Allgemein

Vorsorgen will gelernt sein II

Ein schönes gemütliches Kaffeetrinken mit etwa 40 Rentnerinnen und Rentnern. Wir haben den Kuchen gespendet, den ebenso koffein- wie geschmacksfreien Kaffee stiftet das Altenheim. Im Rahmen eines Info-Nachmittages soll ich also über die Vorteile einer Bestattungsvorsorge sprechen, was ich gerne tue und schon oft getan habe. Ich weiß auf welche Späße die alten Leute stehen, kann das ganz charmant rüberbringen und bin mir sicher, daß hinterher wieder alle sagen, daß ich ein sehr netter Mann bin. Man muß sich auch verstellen können.

Ein kleiner Wermutstropfen ist die Anwesenheit von Marc Bopp. Dieser Bopp hat einen besser sitzenden Anzug als ich, ist jünger, schlanker, schöner und sieht aus wie eine Mischung aus Brad Pitt und George Clooney. Seinem Mund entspringt ein strahlend weißes Lächeln und was ihn zum Wermutstropfen macht ist seine goldene Anstecknadel mit dem Logo der „Pietät Eichenlaub„.
Irgendwie hat es der Konzern geschafft, doch noch einen Vertreter seiner Firma bei diesem Info-Nachmittag unterzubringen. Ich hätte das nicht für möglich gehalten, denn vorher hatte die Heimleiterin schon mal einen allzu vertragswütigen Mitarbeiter der Eichenlaubs nach Hause geschickt.
Marc Bopp und ich sitzen brav auf unseren Stühlchen am Rande des Raumes und lauschen den Worten der Heimleiterin Frau Schützemütz, die etwas langatmig, so als spreche sie mit gehirnamputierten Zombies, mehrfach erklärt, daß zuerst Herr Ingo N. Tinenz vom Sanitätshaus Pullermann über die modernen Möglichkeiten bei Prostata- und Blasenschwäche sprechen wird.

Werbung

Erst danach gebe es den „leckeren Kuchen vom Bestatter“ und beim Verzehr würde dann ein Vertreter einer Bestattungsfirma ein paar Worte zum Thema Bestattungsvorsorge sprechen.
Hmm, ein Vertreter einer Bestattungsfirma… Bin ich das oder ist das Marc Bopp, der Schöne?
Ich kenne das! Wenn die alten Leute erst einmal eine Weile zugehört haben und dann Kuchen bekommen, werden sie hinterher müde und hören nicht mehr zu. Ich muß also alles daran setzen, daß ich zumindest er erste Sprecher bin.

Das wäre ja alles kein Problem, würde Herr Tinenz nicht seinen Vortrag über diverse Verschluss- und Tröpfelleiden nicht so anschaulich gestalten. Er hat eine ganze Palette von Windeln, Einlagen, Stöpseln und Beuteln aufgebaut und hantiert mit einem Fünfliterkanister voll Wasser, das er aus größerer Höhe auf die Windeln pieseln lässt, um zu demonstrieren, daß die Einlage MANPEE weniger saugfähig ist als das Modell Reginavagina 2000. Dabei spricht er in sehr eindrucksvollen Worten von dem steten Harndrang, der drückenden Last des herauswollenden Urins und ich stelle fest, daß auch ich mal ganz dringend wohin müsste.
Sein Kanisterplätschern macht die Sache ehrlich gesagt nicht gerade leichter.
Marc Bopp lehnt sich in seinem Stuhl zurück, strahlt mich Tipex-weiß an und mir stehen schon Schweißperlen auf der Stirn, so stark ist mittlerweile mein Bedürfnis. Ich hätte unbedingt auf den großen Apfelsaft verzichten sollen, den mir Frau Schützemütz servieren ließ. Der knappe halbe Liter drückt jetzt doch.

