Menschen

Wie möchte Erwin beerdigt werden?

„Ich weiß doch gar nicht, wie er beerdigt werden will!“ Sonja sitzt vor mir in ihrer Küche. Im oberen Stockwerk liegt ihr Vater Erwin, den sie bis zu seinem Tod gepflegt hat, im Bett. Erwin war 96 Jahre alt, hatte seit über 15 Jahren mit verschiedenen Krebsarten zu kämpfen und war am Schluss schwer dement. Doch er hatte sich immer geweigert, über den Tod oder seine Beerdigung zu sprechen. „So weit ist es noch nicht!“, waren seine Worte, wenn seine Tochter doch mal vorsichtig auf dieses Thema kommen wollte, und damit war das Gespräch dann zu Ende. Vor einer Stunde ist Erwin verstorben. Und nun sitzt Frau F. hier und weiß nicht, was sie tun soll.

Erwin war eigentlich noch ganz fit, bis er dann vor wenigen Tagen plötzlich abbaute. Er erkannte Sonja und ihre Geschwister nicht mehr, schlief die meiste Zeit des Tages, wollte nichts  mehr essen und schließlich auch nichts mehr trinken. Allen Beteiligten war klar, dass der große stattliche Mann nun sterben würde. Sonja und ihre Geschwister begleiteten ihn aufopfernd, ich kam manchmal zur Unterstützung dazu. Heute hatte Sonja mich angerufen, weil die Atmung von Erwin sich plötzlich verändert hatte. Bis ich bei ihr war, war Erwin schon gestorben, ganz friedlich und ruhig.

Sonja war gefasst und kontrolliert. Sie wusste ja längst, dass es irgendwann soweit sein würde, und war froh über den „guten Tod“, wie sie es selbst nannte. Sie informierte ihre Geschwister, rief den Hausarzt an und kochte uns Früchtetee. Und dann stand es plötzlich im Raum, das Thema, das sie scheinbar schon seit Wochen umtrieb. „Was sollen wir denn jetzt machen? Ich weiß doch gar nicht, wie er beerdigt werden wollte.“ Erwin hatte sich immer geweigert, darüber zu sprechen, und jetzt versuchte Sonja verzweifelt, seine Wünsche zu erraten. Ich wurde ein kleines bisschen sauer. Hätte Erwin einmal gesagt: „Erdbestattung bitte“ (oder was auch immer er sich gewünscht hat), könnte Sonja es jetzt so machen, wie er es wollte. Aber das hat er nicht. Ich hake noch ein bisschen nach, aber wir kommen auf keine wirklichen Anhaltspunkte. „Dann machen Sie es doch so, wie es für Sie am schönsten ist!“, sage ich, und Sonja schaut mich erleichtert an, als hätte ich sie gerade von einer schweren Verpflichtung freigesprochen. „Ja, ich glaube, das machen wir auch.“

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Ich finde nämlich, dass es in der Verantwortung jedes Menschen liegt, seine Wünsche mitzuteilen, wenn sie ihm wichtig sind. Natürlich sterben Menschen manchmal plötzlich in einem Alter, in dem man damit noch nicht gerechnet hat. Dann kommt es sicher sehr häufig vor, dass die Zugehörigen nicht wissen, was der oder die Verstorbene gerne gehabt hätte. Aber in diesem Alter und mit so vielen Vorerkrankungen? Da beschäftigt man sich doch irgendwann mal mit dem Thema! Oder man entscheidet eben, dass man sich nicht damit beschäftigen möchte. Dann müssen die Hinterbliebenen aber auch nicht die ungenannten Wünsche erraten, die sie schon zu Lebzeiten nicht herausfinden konnten.

Erwin hat eine wunderschöne Trauerfeier bekommen. Seine Enkelin hat gesungen, er hatte kunterbunte Blumen auf seinem Sarg und die Trauergäste kamen auf Sonjas Bitten nicht in schwarzer Kleidung, sondern in bunter. Ob Erwin das so gefallen hätte? Ich habe keine Ahnung, dafür kannte ich ihn viel zu wenig. Aber Sonja und ihrer Familie hat es gefallen, und das ist in diesem Fall das Entscheidende.

Und die Moral von der Geschicht‘? Sprecht doch mal irgendwann mit euren Liebsten über die wichtigsten Eckdaten, die ihr euch für eure Beerdigung wünscht! Auch und gerade dann, wenn ans Sterben noch längst nicht zu denken ist. Dann ist das Thema nämlich viel einfacher. Und wenn es dann irgendwann soweit ist, wissen eure Liebsten, wie sie euch eure Wünsche erfüllen können.

Ich möchte gerne in einem Bestattungswald beigesetzt werden, und bei der Trauerfeier soll „Let the sunshine in“ aus Hair gespielt werden. Und ihr?

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(©si)