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Warten auf Godot

Bis jetzt ist es ruhig über die Feiertage und das ist auf der einen Seite gut, auf der anderen Seite nicht so gut.
Einerseits ist es prima, wenn mal Ruhe im Haus ist und man wirklich auch etwas vom Feiertag hat, andererseits regt sich dann in mir der ständig nagende Existenzzweifel des Kaufmanns.
Werden die Kunden dann nach den Feiertagen zu uns kommen? Haben uns alle vergessen? Wann kommt der nächste Auftrag?

Es ist heute gar nicht mehr so einfach, Rücklagen für schlechte Zeiten zu bilden. Kaum hat man mal ein paar Tausender auf dem Konto angehäuft, was mühsam genug ist, rappelt es irgendwo im Karton und es passiert was, das sofort bezahlt werden muß und das Meiste von der schönen Reserve ist kaputt. Da verabschiedet sich ein Kühlaggregat und schon sind 2.500 Euro weg, einer der Bestattungswagen rauscht so merkwürdig aus dem Automatikgetriebe, wenn das absemmelt, sind gleich über 3.000 Euro futsch. Der große Toshiba-Kopierer hat den Geist aufgegeben und Herr Brinckmann, der die immer repariert, schüttelt nur noch traurig mit dem Kopf.

Das Monatsende kommt immer näher und damit auch der große Tag der Abbuchungen: Krankenkassen, Genossenschaften, Finanzamt, Gebühren, Löhne und Gehälter, offene Rechnungen…
Da gehen auf einen Rutsch mal eben so zwischen 30.000 und 40.000 Euro weg. Auf dem Konto sieht es gut aus, es reicht dicke für die Abbuchungen, aber wann kommt der nächste Sterbefall?

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Als Bestatter kannst Du keine Superschnäppchenwochen veranstalten, Du kannst keine Leute anlocken indem Du 3 für den Preis von 2 gibst und es legt sich auch keiner mal eben so zum Sterben hin, nur weil Du 20% auf alles (außer Tiernahrung) gibst.

Kommt der nächste Sterbefall? Und wenn er kommt, werden die Leute gut bestellen?

Oder kommen die wieder alle auf einmal? Kommen dann am Dienstagmorgen gleich 3 oder 4 Kunden fast schon gleichzeitig? Manni hat den Rest der Woche Urlaub, werden wir das dann schaffen oder soll ich Aushilfen holen?

Nee, so richtig Ruhe und Erholung hast Du als Selbständiger nie.

Die Leute sehen immer nur die schönen Rechnungen die man schreibt, die Mitarbeiter sehen manchmal wie Kunden die Tausender nur so hinblättern und denken oft: Na, der Chef der muß es ja dicke haben. Daß mir aber von den schönen bunten Lappen nur das Allerwenigste gehört, daran denkt keiner. Ich bin mitsamt meiner Familie und meinem privaten Kostenapparat auf das angewiesen, was übrigbleibt.

Dann siehst Du den Leichenwagen der Pietät Eichenlaub dreimal am Tag bei Dir vorbeifahren, das machen die immer wenn sie zu „unserem“ Friedhof müssen, ganz langsam und feixend bei uns vorbei.
Ja und dann ruft einer an, fragt wegen einer Überführung nach Sizilien, spricht am Telefon von einer richtig großen Trauerfeier, Du rechnest schon im Kopf, machst ihm einen guten Preis und hörst nie wieder von ihm, ein paar Tage später siehst Du die Anzeige in der Zeitung oder entdeckst ein Namenskärtchen auf dem Friedhof und weißt, daß er bei der teuersten Konkurrenz gelandet ist, die am Telefon immer nur einen einzigen Preis, nämlich 799 Euro sagen.

Langsam bekommst Du Panik, scheinbar haben alle Konkurrenten gut zu tun, nur zu Dir kommt kein Einziger. Du hebst das Telefon ab, nur um zu schauen, ob es nicht vielleicht kaputt ist. Warum ruft da keiner an?

Jetzt klingelt es, dran ist ein Kollege, der hat letzte Woche eine meiner Vorsorgen beerdigt und angeblich haben die Angehörigen erst jetzt entdeckt, daß die Tote einen Vorsorgevertrag bei uns hatte.
Er braucht jetzt das Geld vom Sparbuch der Verstorbenen, die Unterlagen und entschuldigt sich. Kann er sich an den Hut stecken, mir fehlen dadurch 2.000 Euro. Da machen auch die 150 Euro Abschlag, die er mir für den entgangenen Auftrag geben wird, den Braten nicht fett.

