Geschichten

Wenn ein Kind stirbt

Wir haben im Februar unseren Sohn in der Schwangerschaft verloren. Nach mehreren künstlichen Befruchtungen bin ich im vergangenen Dezember endlich schwanger geworden. Trotz anfänglicher Blutungen sah es bei den ärztlichen Untersuchungen immer gut aus, alle Werte waren so, wie sie sein sollten. Ich fühlte mich so, wie eine schwangere Frau sich halt fühlt.

So beginnt die Geschichte, die Leserin Stephanie uns erzählt:

„Wir haben im Februar unseren Sohn in der Schwangerschaft verloren. Nach mehreren künstlichen Befruchtungen bin ich im vergangenen Dezember endlich schwanger geworden. Trotz anfänglicher Blutungen sah es bei den ärztlichen Untersuchungen immer gut aus, alle Werte waren so, wie sie sein sollten. Ich fühlte mich so, wie eine schwangere Frau sich halt fühlt.

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Kurz vor der 12. Schwangerschaftswoche, also zum Ende der „kritischen“ Zeit, in der das Risiko für Fehlgeburten besonders hoch ist, erzählten wir unseren Familien von der Schwangerschaft. Alle freuten sich mit uns. Zwei Tage später bekam ich plötzlich ein seltsames Gefühl, ich kann es nicht anders erklären. Mein Bauch fühlte sich anders an als sonst. Das war an einem Montag. Ich rief bei meiner Ärztin an und bekam einen Termin für den nächsten Tag. Am Morgen darauf war mein Bauch plötzlich flacher als sonst. Ich war zwar erst in der zehnten Woche, aber durch die vorhergehende Hormonbehandlung war er sehr stark aufgebläht. Wir dachten uns nichts dabei, ich fühlte mich schwanger, mittags gingen wir noch mit der Familie ins Restaurant.
Auch meine Ärztin beschwichtigte uns, mein „Bauchgefühl“ seien nur Blähungen. Beim Ultraschall sahen wir ein gewachsenes Baby mit kleinen Ärmchen und Beinchen im Ansatz, wie ein Gummibärchen. Was wir nicht sahen war ein Herzschlag. Meine Ärztin schallte aus verschiedenen Winkeln und mit unterschiedlichen Einstellungen. Nichts.
Zurück an ihrem Schreibtisch erklärt sie uns, dass wir jetzt keine Entscheidung übers Knie brechen sollten. Sie gab uns Broschüren von gynäkologischen Kliniken mit, die Ausschabungen durchführen. Meine Frage nach einem natürlichen Abgang beantwortetet sie so: „Bitte nicht. Eine Patientin von mir hat vier Wochen darauf gewartet, dann hat sie an einer Fußgängerampel plötzlich einen Blutsturz bekommen.“ Das klang nicht wie etwas, was ich für mich haben wollte.

Mein Mann und ich sind gänzlich unterschiedlich mit unserer Trauer umgegangen. In der Trauergruppe für Eltern von Sternenkindern, in der wir uns mittlerweile gut aufgehoben fühlen, haben wir erfahren, dass das bei den meisten Paaren so ist.
Mein Mann ist sofort in Tränen ausgebrochen, es hat ihn geschüttelt und er hat sich für ein paar Tage aus allem zurückgezogen. Ich hingegen habe mich sofort in die Planung gestürzt. Zuerst den Eingriff, dann die Beisetzung. Wir hatten bereits im letzten Jahr ein Kind kurz nach positivem Schwangerschaftstest verloren. Ich hatte damals beschlossen, dass ich einen Ort zum Trauern haben möchte, falls so etwas noch einmal passieren sollte.“

„Nach intensiver Recherche zum Thema entschloss ich mich, dass eine sogenannte „kleine Geburt“ für mich chirurgisch und nicht natürlich, begleitet durch eine Hebamme, vonstatten gehen sollte. Es gibt Hebammen, die eine Fehlgeburt begleiten, so dass der Embryo von selbst abgehen kann. Ich wollte nicht mit meinem toten Kind im Bauch zu Hause sitzen und warten, dass es losgeht. Ich wollte in Ruhe trauern, nicht ständig mit dem Gedanken im Hinterkopf leben, dass das schlimmste Ereignis meines Lebens jetzt gleich passieren könnte.
Also vereinbarte ich einen Termin in einer Praxis. Die weitere Untersuchung bestätigte die Diagnose, ich bekam noch ein letztes Ultraschallbild mit, das jetzt eingerahmt in unserem Wohnzimmer steht.
Dann machte ich mich an die Bestattungsplanung. In unserem Bundeslang herrscht Bestattungspflicht für Kinder auch unter 500g Geburtsgewicht. Aber auch so hätte ich unserem Kind ein Grab geben wollen. Mittlerweile kann man in jedem Bundesland auch ein fehlgeborenes Kind bestatten lassen, auch wenn die Pflicht dazu nur in wenigen Bundesländern besteht.