Stehe ich jetzt auf und gehe mal eben wohin, dann ist der Windelmann mit seinem Vortrag fertig und Marc Bopp erwischt die letzten Rentner noch wach und lebend, während ich dann später einer dahinschlafenden Menge meine Worte anbiedern darf. Ich kann also unmöglich weg, ich will unbedingt der Erste sein!
Bopp, der eine Blase haben muß wie ein iberischer Stier, schenkt sich nochmal aus dem Krug einen halben Liter Apfelsaft ein, schön langsam, plätschernd und das Geräusch macht mich fast verrückt. In meinem Mund sammelt sich der Speichel der Verzweiflung und ich traue mich kaum ihn herunterzuschlucken, er würde die Flüssigkeitsmenge im unteren Teil meines Körpers nur vermehren. Auch der Sanitätshaus-Mann plätschert wieder eine Windel voll und wringt sie dann über einer Schüssel aus, plätscher, plätscher…

Ich schlage mal die Bein übereinander, beginne die Löcher der Deckenverkleidung zu zählen, nur nicht ans Pipimachen denken. Doch das ist gar nicht so einfach, denn Herr Tinenz ist dazu übergegangen, Fragen der alten Herrschaften zu beantworten und die sprechen ganz offen über nichts anderes als das Pullern.
Gleich platzt mit die Blase!

Bopp schlürft seinen Saft, prostet mir zu und strahlt, dieser Stier. Frau Schützemütz kommt von der Seite und will auch mir noch etwas einschenken, es dauere nicht mehr lange und dann käme ich gleich dran. Wo denn die Toilette sei, will ich wissen, naja die sei in Indien, ganz am Ende des Ganges, hahahaha…
Aber das lohne sich jetzt kaum, Herr Tinenz müsse jeden Moment fertig sein.

Also bloß nicht weggehen! Herr Tinenz macht aber überhaupt keine Anstalten, füllt jetzt mal wieder das Wasser aus der Schüssel in seinen Pullerkanister und plätschert was das zeug hält. Noch ein einziges Plätschergeräusch und ich mache mir hier vor versammelter Rentnerschaft in die Hose.

Es hilft nix, ich muß jetzt aufs Klo, egal was da komme! Nun, vielleicht hilft es, wenn ich renne, den Weg zum Klo schnell hinter mich bringe, dann könnte ich wieder zurück sein, bevor der Vorsorgeteil beginnt. Ich nicke Frau Schützemütz kurz zu, stehe auf uns verlasse den Raum. Dann will ich die Beine in die Hand nehmen und rennen was das Zeug hält, doch leider hat der liebe Gott zwischen mich und die Toilette eine Frau mit Gehstöcken gestellt.
Die alte Dame stützt sich auf jeder Seite auf so einen Stock der unten vier Füße hat. Damit nimmt sie die gesamte Breite des Ganges ein und ich komme nicht an ihr vorbei. Zwischen mir und der Toilette liegen noch rund 25 Meter und die Frau bewegt sich mit der Schnelligkeit einer Schnecke, einer toten Schnecke wohlgemerkt. Tipp, Tapp, Stock links, Stock rechts… wertvolle Minuten vergehen. Ich könnte die alte Frau ja auch einfach links aus dem Fenster schmeißen, aber ich glaube das wäre verboten, noch 18 Meter, Tipp, Tapp. Ist es wirklich Mord, wenn man so arg muß wie ich? Kriegt man da nicht mildernde Umstände? Noch 12 Meter, Tipp, Tapp…
Auf einmal wendet sich die Alte nach rechts und stöckelt durch eine Tür in ihr Zimmer, der Weg ist frei, ich renne los, den Blick fest auf die Tür mit der Aufschrift 00 gerichtet…
Warum bohnern die den Boden in Altersheimen so glatt, ausgerechnet in Altersheimen? Egal, ich bin halt nunmal auf die Schnauze gefallen und rutsche mehr als ich laufe über den spiegelglatten Boden in Richtung 00.

Dort rappele ich mich wieder auf, es ist noch alles heil, nichts gebrochen, nur meine Knie tun weh, egal! Tür auf, rein, links sind Kabinen, nochmals Tür auf rein….
Ach, kann sowas einem Glück und Erleichterung verschaffen!!!

