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Sind Pfarrer nur Pappkameraden?

Leser HelmBurn schreibt, daß es ihn stört, daß Pfarrer in einigen der Texten wie Pappkameraden dargestellt werden.
Er schreibt darüber einen sehr langen Kommentar. Dieser Text von ihm ist so ausführlich, fundiert und zeigt einmal seinen Standpunkt, daß ich ihn hier wiedergeben möchte. Man findet den Text hier weiter unten.

Allerdings möchte ich vorher sagen, daß ich in den Pfarrern keineswegs Pappkameraden sehe. Ganz im Gegenteil! Wir haben jeden Tag mit mehreren Pfarrern zu tun und die Herren und Damen der Geistlichkeit sind ein ebenso buntes Völkchen, wie man es in anderen Berufszweigen auch gibt. Da gibt es absolute Fachleute, ganz nette, ganz doofe, faule, fleißige, ehrliche, unehrliche, alberne, ernste, eben solche und solche.

In den weitaus meisten Fällen läuft unsere Zusammenarbeit mit den Pfarrern völlig reibungslos ab, professionell und ohne irgendeinen Grund, näher darauf einzugehen. Berichtenswert wird es hier für das Weblog erst, wenn da was schief geht oder der Pfarrer mal völlig daneben lag. Das heißt aber keinesfalls, daß alle Pfarrer Dummbeutel sind, ganz im Gegenteil.

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HelmBurn schreibt:

Natürlich gibt es unter Pfarrern auch seltsame Vögel. Und unbestritten wird auch in diesem Beruf zuweilen geschlampt. Aber in einige der bisherigen Beiträge kommen Pfarrer nur als Pappkameraden vor. Die Realität des Pfarrerberufs sollte fairerweise schon zur Sprache kommen, dann ließen sich viele der Beispiele auch anders interpretieren. Nur ein paar Punkte möchte ich hier in die Diskussion werfen:

1. Es ist jedermanns gutes Recht, sich in seiner Kirchengemeinde rar zu machen, nichts mit Kirche am Hut zu haben, oder wie immer man das nennen will. Aber es ist ziemlich inkonsequent, wenn man sich empört, dass jemand dann auch distanziert behandelt wird. Jemand, der nur einmalig meinen Service will, ist ein Termin. Menschen, die einen brauchen, vergisst man nicht, aber Termine können vergessen oder verwechselt werden. Auch mir ist es einmal unterlaufen, dass ich einen Namen falsch ausgesprochen habe – kein Wunder: Von der ganzen Familie habe ich vorher nie etwas gesehen oder gehört. Wäre die Betreffende mir zu Lebzeiten begegnet, wäre dass nicht geschehen. Wenn man es mit einem Menschen tun hat, ist man automatisch sorgfältiger. Aber dazu muss der Mensch erst mal als Mensch präsent sein. Im Alltag hat man es dagegen regelmäßig nur mit anonymen Forderungen zu tun: Zack-zack, Montag, 13.00 Uhr Hauptfriedhof Bestattung von XYunbekannt; aber bitte persönlich, warmherzig und individuell gehalten! Das ist eben eine fehlerträchtige Situation.

2. Es sagt sich auch so leicht dahin: Ein Pfarrer soll nicht unpersönlich sein. Ich weiß ja nicht, was manche so für eine Persönlichkeit haben, ich jedenfalls kann nach einem 2stündigen Gespräch mit Fremden mir vielleicht Lebensdaten notieren und Fettnäpfchen ziemlich vermeiden, aber persönlich kann ich nicht werden, ich kann mich nur professionell verhalten.
An dieser Stelle muss auch einmal ausgesprochen werden, dass die Bestatter sich zunehmend zwischen den Pfarrer und sein Gemeindeglied schieben. Der Pfarrer kriegt den Fall und den Termin vom Bestatter, nicht von den Hinterbliebenen, oft sind schon Ablauf und Einzelheiten besprochen und festgelegt, bevor mit ihm gesprochen wird, der den Gottesdienst doch halten soll. Dann sitzt er in der Zwickmühle: Soll er etwas akzeptieren, was seinem Auftrag und seinen Überzeugungen grob widerspricht oder soll er bei den Trauernden Befremden erzeugen, weil er sich weigert, etwas mitzumachen, was der Bestatter den Leuten schon zugesagt hat?
In meiner Stadt gibt es nur einen (in Zahlen: 1) von 4 Bestattern, der mich direkt anruft, damit ich die Leiche im Haus aussegnen und den Trauernden direkt beistehen kann. Warum nur dieser eine, warum ist das nicht die Regel? Tja, vermutlich weil Bestatter (laut Eingangthread) offensichtlich davon ausgehen, dass ein Pfarrer sich in ihre Planung einzufügen haben und dazu geflissentlich auf den Bestatter zugehen haben, damit der ihn informiert, was geplant ist.

