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Schrecklich

Da fahre ich um 7 Uhr in der Frühe zu einer Adresse, weil dort der Herr des Hauses nach langer Pflege verstorben ist. Nicht die Dame des Hauses öffnet mir, sondern die beste Freundin.

In der Küche darf ich Platz nehmen und das ist mir auch am Liebsten so. Zwar sitze ich normalerweise auch gerne in Sesseln oder auf Sofas, doch läßt es sich an einem Küchentisch immer besonders gut schreiben, auch ist das Licht da meistens besser.

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Ungewöhnlich ist, daß der Tote noch nebenan im Schlafzimmer liegt. Normalerweise läuft das so, daß unsere Männer den Verstorbenen abholen, bei dieser Gelegenheit sicherstellen, daß auch alle Papiere vorliegen und im Anschluß machen wir einen Termin, bei dem die Angehörigen die Wahl haben, zu uns ins Büro zu kommen oder uns zu sich nach Hause kommen zu lassen.

Wenn viel zu tun ist, bevorzuge ich es, wenn die Leute zu uns kommen, ich spare mir dann die Fahrerei zwischen den Terminen. Die Menschen folgen dieser Bitte auch meistens gerne, denn mein Argument, sie könnten sich dann die Särge im Original anschauen und seien nicht auf Abbildungen im Katalog angewiesen, zieht fast immer.

Aber auch der Besuch zu Hause hat seine Vorteile, ich sehe das Wohnumfeld und kann mir hinsichtlich der Sicherstellung meiner Bezahlung ein besseres Bild machen und vor allem liegen daheim auch alle Papiere, wie Stammbücher usw., die die meisten Leute trotz unseres Denkanstoßes vergessen mitzubringen.

Da sitze ich also in der Küche, packe meine Unterlagen aus und die Dame des Hauses kommt einfach nicht herbei. Stattdessen plappert mich die Freundin voll und sabbelt unentwegt, sie kenne sich ja aus, ihr Mann sei ja erst vor zwei Jahren gestorben und der sei ja von der „Pietät Eichenlaub“ beerdigt worden und damit sei sie ja gar nicht zufrieden gewesen, schon allein wie der Mann im Sarg gelegen habe, schrecklich und dann sei das ja auch so fürchterlich teuer gewesen und überhaupt habe ihr das alles nicht gefallen und ich solle ihr doch mal die Särge zeigen.

„Wie wäre es denn, wenn die Witwe auch noch zu dem Gespräch dazustößt?“ frage ich und ernte einen entrüsteten Blick. Die Freundin, die übrigens etwa Ende 60 ist, sagt: „Ich soll das mal alles im Vorfeld klären, fangen Sie also mal an.“

Das mache ich dann auch, zeige ihr die Särge, die Hemden, die Urnen und bekomme schon wieder eine Abfuhr: „Also eine Urne brauchen wir doch gar nicht, der soll ja nicht verbrannt werden.“

„Ich zeige Ihnen einfach mal alles, was wir dann im Endeffekt aufschreiben, hängt ja von der Witwe ab.“

„Das passt mir jetzt aber so gar nicht.“

„Ich verstehe nicht ganz.“

„Ich habe den Eindruck, Sie wollen mir nur teure Sachen aufschwatzen.“

„Über Preise haben wir doch noch gar nicht gesprochen. Ich habe nur den Katalog durchgeblättert und Ihnen alles gezeigt, von billig bis teuer. Die Auswahl treffe ja nicht ich.“

„Dann zeigen Sie mir jetzt mal die Blumen!“

Auch von Gestecken, Kränzen und Urnenschmuck haben wir zahlreiche Fotos. Allerdings gibt es so viele unterschiedliche Formen und Blumen, daß ich immer dazu sage: „Das soll Ihnen nur Anregungen geben. Sie entscheiden, welche Blumen es sein sollen, können sich hier eine Form aussuchen und ich schreibe mir die Schleifentexte auf. Bei dieser Variante meldet sich der Gärtner dann im Laufe des Tages und gibt Ihnen den Preis durch.“

Das sage ich auch jetzt und füge noch hinzu: „Sie können aber auch eine Form aussuchen und den Preis nennen, den Sie bereit sind zu zahlen und dann macht der Gärtner das passend.“

„Sehen Sie, Sie fangen schon wieder vom Geld an. Nebenan liegt ein Toter und Sie wollen mir nur das Teuerste verkaufen.“

Ich überlege gerade, ob ich der Guten nicht einfach meinen Katalog quer ins dumme Maul stopfen soll, da kommt die Witwe herein, auch so Ende Sechzig, Anfang Siebzig. Ich stehe auf, will ihr die Hand geben, mich vorstellen und mein Beileid ausdrücken, doch die ignoriert mich einfach, geht an mir vorbei uns sagt zu ihrer Freundin: „Trude, ist das der vom Institut?“

Trude nickt und sagt: „Ja, Herma, der ist der Mann vom Institut.

