackte Holz zu sehen und eine merkwürdige Sammlung von 23 Kerben an der oberen Kante. Manche älter, andere scheinbar ganz frisch und alle völlig unregelmäßig. Einige größer und andere klein. Das Fenster im ersten Stock geht auf und meine Frau ruft herunter: „Schaff das schreckliche Ding von der Einfahrt weg. Ich brauche morgen das Auto und außerdem will ich nicht, dass es die Nachbarn sehen.“ Ich seufze und hebe den Sarg an. So schwer ist er gar nicht. Und praktischerweise passt er locker durch das Gartentor. Ich trage ihn hinter den Schuppen und werfe eine Plane darüber, um ihn ein wenig zu verstecken. Dann schaffe ich noch die Transportkiste daneben und die Einfahrt ist wieder frei.
Der Kleine hustet schrecklich. Die ganze Nacht hindurch hat er hohes Fieber und auch am nächsten Morgen ist es nicht besser. Der Kinderarzt zuckt die Schultern: „Das geht rum im Moment.“ Er schreibt ein Antibiotikum und etwas zum Fiebersenken auf, verordnet Bettruhe und raus sind wir wieder. Auf dem Rückweg frage ich mich, ob es eigentlich eine Zeit gibt, wo nichts ‚rumgeht‘. Egal womit ich meinen Sohn beim Arzt vorgestellt habe, es ‚ging gerade herum‘. Erkältungen, Läuse und Kinderkrankheiten. Scheinbar geht alles herum und Nichts kommt jemals zur Ruhe. Eigentlich kann man wohl froh sein, wenn die Kinder auch mal irgendwann gesund sind.
Zu Hause wird er mit Fieberwickeln ins Bett gesteckt und ich verbringe den Vormittag weniger am Schreibtisch als mehr an seinem Bett um seine Hand zu halten. Das Fieber will einfach nicht sinken. Trotz der guten Ratschläge und der Medikamente vom Arzt bleibt es bei nur wenig unter 40°C. Seufzend mache ich zur Ablenkung nach dem Mittagessen eine Runde durch den Garten und rauche dabei meine tägliche heimliche Zigarette. Mein Blick fällt auf die Füße des Sarges, welche unter der Plane herausgucken. Ich hatte das Teil vor Sorge um meinen Sohn fast vergessen. Ich nehme die Plane ab und betrachte alles nochmal genau. Vorsichtig fahre ich mit den Fingern über die Schriftzeichen. In meinem ganzen Studium ist mir so etwas nicht untergekommen. Es sieht irgendwie aus wie germanische Runen. Oder ist das doch ganz etwas anderes?
Mir fällt ein alter Freund aus dem Studium ein. Er ist Professor geworden und in so ungefähr jeder Sprache und Schrift, die es gibt, gebildet. Mit meiner Spiegelreflexkamera schieße ich Fotos von der Schrift und schicke sie ihm per Mail.
Abends fahre ich nochmal mit dem Kurzen zum Notdienst. Er kommt kaum mehr zu Bewusstsein zwischen seinen Fieberschüben. Doch auch der Notarzt zuckt nur die Schultern, lässt ihn aber auf der Kinderstation aufnehmen. „Zur Überwachung. Es ist wahrscheinlich eine Grippe. Das wissen wir, wenn wir die Laborergebnisse haben.“ Dort sitze ich noch eine halbe Stunde nutzlos am Bett meines fiebernden Sohnes bis meine Frau mich ablöst. Wortlos übergeben wir die Obhut über den Kleinen. Sie verspricht in der Nacht nach Hause zu kommen. Und auf jeden Fall anzurufen, sobald etwas Neues herausgekommen ist.
Daheim angekommen versuche ich, wenigstens ein paar Seiten am Computer zustande zu bringen. Doch so recht kann ich mich einfach nicht konzentrieren. Die Sorge ist schlicht zu groß. Mein Handy liegt ständig neben mir. Sogar zum Klo nehme ich es mit. Lustlos surfe ich im Netz, als ein kleiner Sound mir verrät, dass ich eine neue Mail habe. Mein alter Freund hat zurückgeschrieben.