3. Es sagt sich so leicht dahin: Ein Pfarrer solle Trost zusprechen. Aber sag mir mal einer: Wenn jemand nur so nebulös dran glaubt, dass es vielleicht eventuell möglicherweise so etwas wie eine höhere Macht geben könnte, was aber, wenn er ehrlich ist, eigentlich keinen großen Einfluss auf sein Leben hat: Welchen Trost könnte ich ihm dann geben? Schon Paulus schreibt „Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich“. Eben, und dann kann ich auch außer leeren, verlogenen Floskeln nichts Tröstliches sagen. Wie auch? Wenn jemand, wie in einem der vorigen Beiträge geschehen, zentrale Gedanken des christlichen Glaubens als „Blabla“ bezeichnet, dann soll er halt auch nicht nach dem Pfarrer rufen. Nimmt der seinen Beruf ernst, dann redet er doch automatisch an ihm vorbei.
Neulich hat wieder einer zu mir gesagt: Im Wald „fühlt er sich Gott näher als in der Kirche“. Nichts dagegen zu sagen, geht mir zuweilen selbst so. Aber dann soll er sich oder seinen lieben Verwandten halt vom Förster begraben lassen, anstatt vom Pfarrer zu verlangen, dass der seinen Glauben zu Hause im Schrank hängen lässt und statt dessen Trostworte salbadert, an die er selbst nicht glaubt und für die er sich in seinen besseren Momenten schämt; die er nur gesagt hat, weil es die Hinterbliebenen es so akzeptabel finden. Irrwitzigerweise wird er dann auch noch dafür gelobt und der Bestatter sagt zu Kunden und Kollegen: „Mit dem arbeiten wir gern zusammen, der macht das immer so einfühlsam“.

4. Im Bewusstsein vieler Hinterbliebener sind Pfarrer eine kirchliche Serviceleistung anlässlich eines Todesfalles geworden. Dazu muss man nur die Beschreibung des sog. „idealen“ Pfarrers im Eingangsthread lesen: „Er spricht auch mit dem Bestatter, lässt sich darüber informieren, was die Angehörigen sonst noch anlässlich der Trauerfeier planen, erkundigt sich nach Sonderwünschen und berücksichtigt diese möglichst.“ Ich will es mal ganz vorsichtig formulieren: Dieses Verständnis der Aufgaben eines Pfarrers weicht ziemlich von dem ab, was ich selbst und was meine Kirche darunter versteht. So steht das nicht in meiner Ordinationsurkunde! Vielmehr soll er einen Gemeindegottesdienst durchführen, keinesfalls aber im Rahmen einer von einem Bestatter organisierten Gedenkveranstaltung auftreten.
Damit ist auch ein Rahmen vorgegeben, innerhalb dessen er agieren muss. Die Bestattung ist weder für Pfarrer noch für Hinterbliebene eine Spielwiese. Ein Pfarrer, der (wie oben geschildert) während einer Beerdigung seine Schuhe auszieht und die Gemeinde auch dazu auffordert, hat vermutlich eine gruppendynamisch wirkungsvolle Symbolisierung initiieren wollen – aber als Pfarrer muss sich den Vergleich mit der rektalen Öffnung am unteren Ende des Rückgrats völlig zu Recht gefallen lassen. Andererseits: wenn er das Wolgalied oder „Time to say Goodbye“ abspielen lässt, weil es den „Sonderwünschen“ der Angehörigen entspricht, dann ist entweder die Beschaffenheit seines Rückgrats oder seines Hirns oder seines Berufsethos’ in Frage gestellt. Denn er hat nicht Kundenwünsche zu bedienen, sondern einen christlichen Gottesdienst durchzuführen im Auftrag einer Kirche, die ihm dafür eine Agende vorgegeben hat, damit keine Missverständnisse entstehen. Wollen die Hinterbliebenen etwas, was einem christlichen Gottesdienst widerspricht, dann wollen sie, dass der Pfarrer Pfusch baut, nämlich so: „Bei der Trauerfeier gibt er das im Trauergespräch Gehörte wieder“. Wer eine christliche Trauerrede so definiert, hat etwas Wesentliches an Sinn und Auftrag von Kirche nicht verstanden.

