Geschichten

Tischlein deck dich! -III-

Es kam der Tag, an dem wir Frau Seipel ihr Tischlein brachten. Herr Stadelfinger hatte sie angerufen und sie hatte vorgeschlagen, am vierten Adventssonntag zu ihr zu kommen, sie würde auch Plätzchen backen.
Ich muß ehrlicherweise zugeben, daß es auch der Gedanke an leckere, selbstgebackene Plätzchen war, der mich an diesem etwas düsteren und feuchten Tag aus dem Hause trieb.

Was man dem Tischlein so gar nicht ansah, was aber eigentlich auch ganz logisch war, es war bedeutend schwerer als man glauben mochte. So waren meine Finger ganz weiß geworden bis wir das Tischchen vom Wagen zu Frau Seipels Haustüre geschleppt hatten.

Immer noch war das weiße Tuch über das Möbelstück gezogen und Frau Seipel konnte es gar nicht mehr abwarten. Doch Stadelfinger mußte sie enttäuschen: „Bitte lassen Sie uns noch etwas warten, bis der Tisch Zimmertemperatur bekommen hat, durch den Transport durch die Kälte würde die Mechanik vielleicht nicht funktionieren und Sie wären enttäuscht.“

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Mit gespieltem Schmollen schlug die alte Dame vor, dann könnten wir doch zuerst auf dem Sofa Platz nehmen, sie würde Kaffee und Plätzchen servieren und auf dem Plattenspieler eine Weihnachtsplatte abspielen.

„Solange wir nicht singen müssen, finde ich das eine gute Idee“, sagte ich.

Die Plätzchen waren wirklich hervorragend! Nicht eines davon war einfach nur so geformt oder ausgestochen und dann gebacken. Nein, es waren immer Kompositionen mit mehreren Etagen, mit Marzipan und Walnüssen und überzogen mit dunkler, heller und weißer Schokolade. Was für eine Heidenarbeit!

Nach einer knappen Stunde, wir hatten uns angeregt über den Weihnachtstrubel in den Geschäften in der Stadt unterhalten, klatschte Stadelfinger plötzlich in die Hände und meinte: „So, jetzt ist es, glaube ich, so weit. Wir können das Prunkstück enthüllen.“

Frau Seipel stand erwartungsvoll vor dem Tischlein, ich hatte meinen Fotoapparat startklar gemacht, um ihr überraschtes Gesicht und sie neben dem neuen Tisch knipsen zu können.
Mit einer galanten Bewegung zog Stadelfinger das Tuch weg und Frau Seipel stand da, mit vors Gesicht geschlagenen Händen und staunte. „Min Gott, ist der schön, meine Gott, was ist der schön, ach nee, was ist der schön!“, rief sie und dann führte Stadelfinger den Mechanismus vor.

„Das ist ja der absolute Wahnsinn! Das ist ja noch viel schöner, als ich es mir vorgestellt habe!“, rief die alte Dame und öffnete und schloß den Tisch mehrere Male. „Nein, was für ein Kunstwerk!“

Offensichtlich schien ihr der Tisch zu gefallen und auch genau so geworden zu sein, wie sie es sich gewünscht hatte. Ich schoß noch ein paar Bilder und dann setzte ich mich wieder aufs Sofa, etwas näher zu den süßen Köstlichkeiten aus der Seipel’schen Backstube.

Herr Stadelfinger wurde etwas verlegen, als die alte Dame ihn plötzlich umarmte und zu weinen begann.

Dann ließ sie ihn wieder los, wandte sich zu ihrem Wohnzimmerschrank und holte aus einer Schublade einen dicken Geldbeutel aus Krokolederimitation. „Na, was bin ich Ihnen schuldig?“

Stadelfinger drehte seine Finger ineinander und wackelte von einem Fuß auf den anderen. Dann warf er mir einen hilflosen Blick zu. „Nur zu!“, ermunterte ich ihn, „Sie werden doch am besten wissen, was Sie an Material investiert haben und wieviele Stunden Sie aufgewandt haben.“

„Ja, das ist mal das Grundholz, dann das Furnier, das Stück Nußbaum, die Schrauben, Winkel und Beschläge…“

Ich unterbrach ihn: „Ja, das Material ist ja meist nicht das Teuerste, was ist mit Ihrem Lohn?“

Das sagte ich, weil ich das kenne. Da hat jemand einen Haufen Arbeit investiert, und das dürften im Falle dieses Tischleins bestimmt 100 Stunden oder mehr gewesen sein, und dann rechnen alle nur mit dem günstigen Material und die Arbeitsstunden bleiben außen vor.
Aber was konnte man da verlangen? Sagen wir, Herr Stadelfinger rechnete bloß 10 Euro pro Stunde, dann käme das Tischlein sicher über 1.000 Euro. Nun, wie ich es mir so betrachtete und seine ganze Schönheit sah, da kam ich zu der Auffassung, daß so an die 1.200 Euro ein durchaus angemessener Preis für eine solche ganz besondere Spezialanfertigung sein mochte.

Herr Stadelfinger hatte die Augen etwas zusammengekniffen, er schien zu rechnen. Frau Seipel schaute ihn fragend und gespannt an und knipste dabei fortwährend ihren Krokogeldbeutel auf und zu.