Vorne noch schnell die Hände waschen, man(n) weiß ja was sich gehört. Doch wie macht man das Wasser an, wenn es keinen Drehknopf gibt? Es kommt nur ein Hahn aus der Wand, aber es gibt keinen Knebel, keinen Schalter, nichts.
Vielleicht ein Knopf zum Treten am Boden? Auch nicht!
Ich halte die Hände unter den Wasserhahn und oh, welch Wunder, es geht mit Infrarot oder so, jedenfalls fängt das Wasser ganz von alleine an zu laufen.
Das heißt, es würde laufen, würde man seine Hände ganz normal darunterhalten. Ich habe aber irgendwie eine Faust gemacht und gleichzeitig noch mit dem Fuß unter dem Becken nach einem anderen Schalter gesucht und ausgerechnet meine halbgeöffnete Faust unter dem Wasserhahn wird mir jetzt zum Verhängnis. Das Wasser bekommt durch diese halbrunde Höhlung meiner Hand so einen merkwürdigen Drall und spritzt mir lauwarm vor den Bauch und in den Schritt.
Kurzgesagt: ich sehe aus als hätte ich mich von oben bis unten vollgemacht.

Jaja, ich würd‘ ja auch lachen, wäre ich nicht der Betroffene! Im Fernsehen sieht man dann immer, wie sich die Leute denen sowas passiert vor den elektrischen Heißlufthändetrockner stellen, aber so ein Ding gibt es hier nicht, hier gibt es nur grüne Einweghandtücher aus Papier. Ich zupfe also Tücher aus dem Spender, tupfe, drücke, reibe, doch so richtig trocken will das nicht werden. Also wiederhole ich das Ganze mit weiteren 124 Tüchern, doch immer noch ohne nennenswerten Erfolg…
Obwohl… wenn ich mich so halbschräg hinstelle und das Seitenteil vom Jackett locker hängen lasse, dann sieht man fast nichts.
Ich muß es riskieren. Also wieder zurück in den Saal und Gott sei Dank, Herr Tinenz ist gerade in dem Moment fertig, als ich hereinkomme. Schnell auf meinen Platz, bis jetzt hat noch keiner was gesehen, hoffe ich.

Frau Schützemütz bedankt sich beim Pullermann, zwei Pflegekräfte helfen ihm, seinen Tisch an die Seite zu schieben und dann kündigt sie mich an. Ha! Ich habe es geschafft, ich bin der Erste und ich werde zu den Rentnern sprechen können, während sie gemütlich Kuchen essen. Wenn anschließend dann der Eichenlaub-Stier spricht, werden die satt und müde sein. Gut so!
Mein linkes Knie tut höllisch weh, ich bin Hinfallen einfach nicht gewohnt, das heißt: eigentlich tut auch mein rechtes Knie weh, aber das linke eben etwas mehr. Ich kann nur noch schweren Schrittes, leicht humpelnd nach vorne gehen und das linke Knie nicht richtig belasten.
Dabei muß ich darauf achten, daß ich etwas seitwärts gehe, damit man mein Wasserunglück nicht so sieht. Wenn ich die linke Schulter hängen lasse, dann ist das Jackett lang genug, um alles etwas zu verdecken. Noch ein bißchen vornüber beugen und man sieht nichts.
Mein Vortrag ist knackig, witzig, nicht zu lang und informativ. Die Alten lachen, sie haben etliche Fragen, die ich auch alle beantworten kann, alles in allem eine gelungene Veranstaltung für mich.
Nach knapp zwanzig Minuten bin ich durch und humpele mit hängender linker Schulter zu meinem Platz zurück.

Marc Bopp ist ein Profi, er hält sich nicht lange mit Allgemeinem auf, verweist auf das was ich gesagt habe und schildert nur kurz die Vorzüge der Vorsorgen bei der Pietät Eichenlaub. Nicht schlecht, wie es das macht.
Erstaunlicherweise halten die alten Leute auch den Vortrag von Bopp noch durch und danach ist alles herum.

Trotzdem, aus diesem Nachmittag konnten wir eine ganze Reihe von Vorsorgen generieren, die Eichenlaubs nur eine einzige.
Eine alte Dame sagte mir, sie habe das so imponierend gefunden, wie ich trotz meiner schweren Behinderung nach vorne gehumpelt sei.
Tja, man muß sich halt verstellen können.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#gelernt #sein #vorsorgen #will

Lesezeit ca.: 12 Minuten | Tippfehler melden


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)