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Ulam-Ulam, ein Volk aus Afrika

Herr Weißhoff ist bei uns, um seine Schwester bestatten zu lassen. Natürlich ist Herr Weißhoff zu uns gekommen, sein Sohn hat uns empfohlen und der ist der Mathematiklehrer unseres Ältesten.

„Nein, nicht nur mein Sohn ist Mathematiklehrer, auch ich war Mathematiklehrer und auch mein Vater war Mathematiklehrer. Wir sind alle Mathematiklehrer.“

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In mir steigt die Magensäure hoch und ist dabei, die letzten drei Mahlzeiten in Richtung Kehlkopf zu transportieren. Ich muß tief durchatmen, um Herrn Weißhoff die übergroße Zuneigung, die ich Mathematiklehrern gegenüber an den Tag zu legen pflege, nicht in Form von rudimentär vorverdauten Opfergaben zu manifestieren.

Sind wir doch mal ehrlich, Mathematiklehrer, Hauptfeldwebel, Straßenbahnkontrolleure und Marcel Reich-Ranicki sind doch nur erfunden worden, um andere Leute zu quälen, oder?

„Die Mathematik“, doziert Herr Weißhoff, in unserem Ausstellungsraum herumstolzierend, „ist die Mutter aller Wissenschaften.“ Keine andere Wissenschaft überhaupt komme ohne die Mathematik aus und nur wer rechnen könne, könne im Leben überhaupt bestehen.

Jaja, würg! Wie oft habe ich das schon hören müssen: Mathematik ist die Mutter aller Wissenschaften und Latein die Mutter aller Sprachen, jawoll.

„Nein wirklich! Schauen Sie hier“, er deutet auf eine Urne aus unserem Sortiment: „Wenn ich diesen Preis hier mit der Quadratwurzel von 23 multipliziere, kommt eine ganz lustige Zahlenfolge heraus. Na, wie ist es, können Sie mir sagen, welche?“

Nee, kann ich nicht, will ich nicht, mach ich nicht… Hallo, ich bin der Chef eines halbwegs gut gehenden Unternehmens und nähre mit meinem Betrieb ein paar Dutzend Leute, da werde ich wohl rechnen können, aber doch nicht so einen Scheiß, und schon gar nicht zum Spaß, und überhaupt: Wie krank muß man sein, um Zahlenfolgen „lustig“ zu finden? Kichert da die Drei einer Acht was vor oder krümmt sich da ne Zwölf vor lauter Lachen?

„Oder hier, gucken Sie mal, diese Urne kostet genau 125,12 Euro und das ist die berühmte Pell-Folge.“

Ich kenne Pellkartoffeln, bin ich versucht zu sagen, nicke ihn aber nur höflich an, sagen kann ich nichts, sonst muß ich doch noch kotzen. Mathematiklehrer!

„Und hier dieser Sarg! Ja wenn das kein lustiger Zufall ist, der kostet genau 1.123,58 Euro“, sagt er, streichelt liebevoll über das Preisschild und sagt ehrfurchtsvoll: „Die Fibonacci-Reihe.“
Ich beschließe insgeheim, meine Mitarbeiter zu treten. Normalerweise sollen die Beträge auf den Preisschildern glatt sein. Aber unser Fakturierungs- und Lagerverwaltungsprogramm kalkuliert centgenau und manchmal ist man im Büro zu sehr in Eile, die automatisch ausgeworfenen Preisschilder alle einzeln mit dem Etikettendrucker glatt neuzudrucken.

Ich nicke wieder nur höflich und endlich bequemt Herr Weißhoff sich, doch noch eine sinnvolle Auswahl zu treffen. Natürlich verschmäht er alle Produkte mit glatten Preisen und hat einen Riesenspaß, nur die Sachen auszusuchen, die einen „lustigen Preis“ haben.
Ist ja auch mal ’ne Methode…

Zuerst hatte er vor einem Sarg gestanden, der ihn 1.200 Euro glatt gekostet hätte, doch dann entdeckt er einen aus Mahagoni, eines unserer Spitzenmodelle und schlägt vor Verzücken die Hände vors Gesicht: „Die Eulersche Zahl, ja isses denn möchlich!“

Der Sarg kostet 2.718,28 Euro und ich schreibe fleißig auf.