Meine Mutter war einverstanden, dass unser Baby mit ins Grab meiner Großeltern darf. Sie meinte, speziell meine Oma (die uns vor sechs Jahren verlassen hat) hätte es sehr schön gefunden, wenn ihr Urenkel bei ihr liegen dürfe.
In meiner Vorstellung konnte ich unser Baby nach dem Eingriff einfach mit nach Hause nehmen und selbst beisetzen, das stellte sich aber nicht als so einfach heraus. Der Arzt weigerte sich, das „Schwangerschaftsgewebe“, wie er es nannte, jemand anderem als einem Bestatter auszuhändigen. Also mussten wir einen Bestatter finden, der uns half. Über meine Tante fanden wir schliesslich einen Bestatter, der uns unbürokratisch helfen wollte. Natürlich regelten wir die Formalitäten bei der Friedhofsverwaltung und leisteten auch alle notwendigen Zahlungen. Wir fanden ein kleines, hölzernes Behältnis, in dem wir unser Kind beisetzen wollten. Ich kleidete es noch mit einem Stofftaschentuch meines Großvaters aus. Dann ließen wir es dem Bestatter zukommen.

Am Morgen des Eingriffs, als alle Formalitäten geregelt waren, brach es endlich aus mir heraus. Ich weinte und schrie und schluchzte und jammerte. Zum ersten Mal konnte ich mein Kind betrauern. Ich wollte wohl erst alles regeln, musste noch ein wenig Zeit mit ihm verbunden verbringen, um es gehen lassen zu können. Erst als ich es sicher versorgt wusste, ließ auch mein Körper Trauer zu. Aus der Narkose erwachte ich weinend und kotzend. Ich hielt mir den leeren Bauch und wollte es einfach nicht wahr haben.

Das war freitags. Am Montag darauf haben wir – wieder „ausser der Reihe“ – einen Termin beim Standesamt bekommen, welches eigentlich für die nächsten vier Wochen ausgebucht war. Wir haben unseren Sohn (das haben wir beschlossen, nachdem ich „so ein Jungsgefühl“ in den letzten Tagen meiner Schwangerschaft gehabt hatte) in unser Familienstammbuch eintragen lassen. Dazu benötigte das Standesamt nur unsere Heiratsurkunde und ein Formular der Klinik über „chirurgische Entfernung von Schwangerschaftsgewebe“. Wir haben uns einen Namen ausgesucht, der jetzt ganz oben in unserem Familienbuch steht, wir als Eltern direkt darunter. Fühlt sich komisch an, Mutter zu sein, ohne ein Kind in den Armen halten zu können.

Noch am Tag des Eingriffs holte unser Bestatter unser Kind aus der Klinik ab und nahm es mit zu sich. Am Morgen der Beerdigung gab er meiner Mutter dann die kleine Holzkiste mit Baby darin mit. Er hat uns dafür nie etwas berechnet.
Er sagte mir am Telefon, er wolle uns nicht für ein zweieinhalb Zentimeter großes Baby einen Kindersarg verkaufen oder dafür irgendwelchen Papierkram anlegen, das müsse nun wirklich nicht sein. (Streng genommen muss es natürlich sein….ich denke Du weisst, wie er das meinte.)
Wir sind ihm dafür wirklich unendlich dankbar.

Unser Sohn liegt nun am Fußende des Grabes meiner Großeltern. Einen Grabstein haben wir bereits gefunden, er muss nur noch graviert und aufgestellt werden. Unser erstes Sternchen soll mit drauf vermerkt werden. Wir haben beschlossen, dass es ein Mädchen war.

Seit vor einigen Wochen der errechnete Geburtstermin verstrichen ist, kann ich wieder schwangeren Frauen begegnen, ohne in Tränen auszubrechen. Ich habe mir immer gedacht: „So weit wärst du jetzt auch.“ Mittlerweile kann ich mich einfach für sie freuen.

Im Laufe der Zeit habe ich viele Geschichten gehört von Familien, denen Ähnliches widerfahren ist. Manchmal erfährt man in Momenten der Trauer Hilfe von Seiten, von denen man es gar nicht erwartet hätte. Andersherum hätte man sich von manchen Menschen mehr Beistand erwartet.
Jedenfalls scheint man heute – Gott sei Dank – langsam aber sicher wegzukommen von dieser bescheuerten „Aber es war doch noch gar kein richtiges Baby“ /„Du kannst doch noch ein Kind bekommen“-Denke wegzukommen. Das halte ich für einen großen Fortschritt.

Danke für diesen tollen Blog und den Austausch, den zu zum Thema bietest!

Vielleicht findet meine Geschichte ihren Weg auf Deinen Blog. Ich würde mich freuen, wenn ich anderen Eltern in ähnlicher Situation vielleicht irgendwie damit helfen kann.

Liebe Grüße

© Stephanie

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(©si)