„Das hast du ja wirklich etwas ganz Exklusives gefunden. Es ist Romani, die Sprache der Roma, geschrieben in Brahmi-Schrift, einem Alphabet, das schon lange nicht mehr verwendet wird. Ich will dich nicht langweilen. Wenn du die Einzelheiten wissen willst, dann schreib mir nochmal und du bekommst du einen ausführlichen Bericht.
Es war eine harte Nuss das zu entziffern und zu übersetzen, doch ich habe es hinbekommen. Es scheint ein sehr alter Zigeunerfluch zu sein. Ich wüsste ja zu gern, worauf er geschrieben ist. Kann ich mir das Teil ansehen?
Hier die Übersetzung(Ich habe mal versucht die Lyrik ein wenig beizubehalten. Ist mir nicht durchgängig geglückt):
Einstmals aus dem Grab genommen,
ist ihm keiner je entronnen.
Ist er erst dein
Wird er einen der deinen holen.
Nicht Feuer verdirbt,
nicht Wasser verschlingt.
Ruhe findet er nur mit dem deinen
dort
woher er gekommen!
So ganz schlau werde ich nicht daraus. Vielleicht hast du ja noch Zeichen übersehen? Ich würde das Teil wirklich gern im Original begutachten.“
Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Mein Handy klingelt, ich erschrecke unheimlich und brauche ein paar Sekunden um mich zu sammeln. Meine Frau ist dran und sie ist völlig aufgelöst. Sie stammelt nur wirres Zeug, bis ein Arzt schließlich das Telefon an sich nimmt. „Würden Sie bitte herkommen? Es geht um Ihren Sohn.“
Sofort mache ich mich auf den Weg in die Klinik. Doch ich weiß längst, was man mir erzählen wird. Nach vielen, gut gemeinten und dennoch vollkommen nutzlosen, Erklärungsversuchen verlasse ich mit meiner Frau im Arm stumm das Krankenhaus. Was soll ich ihr sagen?
Der Typ im Blaumann nagelt die Kiste sorgsam zu. Die Spedition rief heute an. Sie wollten wissen, ob ich den Sarg noch hätte oder ob ich ihn benutzt hätte. Ich verneinte und auf einmal war eine Abholung kein Problem mehr.
„Und wohin geht das jetzt?“, frage ich leise. Doch eigentlich will ich es gar nicht wissen. „Zum Nächsten.“, sagt er nur stumpf und lässt die nächste Kippe in mein Rosenbeet fallen. Ich nicke nur und helfe ihm kurz beim Aufladen. Schließlich hatte ich auch beim Abladen schon geholfen. Dann verschwindet der LKW und ist wenig später um die Ecke gebogen. Ich gehe ins Haus und lege das Bastelmesser, mit dem ich die 24. Kerbe geschnitzt hatte, zurück in die Werkstatt. Gestern war die Beerdigung meines Sohnes. Wir haben es nicht übers Herz gebracht ihn in der bunten Kiste beizusetzen. Ich habe nur eine kleine Kerbe neben die anderen geschnitzt. Schließlich war er erst fünf.
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Geschichte Nr. 20 (techn. Nachzügler)
Ich hasse es früh aufzustehen. Obwohl eigentlich ist das falsch. Ich
hasse es aufzustehen. Es ist immer so anstrengend jedem Knochen und
Körperteil zu sagen es möge bitte wach werden. Diese minutenlange
Quälerei gegen den Körper. Ich würde ja gerne aufstehen, aber das
Fleisch ist schwach. Wieso können wir nicht einfach wach werden und
sind dann vital und voller Elan? Ich weiß es nicht.
Den Dreh zum richtigen Aufstehen habe ich auch nach Jahrzehnten noch
nicht gefunden. Obwohl es gibt eine Sache bei welcher ich wie ein
Pfeil aus dem Bett schieße. Welche Sache? Wenn es in aller Frühe an
der Tür klingelt. Dann bin ich hellwach, suche verzweifelt meinen
Bademantel und haste zur Tür. Was mag mich erwarten? Nervige
Glaubensgemeinschaften die mir weiß machen wollen das das Ende naht?
Oder unverhoffter Besuch? Doch insgeheim hoffe ich in solchen Fällen
immer das es jemand von der Post ist. Nichts ist schöner als
Geschenke.
