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Volltrunken in Reykjavik

Du spinnst total!“
Das war die Reaktion der Allerliebsten, als ich ihr sagte, sie solle doch endlich das Mittel von Dr. Bern nehmen.

„Nein, das nehme ich nicht. Nachher wirkt es nicht richtig und ich werde mitten über dem Atlantik in dieser engen Röhre wach und dann stürzen wir ab! Wir werden abstürzen! Wir werden alle sterben. Polstersessel können nicht fliegen, das hat Loriot schon gesagt.“

„Du stellst Dich aber auch an. Jedes Jahr fliegen Millionen von Menschen nach Kanada und nie passiert was. Statistisch gesehen ist Fliegen sicherer als Busfahren.“

„Ich will aber nicht in ein Flugzeug einsteigen.“

„Ja, aber als ich Dich gefragt hast, ob Du mit nach Kanada kommst, warst Du doch ganz begeistert.“


„Da habe ich ja auch nicht gewusst, dass Du ausgerechnet fliegen willst.“

„Meine Güte, wir hätten ja auch mit dem Schiff fahren können, aber weißt Du was das kostet und wie lange das dauert?“

„Schiff? Ich höre immer nur Schiff! Da sage ich nur eins: Titanic. Ja? Schonmal was von gehört? Titanic! Das war das sicherste Schiff seiner Zeit, unsinkbar! Und? Was ist passiert? Blubb, blubb, blubbb… Mich kriegst Du ganz bestimmt nicht auf so einen Seelenverkäufer. Wenn ich nur dran denke, im kalten Wasser zu ertrinken, bevor mich jemand rettet.“

„Ja, was hast Du denn gedacht, wie wir nach Kanada kommen?“

Etwas verlegen betrachtete meine Angetraute ihre Füße. Das tut sie immer, wenn Logik, Wissen und weiblicher Schmoll in ihrem Kopf Samba tanzen. „Hm, tja, na ja, irgendwie hatte ich gedacht, dass wir mit dem Auto fahren. Jaaaaa, ich weiß jetzt auch dass das nicht geht…. Du Mann, Du!“

„So, und was machen wir jetzt? Ich habe alles gebucht, die Hotels, die Hütte, den Wagen, das Wohnmobil. Und jetzt soll es daran scheitern, dass Du nicht ins Flugzeug steigen willst.“

Sie schmollte. Natürlich war ich es schuld, dass der liebe Gott oder Herr Wegener ausgerechnet zwischen dem nordamerikanischen Kontinent und Europa soviel Wasser platziert hat.
Dabei war die Reise zu diesem Zeitpunkt lange geplant. Mit großem Elan hatte die Allerliebste die Koffer gepackt, allen ihren Freundinnen vom bevorstehenden Erlebnis erzählt und sich sogar neue Klamotten extra für die Reise gekauft. So eine Reise ist ja immer ein willkommener Grund, sich extra was anzuschaffen. Zwei, drei Paar Schühchen, eine Jacke, noch eine Jacke für die kühlen Abende und natürlich ein paar Jeans (paar kleingeschrieben…).

Weiber! Ich bin da anders. Ich kaufe mir doch keine Klamotten, extra für so eine Reise. Das wäre verschwendetes Geld, denn mein Schrank ist voll mit Klamotten. Außerdem brauchte ich das Geld für die neue Action-Cam, eine Tripod-3000-Lachsangel und eine supergünstige Survivalausrüstung mit Solarkocher.

Alles war geplant, bis in Kleinste. Und ich hatte auch die Flugangst meiner Allerliebsten berücksichtigt. Die Bilder, wie sie sich damals über Kreta eine halbe Stunde lang mit beiden Händen an meinen Hals klammerte und immer wieder geschrien hat: „Wir werden alle ins Meer stürzen“, sind mir noch gut in Erinnerung. Ich habe die blauen Flecken von den Hieben des Security-Marshals noch Wochen später gespürt. Sein Einsatz geht aber rückschauend in Ordnung, er musste die zappelnde Allerliebste, die auf mir kniete, meine Hilfeschreie und und meinen Widerstand gegen die ehefrauliche Gewalt für einen terroristischen Akt halten, das sehe ich ein.

Doch dieses Mal hatte ich vorgesorgt. In einer langen Sitzung im Sprechzimmer von Dr. Bern waren wir alle überein gekommen, dass sie nur 15 Tropfen dieser Beruhigungstropfen gegen ihre Flugangst nehmen müsse. Dann würde sie direkt nach dem Anschnallen im Flugzeug in eine Art Wachkoma fallen, ihr würde alles egal sein und die Wirkung würde auch garantiert bis zur Landung in Toronto anhalten.
Jaaaa! Beim Arzt hatte sie noch dicke Backen gemacht und hoch und heilig versprochen, die 15 Tropfen zu nehmen.

„Wirklich“, hatte Dr. Bern gesagt: „Erst haben Sie den Eindruck, als ob so ein grünlicher Schleier vor ihren Augen sei, aber dann kommt ihnen alles ganz wunderschön vor. Manche schlafen auch einfach ein.“

„Nein, ich nehme das Zeug nicht“, wehrte sie sich aber jetzt: „Ich weiß genau, dass die Wirkung der Tropfen mitten über dem Ozean nachlässt und dann stürzen wir ab.“

Ich schaute auf die Uhr, lächelte milde und streichelte der Allerliebsten über den Kopf: „Okay, dann trinken wir jetzt einen Kaffee und fliegen eben nicht heute Abend nach Kanada. Was soll’s?!“

Kaffee ist mein Lebensexelxier. Und auch dieser Kaffee übte eine belebende Wirkung auf mich aus und gut schmeckte er obendrein. Der Allerliebsten hat er auch geschmeckt. Sie grinste mich etwas grenzdebil an und fragte: „Schatz, warum hast Du grünes Licht in der Küche angemacht?“


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 5 Minuten | Tippfehler melden | © Revision: 23. April 2018 | Peter Wilhelm 23. April 2018

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