5. Das Gespräch wird zwischen Pfarrer und Hinterbliebenen geführt und meist auch da nur mit einem kleinen Teil. Wer da nicht dabei war, sollte vorsichtig sein mit Urteilen über das, was ein Pfarrer während der Bestattung sagt und tut. Der kann nur verarbeiten, was er von den Hinterbliebenen gesehen oder gehört hat. Keiner ist dagegen gefeit, wirre Aussagen falsch zu entziffern oder Verklärungen, Rechtfertigungen und Familienmythen für bare Münze zu nehmen. Jede Ansprache kann höchstens so gut sein wie die Hinweise, die man im Trauergespräch bekommt. Wenn einem die Leute eine Stunde lang angeschwiegen haben, dann wird auch nicht viel kommen. Vollends unmöglich ist es, in einer Ansprache es Leuten recht zu machen, mit denen man nie gesprochen hat.

6. Etwa jedes 4. Mal (geschätzt) wird einem als Pfarrer das Gefühl vermittelt, dass man nur eine lästige Notwendigkeit abwickeln soll. Meist bei einem Verstorbenen, der im Altenheim den meisten Besuch von mir bekam, während seine Angehörigen sich höchstens am Gründonnerstag oder am 4. Advent blicken ließen (noch schnell vor dem Ski-Wochenende den Pflichtbesuch bei Opa absitzen). Man lässt es deutlich heraushängen, dass man die Geschichte rasch hinter sich bringen will, mit nur gerade so viel Aufwand, dass es kein Gerede gibt. Damit man das kriegt, wird das kirchliche Gebrabbel des Pfarrers geduldig ertragen, mit glasigem abwesenden Gesichtsausdruck. Da ist es verständlich, wenn ein Pfarrer irgendwann automatisch auf Routine schaltet, wenn er die ersten Anzeichen merkt – und zuweilen merkt er halt zu spät, dass diese ersten Anzeichen falsch waren! Aber schließlich hat er für 2000 – 4000 Leute da zu sein, also konzentriert er seine Sorgfalt auf die, die ihn wirklich brauchen, die sich helfen lassen wollen und das auch klar zu erkennen geben und die ihn vor allem als Pfarrer wollen und nicht nur als Kleiderständer für den schwarzen Talar, der halt zu einer Beerdigung gehört.

7. Eines der Hauptprobleme in meinem Beruf sind die diametral entgegengesetzten Erwartungen, die einem entgegengebracht werden. Z. B. soll man dauernd nicht zu „heilig“, nicht zu fromm sein, sondern Mensch bleiben. Aber zur Menschlichkeit gehört halt auch, dass einem Fehleinschätzungen unterlaufen, dass man auch einmal etwas vergisst oder verwechselt. Es ist nur menschlich, dass man nach der 13. Bestattung innerhalb von 10 Tagen vor lauter fremden Gesichtern auf einmal nicht mehr genau weiß, welchen völlig Fremden man jetzt gerade beerdigen soll – oder dass man eben die Notizzettel vertauscht. Mir ist es noch nicht passiert, aber es hätte passieren können. Zumindest sollten sich die Kritiker erst einmal untereinander einigen, ob der Pfarrer lieber „heilig“ oder lieber „auch nur ein Mensch“ sein soll, aber dann konsequent sein.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#pappkameraden? #pfarrer #sind

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