Und so raffte ich mich auch an diesem Morgen auf und hastet nur mit
meinem Bademantel bekleidet zur Tür und öffnete sie. Vor mir stand der
Postbote. Doch ich war verwundert. Ich hatte doch gar nichts bestellt.
Hinter dem Postboten stand ein großes und längliches Paket. Er sagte
zur mir: „Ein Paket. Ich benötige noch eine Unterschrift.“. Ich
unterschrieb und stellte fest das ich den Postboten gar nicht kannte.
Ich fragte ihn ob er neu sei doch er meinte nur das er schon ewig für
das Unternehmen arbeitete. Ich unterschrieb und der Postbote ging
wieder. Ich ging zum Paket und zog es in das Haus. Man das hatte
Gewicht. Nach einigen Minuten war es im Wohnzimmer angelangt und ich
war doch ziemlich geschafft. Soviel körperliche Ertüchtigung am Morgen
kann einfach nicht gesund sein.
Um die Vorfreude auf das was in diesem Paket war noch etwas zu
behalten und mein plötzlich auftretendes Gefühl von Hunger zu dämpfen
beschloss ich erst einmal in die Küche zu gehen und mir etwas zu essen
zu suchen. Etwas Lamm vom gestrigen Tag wurde erwärmt und freudig
verspeist. Gesättigt und freudestrahlend kehre ich ins Wohnzimmer
zurück und begab mich zu meinem Paket.
Der Absender des Paktes war ein gewisser H. Eaven, Das sagte mir
nichts und so öffnete ich vorsichtig das Paket. Zum Vorschein kam
dunkel gebeiztes Holz, an welchem matt schimmernde Griffe befestigt
wurden. Ich wurde immer verwunderter, bis ich es ganz ausgepackt
hatte. Ein Sarg. Ein schwarz glänzender Sarg. Er sah majestätisch aus.
Auf dem Deckel stand in goldenen Buchstaben mein Vorname. Ich war
irritiert und verwundert. Doch dann begriff ich es: der neue Postbote,
der Absender und mein Gefühl von Hunger vor dem Öffnen des Paketes.
Ich schaute mich noch einmal um, legte mich in den Sarg hinein, schloß
die Augen und genoß die Stille. Wohl wissend das ich nie wieder
aufstehen musste…
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Keine Schlagwörter vorhanden
@Schreiber der Geschichte Nr. 19 – heftig, diese Geschichte geht mir richtig nah, ich hab jetzt Gänsehaut
Lg
Oh ja, heftig.
Ich fragte mich gerade, wer schreibt sowas? Erinnert entfernt an Dan Brown, aber dafür ist sie eigentlich zu gut. *SCNR*
An Nummer 11
Spedition Brömmle, Hauptgewinn ist dies schmucke Erdmöbel, prustete Anne, Versicherungsvertreter Kümelskorn, Ein Alligator, Tante Albertine, Berufsberater Schlotterfeld, Kleinpeter, Parkuhr, Juri Grigorjewitsch, der Schwager von Tamara, Gennadi Samoilowitsch.
Puh war das lesen anstrengend zum zweiten mal lesen damit ich es verstehe hab ich keine Lust mehr.
Tu mal jemand 5 Kilo Struktur rein.
Ist das nicht ein Bisschen viel Input für eine Geschichte?
Japp, die Nummer 19 ist absolut der Hammer! Ich habe sie jetzt schon zig Mal gelesen.
An den Autor: Du bist krank im Hirn, aber schreib um Himmels Willen mehr 🙂
Nr. 16 gefällt mir persönlich am ehesten. Leichenwagen mit Sarg als Werkzeugkiste… muss man mal drauf kommen. Müsst ich mal meiner Chefin vorschlagen *hehe* 🙂
19 Sehr schön.
17 Interessant.
14 Nett.
11 Indiskutabel schwer zu lesen und unübersichtlich.
****10 Isset****
Am allerbesten finde ich die Nr. 19. Schaurig – gruselig und sehr spannend…
@19 Kay Gee – krank im Hirn würde ich das nicht nennen.
Weißt Du wie oft ich als 3-fache Mutter Geschichten im Kopf habe, ala, was wäre wenn eines meiner Kinder stirbt ? Es kam auch schon vor, daß ich mich da so reingesteigert habe, dass Tränen flossen und ich Nächte nicht schlafen konnte.
