Frag doch den Undertaker

Warum muss denn irgendwann Schluss sein?

Lieber Tom, so gerne ich deinen Blog auch lese, mir will nicht in den Kopf, dass Du so für die Endlichkeit und Vergänglichkeit eintrittst. Schon ein paar Male hattest du geschrieben, dass irgendwann auch mal Schluss sein muss mit dem Trauern und dass dann es gut ist wenn die Gräber auch mal wegkommen. Ich sehe das anders. Woher kommt deine Einstellung?

Ich bin überhaupt nicht der Meinung, daß irgendwann Schluß sein soll mit der Trauer.
Das ist eine ganz individuelle Sache, wie lange und wie intensiv jemand trauert. Der Bestatter kann nur einen kleinen Teil davon beeinflussen und seine Kunst besteht darin, schon im ersten Gespräch herauszufinden, was diese Menschen jeweils brauchen.

Der eine braucht eine große Trauerfeier mit sehr vielen persönlichen Ansprachen, Trauerkarten mit Foto, individuelle Musik; will dann aber kein Grab mehr, das er jahrelang pflegen muss.

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Der andere will in den ersten Wochen seiner Trauer am liebsten gar nicht angesprochen werden, nur eine schlichte Trauerfeier mit wenig persönlichen Elementen, weil ihn das aufwühlen würde, dafür möchte er aber eine Stelle auf dem Friedhof, wo er innere Zwiesprache halten und über Jahre Trauerarbeit leisten kann.

Es ist wirklich so. Der Bestatter sollte erkennen können, was für den Einzelnen am Besten geeignet ist und ihm das Passende empfehlen können. Das kann man natürlich nicht, wenn man die Bestattung nur am Telefon oder über ein Internetformular bestellt.

Aber selbstverständlich kann der Bestatter, wenn er denn einer der Guten ist, nur für diejenigen eine passende Empfehlung aussprechen, die er kennengelernt und von denen er etwas erfahren hat. Für nachfolgende Generationen und Leute von weither kann er nicht sprechen.

So kann es vorkommen, ob nun durch Empfehlung des Bestatters oder durch die eigene Entscheidung der Hinterbliebenen, daß sich die erste Generation der Trauernden oder die aktuell Bestattungsberechtigten für eine Beisetzungsform oder Grabart entscheiden, die später einmal den nachkommenden Generationen oder herangewachsenen Hinterbliebenen nicht mehr richtig erscheint.

Diese Entscheidungen waren einmal richtig aber jetzt beschäftigt sich jemand 15 oder 25 Jahre später mit seinen Vorfahren und hätte lieber eine ganz andere Form der Beisetzung oder Grabstätte.
Dann muß man, jeweils unter Berücksichtigung der genauen individuellen Umstände, deutlich sagen, was da noch geht und was nicht. Und man muß dann auch mal sagen können, daß es jetzt eben vorbei ist. Das Grab ist weg, die Asche ist verstreut, der Opa wurde der See übergeben oder im Bestattungswald wächst Moos an der Stelle.

Es geht bis hierher um die rein technischen Fragen, also um Beisetzungsform und Grabstätte.

Etwas anderes ist die Trauer an sich.
Ich persönlich finde, man kann auch sehr gut trauern, selbst wenn kein Grab mehr vorhanden ist oder wenn der Leichnam durch Einäscherung und Verstreuung „verschwunden“ ist.
Ich habe meine Großeltern gar nicht kennengelernt, sie starben noch vor meiner Geburt. Was ich über sie weiß, das weiß ich durch die Erzählungen meiner Eltern.
Dennoch gibt es hin und wieder Situationen, da fallen mir Geschichten aus dem Leben dieser Menschen ein, da gibt es Parallelen zu meinem Leben oder ich zitiere einen der vielen Sprüche meines Großvaters; und dann sind diese Menschen auf einmal gegenwärtig, ich denke an sie, empfinde manchmal auch so etwas wie Wehmut und ich bin mir sicher, daß dieses Erinnern diese Erinnerung mehr Bedeutung hat, als wenn ich irgendwo einen knappen Quadratmeter reglementierten Stadtgrüns geharkt hätte.

Die Beerdigung, das Grab, die Totenmessen, das Glockengeläut, das alles ist doch nur reine Symbolik. Es ist die Symbolik, die uns in eine Trauertradition einbindet, die nicht erfunden wurde, um uns zu gängeln, sondern deren vorgegebenes Gerüst es uns erleichtern soll, mit dem Verlust fertig zu werden.
Aber mehr als das sind eben Friedhöfe und Gräber, Urnen und Grabsteine nicht.
Der Mensch, den wir liebten, der ist weg.

Das, was bleibt, das ist in unseren Herzen und in unserer Erinnerung.

Besonders schwierig ist der Umgang mit diesem Thema ganz eindeutig für Menschen, und hier besonders für Frauen, die ein Kind zu Grabe tragen mußten. Es vergeht keine Woche, in der mir nicht eine mehr oder weniger verzweifelte Betroffene schreibt und sich sehr genau danach erkundigt, was denn nach drei Wochen, drei Jahren oder drei Jahrzehnten von ihrem Kind im Grab noch übrig ist. Die Frauen äußern oft auch den Wunsch, die Kinderleiche (nach Ablauf des ersten Grabes) wieder auszugraben und nochmals für 30 oder 40 Jahre ein neues Grab anzukaufen.
Ich sehe die große Liebe, die diese Menschen für ihre verstorbenen Kinder empfinden, aber ich sehe auch, daß hier die Trauerarbeit nicht funktioniert hat.
Irgendwann muß man loslassen können und sein eigenes Leben weiterleben können. Es muß irgendwann einmal der Punkt kommen, wo die Toten den Weg vom Grab ins Herz der Hinterbliebenen schaffen.
Dort haben sie ewigen Bestand und leben in den Erinnerungen und Erzählungen weiter.

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(©si)