DER setzt sich wieder und beschäftigt sich mit seinen Unterlagen, während Herma die Trude fragt: „Und hat er schon was gezeigt?“

„Ja, aber nur Teures, Herma.“

Ich schlage meinen Katalog wieder auf, die Seite zeigt einen ganz ordentlichen Sperrholzsarg, der nach viel mehr aussieht als er kostet und tippe darauf: „Das wäre beispielsweise ein günstiges Modell.“
Es ist nicht meine Art, gleich über die Verkäufe zu reden. Man erledigt oft erst die Formalitäten und kommt dann zum Geschäft, aber ich will sofort das Teuer-Argument entkräften.

„Herma! Der sieht ja scheußlich aus!“ ruft Trude erschrocken.

Herma nickt heftig: „Genau, ganz scheußlich.“

Ich blättere um, zeige den nächsten Sarg, braun lasiert mit Palmenschnitzung, eher nicht so schön, aber mit 600 Euro auch nicht wahnsinnig teuer.

„Gräßlich!“, Herma wankt, als ob sie gleich in Ohnmacht fallen will, „Haben Sie keine schöneren Särge?“

Ich blättere zwei Seiten weiter, helle Eiche, umlaufende Schnitzung, Preislage um die 1.100 Euro.

Trude legt beide Hände auf Hermas Unterarm, geht mit ihrem Kopf ganz nah an Herma heran und sagt leise, aber unüberhörbar: „Siehst Du? Und schon knallt er uns die Teuren hin.“

„Ach, was soll’s?“ sagt Herma, „Der gefällt mir aber, den nehmen wir.“

Ich zeige ihr die Talare, es folgt exakt das gleiche Theater. Mist, Schund, Ausschuß, die Billigen sind Dreck, ein Talar für 128 Euro gefällt. „Ach was soll’s, den nehmen wir, wir können uns das leisten.“

Die wichtigsten Sachen sind ausgesucht, ich will den Katalog weglegen, da beschwert sich Herma: „Und was ist mit den Urnen?“

„Oh“, sage ich, „Ihre Bekannte sagte, daß es keine Einäscherung geben soll. Aber selbstverständlich, hier sind die Urnen.“

„Mooooment“, mischt sich Trude wieder ein: „Was soll ich gesagt haben?“

„Ich hatte Sie vorhin so verstanden, als gäbe es keine Feuerbestattung, aber möglicherweise habe ich das auch nur falsch verstanden.“

„Das ist eine bodenlose Unverschämtheit! Sie sind ja völlig inkompetent! Wie soll man ohne Urne eine Feuerbestattung machen? Sagen Sie mir das mal! Sollen wir die Asche in einer Plastiktüte auf den Friedhof tragen. Das ist ja eine Frechheit!“ zetert Herma.

„Das tut mir leid, ich wollte Ihre Gefühle nicht verletzen, der Fehler lag gewiss bei mir, aber Sie können sich ja jetzt in Ruhe für eine Urne entscheiden.“

Immer schön diplomatisch bleiben, die Leute sind in einer Ausnahmesituation. Hätte ich eine Pommesbude, hätte zumindest Trude schon zu spüren bekommen, wie weit man mit Ketchup spritzen kann, aber hier ist das was anderes, außerdem habe ich gerade keinen Ketchup dabei.

Herma tippt auf eine der teuersten Urnen, alles andere ist gräßlich, schrecklich und „sieht so nach Tod aus“.

Wir kommen zur Besprechung der Trauerfeier. Einen Pfarrer haben sie nicht, kennen sie nicht und sind aus der Kirche ausgetreten, wegen dem Papst. Das ist mir auch egal, es tun mindestens 12 freie Trauerredner und -rednerinnen in der Umgegend Dienst, da wird schon jemand für die dabei sein.

„So ein Unfug!“ keift Herma, „Wollen Sie unseren Toten ohne Gottes Beistand verscharren? Das ist ja gottlos!“

Ja nee, ist klar: Aus der Kirche ausgetreten, die Pfarrer eben noch als „beutelschneiderische Pfaffen“ beschmipft, ihrem Haß auf den Papst Ausdruck verliehen, aber einen Pfarrer für die Beerdigung haben wollen. Aber was soll’s? Mein pensionierter, schachspielender Pastor macht auch sowas. Das schlage ich denen vor und das gefällt den beiden auch. Ich nenne den Namen des Pfarrers, suche seine Telefonnummer heraus und Trude schreibt sich das auf einen Zettel. Nur meint Herma dann: „Der darf aber nichts über Gott und so sagen, wir sind nicht fromm.“

Sach ma, ham die ein anne Klatsche?

Das denke ich mir, sage es aber natürlich nicht, aber offenbar muß ich in dem Moment so geguckt haben, daß sie wußten, was ich denke. Trude steht auf, zieht Herma hinter sich her und die beiden verschwinden nach nebenan.

Dann kommt Trude wieder herein, nimmt das bereits vor mir liegende Familienstammbuch an sich und sagt: „Wir möchten uns dann ganz herzlich bedanken. Bitte gehen Sie jetzt!“

Fast eine Stunde hat der ganze Zinnober gedauert, ich packe meine Unterlagen ein und bin ganz schnell wieder draußen.

Hoffentlich nehmen die jetzt die „Pietät Eichenlaub„, das würde ich beiden Parteien gönnen!

Bildquelle: pix elio.de, Fotograf: Johannes Höntsch

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