Ich glaube nicht daß das krank ist. Es ist für Eltern sicher normal.
Der Autor hat eindeutig Talent zum schreiben, da würd ich gern mehr lesen..
LG
@Tanja – das war nicht einmal böse gemeint 🙂
Und ich habe mir von meiner Mutter sagen lassen, dass sie manchmal sogar soweit war, mich an die Wand zu klatschen. Also für Eltern ist sicher sehr viel normal.
Für mich ist ein talentierter Autor alles andere als normal und das halte ich für positiv. Denn er hebt sich von der Masse ab, hat Gedanken und Ideen UND die Fähigkeit zu schreiben.
Also Herr/Frau Autor/in: mach!
@Kay Gee war mir schon klar, dass das nicht böse gemeint war 🙂
Und auch das von Deiner Mutter beschriebene Gefühl – an die Wand klatschen wollen – kennen sicher viele Eltern. Zum Glück denken die meisten nur so.
Mich würde trotzdem interessieren, ob der Autor selbst Vater ist, und ob seine Geschichte auch aus so einem Gefühl, wie ich oben beschrieb entstanden ist, oder ob er, was ich nicht hoffe, wirklich sein Kind verloren hat.
LG
@10 Tanja a.A.
Nein – Ich bin kein Vater. Und ich hab auch glücklicherweise kein Kind verloren. Diese Geschichte entstammt schlichtweg meinem „kranken“ Geist.
LG.
Nr. 19
@Autor Nr. 19 – Gottseidank !
Du bist auf jeden Fall mein Favorite – weil einfach gut geschrieben 🙂
LG
Hm, ich ahne was, sag’s aber nicht.
Reihenfolge bei mir:
13 (hat was ehrlich *g*
19
Die sind so für mich die, wo ich Punkte vergeben würde 😉
Huii, da sind etliche gute Geschichten dabei…
10, 17 und 19 sind derzeit meine Favoriten.
Die 10.
Und die 17 bekäme den Sonderpreis für die verschrobenste Handlung.
…meine Kommentare verschwinden immer!
Also nochmal! 19 wird es werden! Klingt zwar etwas nach Stephen King,aber das macht ja nichts.
🙂
Die 19.
Wobei ich die 14 auch echt klasse finde, die 6 hat auch was und die 10 ist auch echt toll.
Schreibstil, Geschichte … 10 und 19 gleich gut … oder eben 19 und 10 … einfach toll … ich hoffe Tom hat zwei Bücher …
So, nun hatten wir ausreichend Gelegenheit, die Geschichten zum Wettbewerb zu lesen. Wer hat nun die beste Sarggeschichte geschrieben?Sarggeschichten 1 Sarggeschichten 2Bitte fair bleiben! Einfach die Nummer der Lieblingsgeschichte hier in einen Kommentar
Nr. 18
Sorry, aber irgendwann ist es etwas nervig, wenn die Geschichten ziemlich gleich anfangen: ‚Spedition klingelt, genervt, hb ich nicht bestellt, Unterschrift ohne Kontrolle, Sarg in Wohnung/Haus geschleppt‚
13 und 19 – in der Reihenfolge 🙂
Hi! Habe gerade zufällig die trollseite gefunden, das ist ja suess.
ELKE.
Hm, 10 und 19 finde ich zwar auch toll, aber irgendwie hatte ich beim Lesen so ein Deja Vu-Gefühl. Die Grundideen (Zigeunerflüche, „Geschenk“ mit Haken) dürften inzwischen fast so oft verbraten worden sein wie Vampire seit Anne Rice. Aber andererseits funktioniert ja auch der 10.000x Zombie-Film im Kino. 😉
Die 17 hat was – Grusel völlig ohne übersinnlichen Schnickschnack.
Die 13 finde ich auch nicht schlecht – fängt erstmal an wie ’n Klischee-Thriller und endet mit einem harmlosen, aber realistischen Plot.
@20: Ist mir auch aufgefallen, aber das wussten die Autoren ja vorher nicht. Interessant auch, dass in den Geschichten kaum jemand den Sarg selbst wollte…