Gestorben wird immer, das ist eine krisensichere Branche! Eine Binsenwahrheit!

Dann klingelt das Telefon wieder, dieses Mal ist es ein Sterbefall, endlich! Der Mann sagt aber schon am Telefon, daß er alles ganz billig haben will, das günstigste Paket, das will er haben. Solche Aufträge sind das Schwarzbrot, sie halten den Laden am Laufen, bringen aber keine hohen Gewinne. Noch ein paar von der Sorte und ich kann die Reparatur der Kühlung oder den neuen Kopierer bis in den Mai verschieben.

Ein anderer Kollege ruft an, dem geht es finanziell dreckig und er bekommt von seinem Sarglieferanten keine Ware mehr. Ob er zwei, drei Särge bekommen kann, bezahlen kann er aber erst Ende des nächsten Monats….

Dann endlich klingelt gegen Abend doch das Telefon und eine ganz normale Familie will eine ganz normale Beerdigung bestellen. Wieder einmal steigst Du in Deinen Anzug, nimmst Deinen Koffer und fährst zu den Leuten. Du wirst wieder alles geben und die Familie betreuen, beraten, ihnen eine echte Hilfe sein. Und dann kommst Du da ins Wohnzimmer und da sitzt so eine 23jährige, die von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, die auch die Kosten nicht bezahlen wird und die sagt Dir, sie habe sich im Internet schlau gemacht und würde jetzt ganz genau aufpassen, daß Du die armen Alten da nicht abzockst. Der Verstorbene war dick und über zwei Meter groß, Du rätst zu einem Sarg in Übergröße, der 50% mehr kostet. „Abzocke!“ kräht die nervöse 23jährige und „Das habe ich doch gleich gewußt!“
Bestatter seien ja dafür bekannt, daß sie ihre Kunden betrügen und ausnehmen. Mir juckt es in den Fingern, einen noch etwas größeren Sarg zu nehmen und die Nervöse gleich mitzubestatten.
Aber Du mußt gute Miene zum bösen Spiel machen, Du bist da um Geld zu verdienen.

Am Ende bestellen die Leute doch ganz ordentlich und Du fährst wieder ins Büro.

Auch Sandy kommt, sie hat ebenfalls einen Sterbefall aufgenommen. Irgendwo auf einem Dorf in der Nähe. Es geht also doch weiter.
Das Telefon klingelt wieder, die Leute mit der nervösen 23jährigen haben es sich anders überlegt, die Nervöse hat noch woanders angerufen und da bekommen sie alles 150 Euro billiger, sie wird am Nachmittag die Papiere abholen und den Auftrag einem anderen Institut geben. So gehe das aber nicht, sagst Du und verlangst für Deine Beratung und die vertane Zeit eine Bezahlung. Das sehe sie ja nunmal gar nicht ein, ein Verkaufsgespräch koste nie was, man müsse sich ja schließlich erst informieren.
Die alten Leute haben aber einen Auftrag unterschrieben, einen verbindlichen Auftrag. Ja, da hätte ich die Notlage ja schamlos ausgenutzt.
Soll ich mich mit denen rumstreiten?

Später wird sie hier wie ein Blitz durchs Büro fegen, schnippisch die Unterlagen mitnehmen und mir noch zwei, drei freche Bemerkungen über Bonzen, Abzocker und Alteleuteschinder an den Kopf werfen.

Einen Tag später stehen dann die Alten alleine bei uns im Büro und wollen doch alles bei uns machen lassen, den Verstorbenen hat aber schon der „billigere“ Kollege abgeholt. Jetzt liegt der Verstorbene schon in einem Sarg des Kollegen, die Fahrten sind auch gemacht, also alles das was Geld bringt, werde ich dem Kerl bezahlen müssen oder die Angehörigen werden es an ihn bezahlen müssen. Uns bleibt der aufwendige Teil der Arbeit, an dem nicht viel zu verdienen ist.

Die Leute bei denen Sandy war, rufen auch nochmal an, sie haben es sich überlegt und wollen jetzt doch keine Erdbestattung, sondern eine Feuerbestattung, die nette junge Frau soll doch nochmal vorbeikommen und alles neu besprechen.

So ist das eben bei uns und Du darfst es noch nicht einmal jemandem erzählen, weil es dann heißt, man würde nur herumjammern.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#godot #warten?

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(©si)