Früher war ja alles anders. Daß es früher besser gewesen sei, das behaupten diejenigen, die sich an früher erinnern können, schon seit mindestens 2000 Jahren. Nun, ich behaupte das nicht, ich finde es heute gut. Aber wenn es eine Zeitmaschine gäbe, ich würde gerne mal ausprobieren, wie das früher so war. Vermutlich wären wir glattgebügelten, immunschwachen und freizeitorientierten Neuzeitler damals gar nicht lebensfähig gewesen.
Egal: Früher gab es Frau Sterkrade und Frau Sterkrade machte das Friedhofsklo sauber. Aus irgendeinem Grund hatten die Stadtväter auf dem Westfriedhof, einem sehr großen, parkähnlichen Friedhof, etwa 100 Meter von der Trauerhalle entfernt einen großen, reetgedeckten Pavilion erbauen lassen, der hüben und drüben je eine Toilettenanlage für Männlein und Weiblein beherbergte und in der Mitte eine Art Wartesaal mit Holzbänken zum Aufenthalt bei schlechtem Wetter.
Frau Sterkrade war die gute Seele des Ganzen, immer in der Kittelschürze sorgte sie mit ihren Lappen und Schwämmen für Sauberkeit und Ordnung und verbreitete auch die neuesten Neuigkeiten, entweder aus der BILD-Zeitung oder von dem was sie so über neue Bestattungen, verwahrloste Gräber und den übrigen Friedhofsklatsch so wußte.
Damals gab es auch noch einen Friedhofswächter in Uniform, der am Eingang in einem Wärterhäuschen saß, Auskunft über Grablagen geben konnte und Gesindel erst gar nicht auf den Friedhof ließ. Abends schloß er den Friedhof ab und ein Kollege von ihm machte alle paar Stunden mit der Taschenlampe seine Runde.
Der Friedhofsverwalter war seinerzeit eine Respektsperson, ein Mann vom Amt, dem man tunlichst freundlich und mit Respekt gegenüberzutreten hatte. Er residierte im kleinen Büro und vergab Beerdigungstermine, Grabrechte und war Chef der ungefähr zwanzig Totengräber und Oberaufseher über die Sargträger.
Als dann im Laufe der Jahre die Löhne immer weiter stiegen, waren es die Wächter, die zuerst verschwanden und mit ihnen, wenige Jahre später, auch die Wächterhäuschen. Eine Weile lang fuhr ein Friedhofswächter noch mit dem Auto von Friedhof zu Friedhof, um auf- und abzuschließen und seine nächtliche Runde zu machen, doch auch der wurde bald schon wegrationalisiert.
Irgendwann war auch Frau Sterkrade nicht mehr da. Sie habe Wasser in den Beinen und leide ja schon lange an Rücken (1).
Keine Ahnung, wie das dann noch weiterging, ich glaube die Friedhofsmitarbeiter haben ein, zwei Jahre selbst noch die Toiletten saubergemacht, dann aber waren sie auf einmal abgeschlossen. Für immer.
Heute gibt es auch noch einen Friedhofsverwalter, der noch die gleichen Aufgaben hat wie sein Vorgänger, aber gleichzeitig auch selbst oberster Arbeiter ist. Er wechselt ständig zwischen grauer städtischer Uniform und grüner Arbeitskluft. Seine ehemals stolze Truppe ist auf drei Mann zusammengeschrumpft und die restlichen Helfer kommen nur noch wenn sie benötigt werden von anderen Friedhöfen.
Da war früher alles besser, ehrlich.
Heute kann sich jeder der will nachts auf dem Friedhof herumtreiben, niemand schließt mehr ab und schaut nachts nach dem Rechten. Immer wieder finden sich Wachs- und Kerzenreste, sowie leere Flaschen die von regem nächtlichen Treiben zeugen und so manches Grab ist auch schon verwüstet worden.
Wo ich aber eigentlich drauf hinaus will:
Seitdem Frau Sterkrades Toiletten zugesperrt wurden, ließ man natürlich die Friedhofsbesucher nicht ohne Entleerungsmöglichkeit und öffnete eine kleine Einschüsseltoilette an der Leichenhalle, die früher für die Mitarbeiter vorgesehen war.
Wenn der Friedhofsverwalter aber Feierabend macht (unter der Woche um 17 Uhr, freitags schon um 14 Uhr) wird das Klo abgeschlossen und am Wochenende kann man gar nicht hinein.
Das führt natürlich zu einem Problem. Die ohnehin blasenschwache Granufink-Generation, die das Gros der Friedhofsbesucher bildet, weiß nicht wohin, wenn man mal muß. Und so wird frühlich und munter, immer wenn keiner guckt, überall hingemacht, wo es nur passt.
An manchen Ecken stinkt es dermaßen nach Urin, daß es einem übel werden kann. Die Friedhofsarbeiter streuen dann Kalk dahin, Allheilmittel gegen alles.
Neuerdings stecken sie kleine Pflöcke mit Schildern an die Stellen, auf denen steht: „Wildpinkler aufgepasst! Benutzen Sie die Toilettenanlage am Haupteingang, Zuwiderhandlungen werden verfolgt!“
Tja, das Klo da vorne ist meistens zu, wildgepinkelt wird also wohl überwiegend außerhalb der Dienstzeiten und was schließen wir daraus?
