Geschichten

Vom Winde verweht

Der Sohn des Verstorbenen kommt zu mir, um seinen Vater in der Aufbahrungszelle noch einmal zu besuchen. Nach zehn Minuten kommt er heraus und fragt: „Das ist aber nett, daß Sie da so leise Musik spielen. Die hätte meinem Vater gut gefallen. Damit ergibt sich für mich eine Frage. Darf ich die mal stellen?“

„Ja bitte.“

„Zeit seines Lebens hat mein Vater immer den Film ‚Vom Winde verweht‘ in voller Länge sehen wollen. Aber der geht doch so lang und irgendwie ist immer was dazwischen gekommen. Besteht die Möglichkeit, daß man ihm einen Fernsehapparat in den Aufbahrungsraum stellt und ihm den ganzen Film mal vorspielt? Jetzt hat er doch Ruhe.“

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Warum nicht? Wir spielen ja auch die Lieblingsmusik der Verstorbenen, halten lange Reden auf sie und manch einer spricht auch noch mit seinem Verstorbenen. Da ist es durchaus kein schlechter Gedanke, auch einen Film abzuspielen. Wer weiß schon so genau, ob die Seele nicht noch irgendwo in der Nähe ist.

„Das machen wir gerne, ich muß nur mal schauen, ob ich da eine DVD habe.“

„Machen Sie sich keine Sorgen, stellen Sie nur den Fernseher auf, ich habe so einen kleinen tragbaren DVD-Player und den Film haben wir auch. Ich komme dann später und mache das für meinen Vater.“

Am Nachmittag kam der Mann dann wieder und hängte seinen DVD-Player an den Fernseher in der Aufbahrungszelle. Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, aber es müssen fast vier Stunden gewesen sein, in denen sich der Sohn mit seinem toten Vater „Vom Winde verweht“ angeschaut hat.

Ich weiß nicht, ob der Film wirklich von Bedeutung war, den Verstorbenen wird es vermutlich ziemlich kalt gelassen haben, aber für den Sohn war es bestimmt eine ganz wichtige Zeit.

Und ich finde, daß das sehr wichtig ist. Die Trauerfeierlichkeiten sollten das Leben des Verstorbenen würdigen, die Wünsche der Angehörigen erfüllen und so am Ende ein rundes Bild ergeben. Gewonnen hast Du als Bestatter immer, wenn die Familie sagt, daß es sehr schön war.


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

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Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 3 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 6. Februar 2008 | Revision: 14. Dezember 2017

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22 Kommentare
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Nicola
16 Jahre zuvor

Ich finde es einfach eine schöne Geste von dem Sohn an den Vater.

Für den Vater sehr wahrscheinlich nicht wichtig – für den Sohn umso mehr.

Nicola

Aki
16 Jahre zuvor

manche Dinge müssen einfach noch erledigt werden…

Schön das er den Mut und die Gelegenheit hatte.

Aki

Thomas
16 Jahre zuvor

Wie gut, dass er nicht die komplette „Herr der Ringe“ Trilogie oder die komplette „Lindenstraße“ noch sehen wollte.

Christian
16 Jahre zuvor

Ganz am Schluss kommt das Verstehen der Zeit, die man nicht genutzt hat. Danke… Ich nehm jetzt das Tel. in die Finger und rufe meine Eltern wieder mal an.

Christian

S.
16 Jahre zuvor

„den Verstorbenen wird es vermutlich ziemlich kalt gelassen haben“

*g*

16 Jahre zuvor

Ich möchte auch Beamer nebst meiner DVD-Sammlung mit ins Grab nehmen… vllt. sollte ich mich doch lieber nach Gruft/Mausoleum umsehen 😀

mm
16 Jahre zuvor

„…den Verstorbenen wird es vermutlich ziemlich kalt gelassen haben,…“
Ich mag Deinen Zynismus.

Ronin
16 Jahre zuvor

schön das sowas auch machbar ist!
Ist für den Sohn vermutlich am wichtgsten! Und wie Thomas schon sagte gott das es nicht Herr der Ringe war! ^^

Patrick
16 Jahre zuvor

schön zu sehen, dass manche auch nach dem tod eines verstorbenen auch noch an solche details denken!

Jule
16 Jahre zuvor

EIn bisschen Kitschig ist ja schon. Aber ich finde es gut, dass der Sohn dabei geblieben ist.

16 Jahre zuvor

Schaurig schön. Danke

Kristian
16 Jahre zuvor

Das ist doch rührend. Kein Grund für blöde Witze.

Sensenmann
16 Jahre zuvor

Ich finde so was einfach nur schön.

16 Jahre zuvor

Super,

ich finde es immer wieder toll, wie du diese rührenden Geschichten mit diesem genialen Zynismus verbindest, so hat selbst die schönste Story einen lustigen Teil 😉

alpha
16 Jahre zuvor

OFFTOPIC:

Hé Undertaker, ich hätt ne tolle Idee für dein Blog – vielleicht kann man das hier ja auch mal mit Särgen, Urnen oder Totenschädeln machen – wär bestimmt der Hit im Blog 😉

Woo
16 Jahre zuvor

Bevor ich mir „Vom Winde verweht“ antue, wuerde ich auch lieber sterben.. 😉

alpha
16 Jahre zuvor
willy
16 Jahre zuvor

Weil sich mir immer wieder die Fußnägel aufrollen, hier eine kleine Begriffskunde:

Zynismus: http://de.wikipedia.org/wiki/Zynismus

Nogger
16 Jahre zuvor

Leider merkt man immer erst zu spät, was man mit seinen Eltern/Freunden etc. noch alles hätte zusammen machen können.
Und wenn es nur ein Film ist…

moerdermurmel
16 Jahre zuvor

Die Geste ist wirklich sehr schön. Ich persönlich hätte mich das nicht „getraut“ allein da zu sitzen und den Film zu sehen. Aber vielleicht ist es etwas anderes, wenn es die eigene Verwandtschaft ist.
Und bei dem Film ist es verständlich, dass der Vater ihn nie vollständig sah – schließlich sagt Scarlett O’Hara am Ende „Verschieben wir’s auf morgen“.

Ich_halt
16 Jahre zuvor

Boah. Ich find das gut. Eine letzte gute Tat für seinen Vater. Ich hoffe, ich (Vater) werde auch mal so geehrt.
Vielleicht sollte ich jetzt mal an meinen Vater denken…

Steffi
16 Jahre zuvor

Mich hat die Geschichte sehr gerührt. Und man weiß es nicht, was der Vater davon hatte – die Zuneigung seines Sohnes konnte er vielleicht spüren. Wer stirbt, ist ja manchmal noch ein Weilchen da, bevor er ganz geht. Ich finde es auch toll, dass der Sohn das „durchgezogen“ hat. Ich hatte beim Tod meines Vaters auch ganz viele Ideen, aber hab mich am Ende dann nicht getraut. Hatte aber auch keinen so klasse Undertaker wie Tom.




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