Geschichten

Wahre Kunst – Zufriedenheit mit dem Nonkonformismus

Zieh den Stecker raus, das Wasser kocht. Das ist der Name eines satirischen Stückes von Ephraim Kishon. Einmal in meinem Leben hatte ich die Gelegenheit den großen Meister persönlich zu treffen. Ich wünschte, es wäre ein kleiner Funke seines Geistes auf mich übergesprungen.

Ich habe ja jetzt ein neues Büro. Mit viel Mühe und noch viel Mehr Geduld haben wir ja das Dachgeschoß ausbauen lassen.
Seit geraumer Zeit räume ich dort ein und um, und noch nicht alles hat seinen richtigen Platz gefunden. Ja, mancher Gegenstand parkt nur irre irgendwo, bis ich den endgültigen Platz für ihn gefunden habe. Einige Gegenstände parken so sehr direkt in meinem Blickfeld, daß ich sie nicht mehr finde und inzwischen neu gekauft habe.

Von irgendeinem Hacker-Kongress fliegt eine Anonymous-Maske herum. Der Hund droht den armen Guy Fawkes zu zerkauen. Also rette ich den doch recht passiv daherkommenden Plastik-Aktivisten, indem ich mit ihm eine häßliche graue Verteilerdose an der Wand abdecke.

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Am nächsten Tag kommt ein Bilderrahmen via Amazon und ein weiterer herumliegender Gegenstand, nämlich eine Fotografie, findet endlich ein umrahmendes Zuhause.
Nur das mitgelieferte Passepartout benötige ich nicht, finde es aber zu schade, es wegzuwerfen.
Ich schaue mich um, ach ja, da um den häßlichen grauen Verteiler, an dem die Guy Fawkes Maske hängt, da wäre doch noch Platz für dieses Passepartout.

Ein paar Tage später fällt mein Blick auf ein Mitbringsel meines besten Freundes Frank. Ein kleines Wandbild mit einem englischen Spruch, der auf meinen Kaffeekonsum abzielt.
Auch dieses Spruchbild landet an derselben Stelle.

Wie vieles, das man täglich sieht, nehme ich diese zufällige Komposition schon nach wenigen Tagen nicht mehr wahr.

Das ändert sich, als Petra zu Besuch kommt. Petra ist schwierig, mehr muß man gar nicht über sie wissen.
Petra betritt mein neues Studio und ihr erster Blick fällt auf das Passepartout mit der Maske. Sie tritt einen Schritt zurück, schlägt die Hände vors Gesicht und dann steht sie da, mit ausgebreiteten Armen, die offenen Handflächen zeigen nach oben, ihr Mund steht offen und erst nach Minuten faßt sie sich und sagt:

„Nein! Peter, an solchen Dingen erkennt man, daß Du ein schöpferischer Geist bist.
Dieses Kunstwerk ist eine stumme Auflehnung gegen den Konformismus.
Der auf die Spitze gestellte Rahmen symbolisiert, daß es mit den gerade verlaufende Zyklen der Zeitgeschichte vorbei ist. Das Vergangene ist links und die für die Zukunft gibt das Kunstwerk durch seine Rechtsneigung eine negative Prognose ab.
Der Blick des dargestellten Visionärs ist leer und geht gleichsam ins Leere. Ja, er blickt wehmütig in die Ferne, wendet sich ab vom Hier und jetzt.
Seinem Kopf entspringt der aufgedruckte Gedanke, daß hinter jedem erfolgreichen geist eine entscheidende Menge Kaffee steckt. Ein Zitat des großen Marcel Proust wird hier sozusagen als deklamatorische Ebene der Verdeutlichung hergenommen.
Dabei sprengt der dargestellte Gedanke beinahe den Rahmen, das zeigt, daß ein großer und erfolgreicher Geist sich nicht in das enge Gitter der Normen pressen läßt.
Gleichzeitig nimmt die herausgerückte Wortdarstellung als Zitat das ebenfalls aus dem Rahmen ragende Kinn des Visionärs auf. Dadurch erscheint es so, als lächele der Visionär zufrieden.
Zufriedenheit! Ja, Zufriedenheit mit dem Nonkonformismus, das wäre der richtige Titel für diese geradezu einzigartige Kunstwerk.
Willst Du es verkaufen? Soll ich mich mal nach einer Galerie umhören?
Meine Gute, das ist wahre Kunst!“

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    Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

    Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

    Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

    Lesezeit ca.: 4 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 16. Januar 2018

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    5 Kommentare
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    Winnie
    6 Jahre zuvor

    Oh hah, schick‘ die gute Petra mal her. Dann kann sie mal die dutzende Bilder meiner Frau ansehen und dafür eine Galerie suchen. Vielleicht verkaufen wir dann auch mal eins. 😉

    Judi
    6 Jahre zuvor

    gg Das erinnert mich daran, dass ich vor vielen Jahren schon bei den Kunstklausuren den Verdacht hatte, dass der Künstler, wenn man ihn nach der Interpretation seines Werkes gefragt hätte statt einer seitenlangen Abhandlung über Sinn und Symbolik vielleicht einfach nur gesagt hätte „Gelb war alle, aber blau ist doch auch schön“ 😎

    „Zieh den Stecker raus…“ ist großartig. Und hat für das „Kunstwerk“ auch einen viel besseren Verlauf als „das Bild hängt schief“ von Loriot 😀

    der kleine Tierfre.und
    6 Jahre zuvor

    Also, ich finde, ein Fünkchen ist damals sehr wohl übergesprungen… 🙂

    Stefan Schumacher
    6 Jahre zuvor

    Die Kunst besteht nicht darin, etwas zu erschaffen, sondern es zu verkaufen…

    🙂

    Mun
    6 Jahre zuvor

    In einem Punkt hat sie aber recht… es ist wirklich ansprechend und irgendwie alles passend und stimmig. Und Kunst ist, was einem etwas sagt, etwas vermittelt über das Unmittelbare hinaus… Heißt, Kunst ist wie Schönheit eine Frage der Perspektive. Insoweit… Glückwunsch.. Hättest es schlechter treffen können.
    Manche mühen sich ab, brüten stundenlang über harmonischen Kombinationen und Tadaa… da ist sie. Ist aber leider wie Knipsfotos von Laien… auch da kommt mal das perfekte Foto raus… leider nur zufällig und nicht wirklich wiederholbar…




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