Allgemein

Wie erträgt man das?

Aber eines möchte ich dich fragen: Du hilfst jeden Tag vielen Menschen in sehr schweren Lebenssituationen. Du lädst täglich das Leid dieser Menschen ein wenig mit auf deine Schultern und erleichterst ihnen so den Weg in diesen schwierigen Situationen.

Wer hilft dir? Oder anders gefragt: Die Helfer helfen Menschen aber wer hilft den Helfern?

Ich für meine Teil kann sagen, daß ich durch meinen Beruf regelrecht „abgestumpft“ bin. Mich berühren viele Dinge nicht mehr, die ein normaler Mensch „schrecklich“ findet. Ich kläre jeden Tag Situationen, in denen die Menschen von alleine nicht mehr weiter kommen. Also vergleichbar mit dir. Aber ich merke auch oft, daß ich privat weniger Emotionen verspüre, also ich weniger an mich heran lasse. Ich bin weniger in der Lage Gefühle zu zeige und zu fühlen als früher. Es fällt mir auch sehr viel schwerer Mitleid zu empfinden, denn würde ich das täglich empfinden müssen, würde ich wohl irgendwann darin zerfließen. Hast du solche Veränderungen in dir als Schutzfunkion des Körpers auch schon festgestellt?

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Ich erinnere mich daran, daß ganz am Anfang, als ich die ersten Toten hier gesehen habe, diese Menschen mir leid getan haben. Ich hatte tatsächlich ein tiefes Mitgefühl für jeden Einzelnen und empfand Trauer, weil dieser Mensch hat gehen müssen. Dieses Gefühl ist vergangen, weil man zu viele Tote sieht, weil man im Laufe der Zeit zu viele gesehen hat und weil man auch älter wird und zunehmend die Normalität des Todes begreift.
Für mich hat der Tod seinen Schrecken verloren und ich persönlich habe auch überhaupt keine Angst vor dem Tod. Ich fürchte mich ein wenig davor, irgendwann einmal leiden zu müssen, Schmerzen ertragen zu müssen und habe daher, wie wohl die meisten Menschen, die idealisierte Wunschvorstellung, eines Tages plötzlich und ohne Schmerzen sterben zu können.
Außerdem ist es in meinem Beruf wichtig, daß man sich nicht mitreißen lässt von Trauer und Leid. Das ist oft nicht einfach, vor allem dann nicht, wenn es sich nicht um alte Leute handelt, die ihr Leben gelebt haben.
Fälle in denen Junge Menschen sterben oder mit denen besondere Folgeschicksale verbunden sind, nehmen auch mich mit.

Ein Beispiel: Ein Vater hat nach der Scheidung von seiner gewalttätigen und alkoholkranken Frau lange Jahre darum gekämpft, das Sorgerecht für seine Kinder behalten zu dürfen. Die 5 Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren wären sonst ins Heim gekommen und zwar jedes in ein anderes. Die Behörden lieferten ihm einen harten Kampf, weil sie nicht einsehen wollten, daß auch ein berufstätiger Mann sich dennoch ausreichend um Kinder kümmern kann. Endlich war dieser Kampf durchgestanden, da stirbt dieser Mann einen schnellen Herztod und die Kinder müssen doch ins Heim.

Eltern, die ihre Kinder durch den Tod verlieren, beanspruchen mich auch besonders, wie auch junge Frauen, die ihre Männer verlieren und nun mit Kindern, nicht abbezahltem Haus und einem Trümmerberg unerfüllter Zukunftspläne vor mir sitzen.

Ich muss für mich persönlich aber irgendwo eine Grenze ziehen und bei allem Mitgefühl, dem ich durchaus auch Ausdruck verleihe, einen klaren Kopf behalten. Die Menschen kommen ja zu mir, weil sie in vielen Bereichen aufgrund ihrer Trauer nicht in der Lage sind, klar zu denken. Dieses den-Überblick-behalten ist ja u.a. eine der Dienstleistungen, die wir anbieten.

Dennoch kommt es vor, daß ich mit den Leuten weine. Ich weine ja auch manchmal beim Fernsehen oder im Kino und das, obwohl ich nicht besonders nah am Wasser gebaut habe, wie man so sagt. Emotionen hat doch jeder und eine besonders emotionale Geschichte geht auch mir ans Herz.
Es ist doch auch so, daß die allermeisten Leute, die zu mir kommen, weder auffällig noch besonders sind. Deshalb finden ihre Geschichten auch keinen Eingang ins Weblog. Es sind doch vornehmlich alte Leute, die auch den Tod ihres ebenfalls alten Verwandten/Partners recht unaufgeregt vortragen, weil er seit langer Zeit absehbar und altersmäßig zu erwarten war. Natürlich trauern auch diese Leute, aber weniger laut und aufgeregt, weniger nach außen gekehrt, als jüngere.

Stirbt hingegen jemand, der vom Alter her noch nicht „reif“ war, dann schlagen die emotionalen Wellen höher und es fließen auch mehr Tränen.
Die Schicksale nehme ich mit, sie nehmen mich mit, ich muß es dann jemandem erzählen, das hilft mir. Meine Frau und meine Mitarbeiter sind aber soweit im Thema, daß sie gute Zuhörer sind und ich dort recht viel abladen kann.

Ich habe nicht beobachtet, daß ich besonders abgestumpft wäre oder weniger Gefühle zeigen könnte. Allerdings kennt man sich inzwischen aus und wo andere gleich in Tränen ausbrechen würden, schlucke ich vielleicht nur den Kloß im Hals herunter und kann professionell weitermachen.

Was den direkten Umgang mit den Verstorbenen angeht, so ist das natürlich auch nicht immer einfach. Kinder und junge Leute strapazieren uns da sehr, verstümmelte oder sehr stark in Verwesung befindliche Leichen sind ebenfalls eine Herausforderung.
Hier helfen wir uns gegenseitig mit einem guten Betriebsklima, mit gemeinsamen Aktivitäten und einem ansprechenden Ambiente.
Meine Mitarbeiter haben sehr viele Freiheiten, die sie aber auch brauchen -ohne sie auszunutzen- um diese Last manchmal einfach abschütteln zu können. Es ist durchaus nichts Ungewöhnliches, daß es manchmal mal vorkommt, daß hier heftig gefeiert und sehr viel herumgealbert wird. Neulich erst kam ich von einem Außentermin wieder und es war in den ganzen Räumen niemand zu finden. Die haben schlicht und ergreifend Verstecken gespielt. Erwachsene Leute…

Ich kaufe ja auch jeden Scheiß, der sich irgendwie dazu verwenden lässt, daß man zwischendurch damit etwas Spaß haben kann. Ich selbst habe es noch nicht ausprobiert, aber seit Neuestem rangiert ein neu angeschafftes Wii-Gerät ganz oben auf der Beliebtheitsskala.

Meine Mitarbeiter machen einen extrem schwierigen, körperlich und geistig anspruchsvollen Job. Da muß man einfach Freiräume zur Rekreation lassen und Ventile bieten, daß die einfach mal herumflippen können.

Dem pietätvollen Umgang mit den Verstorbenen und dem höflichen Auftreten gegenüber der Kundschaft tut das keinen Abbruch. Wir kennen unsere Grenzen.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#das? #erträgt

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(©si)