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Van der Cloethen

orgel

Nachts kommen nur ganz selten Leute direkt zu uns ins Haus. Eher noch kommt es vor, daß wir zu denen hinfahren müssen. Und „wir“, so haben es meine Mitarbeiter liebevoll beschlossen, bedeutet: der Chef.

Ist ja aber auch wirklich doof. Sandy, die sehr gerne Beratungen macht, wohnt ziemlich außerhalb, Frau Büser, unsere Büroleiterin, macht zwar sehr gute Beratungen, aber grundsätzlich nur in der Bürozeit und im Büro. Irgendwie bin ich zu gutmütig…

Nunja, es geht ja jetzt auch gar nicht um eine Beratung zu Hause, sondern um eine Frau, die in der letzten Nacht zu uns gekommen ist. Au Mann, habe ich gedacht, als sie mir gegenüber stand.

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Frau van der Cloethen ist nur gut einsfuffzich groß, sehr schlank, sehr knochig, vielleicht so gerade Ende Sechzig. Ganz nervös streichen ihre Daumen rastlos über ihre ständig zur Faust geballten Hände, ist dieses „Geldzählen“ nicht auch sogar ein Symptom für eine beginnende Parkinsonkrankheit? Irgendwie ist die Frau ständig in Bewegung, rastlos, ruhelos, man wird selbst nervös.

Diese kleinen, zappeligen 50 Kilo sind aber sehr resolut. Da wird nichts ausgesucht, da bleibt mir keine Chance zu beraten. Sie sagt an, zack, zack, jawoll!

Umso schneller sind wir fertig und kommen zum Text der Traueranzeige. Ich sehe sofort was los ist. Ihr Mann, der heute zu Hause verstorben ist, muss lange mit dem Tod gerungen haben, die Todesanzeige hat sie irgendwann einmal auf einem Zettel entworfen, Dutzende Male verbessert und geändert, es sind auch schon Namen bei den Angehörigen gestrichen, vermutlich sind die inzwischen selbst schon tot.

Wenn Leute, so wie Frau von der Cloethen, ziemlich verhärmt sind und schmallippig kein Zeichen der Trauer zeigen, dann weiß ich, wie man es ihnen etwas leichter macht. Egal wie’s immer war, wer weinen kann, gibt ein Stück der Last ab. Ich steuere die Menschen dann immer dahin, daß ich sie ihren persönlichen Abschiedsgruß formulieren lasse. Das geht sehr gut im Rahmen der Gestaltung der Traueranzeige. In diesem Fall ist die Anzeige aber schon fertig, also versuche ich es beim Schleifentext für den Kranz. Sie schwankt. Eigentlich wollte sie „Ein letzter Gruß“ schreiben lassen, aber ich sage, daß das doch eher was für Vereinskameraden sei und schlage verschiedene andere Sprüche vor. „In Liebe und Dankbarkeit“ wird gerne genommen, aber sie schüttelt den Kopf und entscheidet sich schließlich für „In Liebe, Deine Else“.

Der Bestatter nimmt einem ja vieles ab, aber gerade diese persönlichen Formulierungen, so altbekannt sie auch sein mögen, bringen die meisten Leute zum Weinen, so auch Frau van der Cloethen.
Endlich lockert sich ihr strenges Gesicht und sie lässt ihren Tränen freien Lauf. Zunächst schämt sie sich ein wenig, die Menschen sind es oft nicht mehr gewöhnt, zu weinen, doch ich gehe einfach mal kurz raus, paffe schnell ein Zigarettchen, während ich ihr ein Glas Wasser einschenke.

Als ich wiederkomme, weint sie immer noch, aber ich sehe ihrem Gesicht an, daß sie jetzt viel gelöster ist. Und dann kommt sie ins Erzählen.

Vor 21 Jahren, da waren sie noch keine Fünfzig, wollte ihr Mann vom Frühstückstisch aufstehen und konnte das auf einmal nicht mehr, sein rechter Arm ruderte hilflos in der Luft herum und er startte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Schlaganfall!

Noch auf dem Weg ins Krankenhaus gesellten sich zwei Herzinfarkte und noch ein Schlaganfall dazu. Was blieb war ein schwerstbehinderter Mann, der sich nicht mehr rühren konnte, nicht mehr sprechen konnte und rund um die Uhr betreut werden musste. „Der ist hellwach, der bekommt alles mit“, hatten die Ärzte gesagt und so hatte Frau van der Cloethen 21 Jahre lang ihren Ernst gewaschen, gefüttert, gepflegt und unablässig mit ihm geredet und gesungen.

21 Jahre aufopfernde Pflege, rund um die Uhr, ohne einen einzigen freien Tag…

Die Frau hat was geleistet, Respekt!

Wir werden alles tun, um unseren Teil der Arbeit so gut wie möglich zu machen, ich glaube, das hat sie verdient.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#cloethen

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(©si)