„Hm“, machte der Schreiner, kratzte sich nochmals am Kopf und meinte dann, eher fragend, als denn fordernd: „800 Euro?“

Ich zuckte zusammen. Mensch, das war aber mehr als nur ein Freundschaftspreis! Aber okay, er mußte das wissen und sicherlich konnte er auch für sich verbuchen, daß er das Tischlein auch zu seiner Freude und als handwerkliche Übung und Herausforderung gemacht hatte. Handarbeit, angefertigt im privaten Bereich, erzielt niemals den Preis, den sie wert wäre.

Frau Seipel knipste ihren Geldbeutel zu und legte ihn auf die Ablage mit den Hummelfiguren in ihrem Wohnzimmerschrank. „Achthundert?“ Sie dehnte jede Silbe. „Aachthuuuuunderrrrt?“

Stadelfinger zuckte zusammen und ich merkte, daß er sofort mit dem Preis runtergehen wollte, doch ich griff ein: „Achthundert Euro, Mann, das ist ja geschenkt. Gell, Frau Seipel, da freuen Sie sich, so einen schönen Tisch zu bekommen und dann noch zu einem so günstigen Preis.“

„Nunja“, sagte die Alte mit spitzer Stimme: „Das ist ehrlich gesagt ein wahrlich fürstlicher Preis.“

„Aber, Frau Seipel!“, sagte ich, „Das ist sehr, sehr günstig und Sie hatten doch signalisiert, daß Ihnen so ein Tisch einiges wert wäre.“

Einmal mehr in meinem Leben verfluchte ich die Tatsache, daß nicht rechtzeitig und vorher ein Preis abgesprochen worden war. Dann gäbe es jetzt kein Hin und Her.

„Ich könnte ja auch …“, fing Stadelfinger an, doch ich unterbrach ihn sofort wieder, denn ich sah es einfach nicht ein, daß er noch weiter herunterging.

Frau Seipel war es, die das Gespräch fortsetzte: „Vierhundert! Ich biete Ihnen vierhundert Euro!“

Stadelfingers Gesicht zeigte Entsetzen und dann sofort wieder Milde. So hätte er sein Material wieder raus und alles wäre gut; fast schon war er dabei zuzustimmen. Doch ich wollte nicht, daß er seine Arbeit unbezahlt erbracht hätte.
Also stand ich auf, verzichtete auf noch eine der marzipanüberzogenen Karamellbomben und ging zu dem Tischlein hinüber. Ich streichelte mit der Hand über die glänzende Tischplatte und tat so, als würde ich es prüfen und taxieren.
Dann sagte ich: „Herr Stadelfinger, ich biete Ihnen 1.500 Euro!“

„Moment mal, das ist doch mein Tischlein!“ rief Frau Seipel entsetzt.

„Ja, aber Sie wollen es doch nicht bezahlen“, sagte ich und wandte mich mit gespieltem Interesse wieder dem Tischlein zu.

„Nee, nee, ich bezahle es ja!“, sagte Frau Seipel schnell und holte wieder die Krokobörse. Mit zitternden Fingern zählte sie 50er und 100er auf den Tisch: „Hier sind 800 Euro.“

„Zu spät!“, rief ich. „Ich habe schon 1.500 Euro geboten.“

„Aber er hat doch 800 gesagt.“

„Das ist zu wenig, ich biete mehr.“

„Fünfzehnhundert ist aber wirklich sehr, sehr viel!“

„Ja und, der Tisch ist ja auch sehr, sehr schön. Wir haben daheim so eine Stehlampe und darunter würde er sich prima machen, zum Schachspielen oder so.“

Frau Seipel war entsetzt und ließ sich in ihren antiken Ohrensessel fallen. „Meine Güte! Fünfzehnhundert Euro!“

„Na gut“, sagte ich: „Wenn Sie sich mit Herrn Stadelfinger auf einen angemessenen Preis einigen können, dann ziehe ich mein Angebot zurück. Aber denken Sie gut nach, wenn der Preis nicht stimmt, nehme ich das Tischlein mit.“

Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein wissendes Lächeln über die Lippen der alten Dame und sie schien nachzudenken. Dann überlegte sie laut: „In Wien sah ich mal ein ähnliches Stück, viel älter und längst nicht so schön und so raffiniert, das sollte über 2.000 Euro kosten und da wurde ich leider überboten…“
Wieder knipste sie das Kroko-Portemonnaie auf und zählte aus der gut gefüllten Geldbörse weite Banknoten auf den Tisch: „So, hier sind 1.300 Euro. Meinen Sie, wir werden uns einig?“

Stadelfinger strahlte, grapschte nach dem Geld und nahm alles bis auf zwei Fünfziger: „Zwölfhundert sind okay!“

Ich rief: „Na, dann ist der Handel ja perfekt!“

Als wir Frau Seipel verließen, nicht ohne daß sie mir eine Blechdose voll von ihren leckeren Plätzchen mitgegeben hatte, stand sie neben ihrem neuen Tischlein und streichelte wieder und wieder über das schöne Holz und wir hatten nicht den Eindruck, daß sie den Kauf oder den Preis bereute.

Unten im Wagen fragte mich Stadelfinger: „Und, Chef, was hätten Sie gemacht, wenn die nicht darauf angesprungen wäre?“

„Nun, dann hätte ich Ihnen das Tischlein wohl oder übel abgekauft, auch wenn meine Frau mich dann einen Kopf kürzer gemacht hätte.“

„Na, dann isses ja besser, daß die Frau den doch noch genommen hat.“

„Jau, so isses.“

-Ende-

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(©si)