Herr Weißhoff hat weiterhin Spaß mit unseren Preisen.
Er nimmt nicht die Urne für 125,12 Euro, was der Pell-Folge entsprechen soll, von der ich noch nie etwas gehört habe, sondern er bleibt ganz fasziniert vor unserer Aschengrotte stehen.
Die Aschengrotte habe ich mal unserem Pietätwarenhändler im Anflug vorübergehender geistiger Umnachtung abgekauft. Es ist ein schwarzer Pott von unglaublichen Ausmaßen. Auf die Vorderseite hat der Künstler eine dicke Fratze modelliert, die einen Erzengel darstellen soll, mich aber irgendwie an den Glöckner Quasimodo erinnert. Den Deckel hat er als Krone ausgearbeitet und mit Goldbronze angestrichen und man kennt das ja, hat man erst mal Goldbronze auf dem Pinsel, dann findet man immer noch was, was man auch noch anmalen kann…

So ist aus dem Ungetüm, das eigentlich vorwiegend schwarz ist, eine schwarz-goldene Schrecklichkeit geworden, die mir in all den Jahren niemals jemand abgekauft hat. Irgendwann haben wir dem Teil mal einen utopisch hohen Preis gegeben und statt „Urne Erzengel“ den Namen „Designurne Atlantis“ verpasst. Irgendwann würde jemand kommen, der unbedingt von allem das Teuerste will und der würde sie dann kaufen.

Daß es aber ausgerechnet ein zahlenverrückter Mathematiklehrer sein würde, hätte ich nicht gedacht. Immerhin kostet der Bembel des Schreckens freche 1.303 Euro, für eine Urne eigentlich eine Unverschämtheit. Aber Herr Weißhoff steht ganz fasziniert vor dieser Aschengrotte und schaut erst mich und dann wieder die Urne an: „Na? Sehen sie es?“
Ich sehe gar nichts, nur eine völlig überteuerte und häßliche Urne.
Doch er sieht mehr und sagt mit einem feierlichen Unterton: „Die Conway-Konstante!“

Der spinnt, soviel steht fest.

Am Ende rechne ich zusammen und komme auf stolze 6154 Euro, glatt! Ob der Typ im Kopf mitgerechnet hat, ich habe so gut wie nie glatte Zahlen raus. Ich schreibe die Zahl auf das Auftragsformular und drehe es zu ihm um.
Ich weiß, was kommen wird: Er wird die hohe Summe sehen, entrüstet sein und wir werden alles noch einmal durchgehen müssen, neu aussuchen müssen und schließlich wird er auf weniger als die Hälfte kommen. Denn das was er sich da ausgesucht hat, ist alles unwahrscheinlich teuer und die gleiche Bestattung kann ich auch für 3.000 machen und selbst das ist noch viel.

Er schaut auf die Summe, schluckt, bekommt glasige Augen und jetzt ist wohl der Moment gekommen, um zur Besinnung zu kommen. Doch er schüttelt fassungslos den Kopf und meint: „Eine der Ulam-Zahlen! Unfassbar, eine der Ulam-Zahlen!“

Dann unterschreibt er und ich grüble noch heute, was Ulam-Zahlen sind; kommen die aus Afrika vom Volke der Ulam-Ulam?

Sandy, meine Mitarbeiterin meint später dann zu mir, man könne jede beliebige Zahl nehmen und wenn man nur genügend Zahlenreihen kennt, findet man immer irgendeine übereinstimmung. Sie will mir das vorrechnen und ich rücke von ihr ab, so als ob sie die Krätze hat. Ih, die kann ja Mathe!!! Dabei find‘ ich die doch so toll.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#afrika #ulam-ulam #volk

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(©si)