Menschen

Wenn Leichen in einer Staubwolke zerplatzen

Zwei junge Männer stehen in einem offenen Grab. Sie halten Eisenstangen in den Händen.

Wenn Du Bestatter bist, tun die Menschen ja oft so, als würdest Du irgendetwas sehr Unangenehmes, Ekliges oder gar Schreckliches tun. Das ist aber in den meisten Fällen nur Schau. Nach ganz kurzer Zeit überwiegt nämlich die Neugierde und sie fragen Dir Löcher in den Bauch.

Das kennt jeder Bestatter und ich habe davon auch schon ganz oft hier im Bestatterweblog erzählt. Ältere Mitleserinnen und Leser werden das kennen.

Ganz oft gibt es diesen Typen, der besonders lustig sein will und der Dir übertriebene Fragen stellt, von denen er weiß, dass sie Quatsch sind, mit denen er Dich aber ein bißchen provozieren will.

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„Wie ist das denn so, wenn abends im Bett dann die Maden von den Leichen auf Deiner Brust herumkrabbeln?“

„Bestatter dürfen ja Metzgereien und Milchgeschäfte nicht betreten, wegen der Seuchengefahr, nicht wahr?“

„Wenn einer noch ein bißchen lebt, dann habt ihr doch immer son Hammer dabei, nicht wahr?“

„Wie oft platzen bei Euch die Leichen, wenn sie anfangen zu verwelken (sic!)?“

„Fotografiert Ihr immer noch die nackten Frauen untenrum?“

„Wie macht Ihr das, weil es doch bei Euch zu Hause immer nach Leiche riecht?“

„Wie oft verkauft Ihr die Särge? Die holt Ihr doch hinterher immer wieder ab.“

„Habt Ihr auch schon mal einen gehabt, der immer Sex mit Leichen wollte?“

„Ihr vermischt doch die Asche von den gemeinsam verbrannten Leichen. Weiß doch jeder.“

Das kann ich endlos so fortsetzen. Jeder, der auch nur über einen Funken gesunden Menschenverstand verfügt, weiß, dass alles das absoluter Quatsch ist. Und früher konnte ich mir sicher sein, dass Leute, die solche Fragen stellten, nur provozieren wollten.

Heute? Nein, ich muss es zugeben, heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob solcher Unsinn auf dem Vorhaben der Provokation beruht, sondern heute zählt die vermeintliche Sensation einfach mehr als die Wahrheit.
Selbst wenn die Wahrheit naheliegend, greifbar, offensichtlich und logisch ist, wird das Abstruseste, Blödeste und Unglaubwürdigste für viel glaubwürdiger gehalten.

Eine ganz interessante Beobachtung in diesem Zusammenhang ist es, dass selbst wenn Du als Experte und Auskenner eine Frage absolut nachvollziehbar richtig beantwortest, Dein Gegenüber Dich mit Kuhaugen anschaut und Dir ins Gesicht sagt: „Glaub ich nicht, hab ich nämlich in Soschell Mehdiah anders gelesen.“

Am Rande einer Versammlung, ich glaube es war ein Treffen der Abschlussprüfer von der Handelskammer kommt einer und stellt sich neben mich, während ich einmal wieder blöde und weniger blöde Fragen beantworten muss.
Ich bemerke, wie er Interesse an meinen Antworten heuchelt, in Wirklichkeit wartet er nur darauf, seine Frage möglichst schnell loszuwerden. Er ist ein Herr in mittleren Jahren, wird von einigen der Anwesenden als Herr Direktor angesprochen und ich sehe an den Nähten und Knopflöchern, dass sein Anzug nicht von der Stange ist.

Als ich fertig bin, meint er: „Ich muss Ihnen eine Geschichte erzählen, die mir als junger Hirsch passiert ist. Ich war damals in den Semesterferien Helfer in einer Landschaftsgärtnerei.“

Und dann berichtete er folgende Geschichte:

„Es war das Unangenehmste, das ich jemals machen musste. Die Landschaftsgärtnerei hatte den Auftrag in der Stadt W. ein großes Brachgrundstück neben dem Friedhof komplett neu zu gestalten. Es sollte planiert, mit Mutterboden aufgefüllt und in eine Parkanlage verwandelt werden. Kann sein, dass da auch wieder ein neues Feld für Gräber hingekommen ist.
Vor Ewigkeiten war an dieser Stelle auch mal Friedhof gewesen. Davon war aber überhaupt nichts mehr zu sehen. Es war einfach ein zugewachsenes und unebenes, großes Grundstück.
Zuerst kam ein Bagger zum Einsatz, danach eine Planierraupe. Der Bagger entfernte Büsche und Sträucher und zog alles erstmal gerade. Dabei grub er ordentlich um. Alle paar Minuten drückte der Baggerfahrer auf die Hupe und dann mussten wir Studenten zupacken.
Auf diesem Friedhof waren die Leichen in verlöteten Zinksärgen beigesetzt worden. Oben über dem Gesicht befand sich ein Guckfenster aus dickem Glas. Das war so gruselig, kann ich Ihnen sagen. Denn die Leichen in den Särgen sahen zum größten Teil aus, wie vertrocknete Mumien. Unsere Aufgabe war es, in das aufgebaggerte Grab zu steigen und mit einer Eisenstange das Glasfenster einzustoßen. Das war ganz schön schwer, das können Sie mir glauben, denn das Glas war ziemlich dick.
Wenn wir aber endlich durch waren, machte es ziemlich deutlich hörbar Puff und die Leiche zerplatzte in einer grauen Staubwolke. Danach waren nur noch Staub und ein paar Textilreste da.
Wir mussten das machen, damit eben keine Leichen mehr in den Särgen waren sozusagen. Denn danach hat der Bagger die Särge einfach mit der Schaufel plattgedrückt und auf einen Laster gehoben. Die kamen dann echt einfach auf den Schrottplatz im Rheinhafen.“

Zwei junge Männer stehen in einer Grube und halten sich Mund und Nase zu

Mit dieser Geschichte zauberte er großes Erstaunen in die Gesichter der Zuhörer, auch in mein Gesicht. Aber ich war aus einem anderen Grund erstaunt, als die übrigen Zuhörerinnen und Zuhörer.
Einige lachten und taten die Erzählung als gut erzähltes Phantasiegebilde ab. Andere staunten einfach nur. Und natürlich wollten sie von mir wissen, was ich davon halte.

Ich war über die Erzählung des Herrn Direktor aus folgendem Grund erstaunt: Vor vier Jahren hatte mir ein vollkommen anderer Mann haargenau dieselbe Geschichte erzählt. Nennen wir ihn Klaus Meier.
Klaus Meier war in etwa so alt wie der Herr Direktor, auch seine Geschichte hatte in W. gespielt und auch die Zeit, wo sich das zugetragen haben soll, stimmte überein.

Den Zuhörern sagte ich, dass so etwas durchaus sein könnte. Ich hätte das zwar selbst noch nicht erlebt, aber es sei eben tatsächlich möglich.

Später, als der Abend schon etwas vorgerückt war, sprach ich den Herrn Direktor dann an und fragte ihn, ob er diesen Klaus Meier kenne. Und tatsächlich, Meier war ein Studienkamerad von ihm. Sie hatten sich zwar inzwischen aus den Augen verloren, aber bei einem Kommilitonen-Treffen vor acht Jahren habe er ihn noch mal gesehen.

Es ist also sehr glaubwürdig, dass diese Geschichte so stimmt und ich habe sie in mein Repertoire aufgenommen.

Immer wieder kommt es ja vor, dass ich gebeten werde, irgendetwas „zu machen“. Diejenigen, die meine Satiren schätzen, meinen oft, ich sei ein grandioser Witzeerzähler und nötigen mich dann, einen Witz zu erzählen. Ich erzähle immer absichtlich einen Kalauer1, den die meisten nicht verstehen, dann bin ich schnell raus aus der Nummer, denn es findet sich immer einer, der meint, es besser zu können.

Mein Kalauer?

„In Russland haben sie neulich einen operiert, der hatte Moos im Magen. Ja, wirklich, das war ein Moskauer.“

Aber hin und wieder möchten die Leute auch eine Geschichte hören. Wenn ich dann eine aus meinen Büchern erzählen würde, heißt es immer gleich, ich würde schon wieder Reklame für die Bücher machen.
Und da es in Deutschland als unanständig gilt, wenn ein Künstler tatsächlich mit seiner Kunst Geld verdienen will, erzähle ich dann oft die Geschichte von Klaus Meier und dem Herrn Direktor.

Wenn man die ein bißchen ausschmückt und schön spannend macht, ist es echt eine schöne Gruselgeschichte. Ich habe sie noch angereichert mit den Albträumen, die die beiden Studenten verfolgt haben. Echt, eine schöne Geschichte.

Vielleicht sollte ich sie mal auf Schoschell Mehdiah erzählen…

Bildquellen:

  • leichenstaub.nah_: Peter Wilhelm KI
  • leichenstaub: Peter Wilhelm KI

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