Wir brauchen dringend eine Ein-Euro-Kraft in blauer Ordnungsmachtuniform, die mit Funkgerät und thermodruckendem Gebührencomputer Jagd auf die Wildpinkler macht. Und dann kann SAT1 eine Serie „IM EINSATZ, der Pinkelsheriff vom Westfriedhof“ drehen. Das wird ein Millionenerfolg, wetten? Wenn dann hinterher die mit versteckter Kamera gefilmten, hinter einem Grabstein hockenden und pinkelnden Omas mit ihrer Schandtat konfrontiert werden und sich verdutzt vor dem Puschelmikrophon rechtfertigen sollen. So mit ausgepixeltem Gesicht und nachgesprochener Stimme…
(1) Datt heisst so!
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: wildpinkler
Stimmt, aber das Geld für ne 1-€-Toilettenkraft hat natürlich niemand…
eine 1 Euro Kraft ist leider rechtlich nicht zulässig.
Ein 1 € Job muss immer zusätzlich und gemeinnützig sein und darf keinen Arbeitsplatz kaputt machen.
Bei uns im Krankenhaus gibt es sehr viel 1 Euro Kräfte aber die kommen nur zum zuschauen. Wir dürfen sie nichts arbeiten lassen, da dies gesetzwidrig ist. Arbeitsplätze im Servicebereich Küche, Reinigung etc. wären dadurch gefährdet.
Daher kommen diese Bürger zum zuschauen und um an einen Arbeitsablauf mit pünktlichen kommen und gehen gewöhnt zu werden und erhalten dafür auch noch Geld.
Wir kommen uns vor wie im ZOO.
Juhu es lebe der Staat und seine dämlichen Gesetze.
????
Und ich dachte immer für die Granufink- Generation gibt es Tena- Lady resp. Tena- Man, die können doch einfach in die Bux machen im Gegensatz zu uns tangabeschlüpferten Jungspunden 😉
Eine Beerdigung. 100 männliche Trauergäste. Jeder muß noch mal schnell, wer weiß, wann wieder gelegenheit ist. Verweildauer 1 Min/Person. Da ist der letzte noch nicht drangewesen, schon steht der Erste zum 3. Mal an. Eine blöde Situation. Frauen sind da zu beneiden, die können stundenlang horten.
@ Yeti: Würdest Du als Oma/Opa gern mit kiloschwerer Einlage im Schlüpper übern Friedhof latschen? Und sooo effizient sind diese Dinger auch nicht, irgendwann tropfen die.
@ 5.: Icxh dachte das wäre genau andersrum?
@3.
Welcher Arbeitsplatz soll da vernichtet werden? Der nicht vorhandene einer Putzfrau, die aus Kostengründen nie eingestellt würde?
Aber es zeigt sich mal wieder, welche Stilblüten die Hinterlassenschaften diverser Bundereg(ul)ierungen und eine gewisse Fehlwirtschaft erzeugen können (Ich will niemanden anprangern, aber ohne Fehler gäbe es wahrscheinlich keine Probleme)
Cora hat schon Recht.
1-Euro-Jobber sind immer zusätzliche Arbeitskräfte. Darüber hinaus dürfen sie keine Form von Elektrogerät oder sonstiger Apparatur benutzen, die eine Einarbeitung benötigen würde.
Ich kannte einen 1-Euro-Jobber, de hat in einer Pflegeheim-Küche den ganzen Vormittag Kartoffeln geschält… -Und wenn er mal nicht da war, wurde einfach die automatische Kartoffelschälmaschine benutzt.
Hier sollen vermutlich tatsächlich einfach nur Langzeitarbeitslose an feste Arbeitszeiten gewöhnt werden.
Quatsch mit Sauce, wenn ihr mich fragt.
Ich hoffe, der Kommentar wird jetzt nicht zu lang. Aber als Betroffener 1-Euro-Jobber möcht ich mal meine Meinung äussern. Kurz zur Vorgeschichte: Nachdem ein Grosskunde in die Pleite schlitterte und ich als kleiner Selbständiger mit, folgte im gleichen Jahr erst die Trennung, später dann die Scheidung. Damals hatte ich keinen ALG-Anspruch mehr, zuständig war damals dann das Sozialamt. Die gaben mir nen Einkaufsgutschein über DM 50,- und verlangten, das ich binnen 3 Wochen mein Auto verkaufe. Das die Karre noch exakt so viel Wert war, wie die Restschuld des Autokredites war denen egal. Das Auto war mir jedoch sehr wichtig, bedeutete es doch noch die Projekte bei den kleineren Kunden zu beenden, bzw. diese an andere Firmen weiterzureichen. Rechnungen meinerseits wurden in der Regel erst zum Prjektende gestellt, ausgenommen Hardware, die musste ich ja auch direkt bezahlen. Es gab sogar Firmen, die mitbekamen was ich für schwierigkeiten hatte, die stellten ihre Zahlungen komplett ein, selbst für nachweislich gelieferte Tonerkartuschen z.B. (Verpflichtungen im Nacken: DM 500.000,-, lfd. Fixkosten DM 3.000,-/Monat) Zu der Zeit war ich ehrenamtlich… Weiterlesen »
[quote]Puschelmikrophon[/quote]
Mein Vorschlag für das Wort des Jahres.
@ BPfH:
Danke für den ausführlichen Kommentar. ich fand ihn keineswegs zu lang.
Schön, zu hören, dass manche Jobber tatsächlich eine zusätzliche aber eben auch sinnvolle Aufgabe anvertraut bekommen.
Das mit dem Kartoffelschälen fand ich allerdings auch mehr als daneben. Und hat dem Selbstwertgefühl des betroffenen Jobbers sicherlich auch nicht gut getan.
@12
Ich denke die Sache mit dem Selbstwertgefühl ist der eigentliche Grund für den ganzen Zirkus