Menschen

Zurücktreten bitte!

Herr Buselmann war Eisenbahner. Nicht im wirklichen Beruf, nein, da war er Arbeiter in der Müllverbrennungsanlage, aber in seiner Freizeit schlüpfte er gerne in eine alte blaue Bahnuniform, setzte sich eine rote Schirmmütze auf und pfiff auf seiner Trillerpfeife wunderschönen Märklin-Zügen auf seinem Dachboden zur Abfahrt.

Frau Buselmann fand das ganz gut so und kommentiert das Hobby ihres vor vier Tagen verstorbenen Mannes mit den Worten: „Stellen Sie sich vor, das wäre umgekehrt gewesen, er wäre also in Wirklichkeit bei der Bahn gewesen und hätte in seiner Freizeit ständig auf dem Dachboden Müll verbrannt!“

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So gesehen hat sie natürlich vollkommen Recht!

Ob es denn wohl möglich sei, daß wir ihrem August, der nur Gustl genannt wurde, seine erst kürzlich angeschaffte neue Lieblingslok mit in den Sarg legen könnten, wollte Frau Buselmann wissen und sie war sehr erleichtert, als ich ihr sagte, daß das überhaupt kein Problem sei.
Die Aufbahrung sollte bei uns im Hause stattfinden, der Sarg würde dann geschlossen und zum Friedhof gebracht werden, sodaß der quallenartige Friedhofswärter die Lok gar nicht zu Gesicht bekommen würde. Und wenn dann in 30 oder 40 Jahren irgendwann mal einer beim Ausschachten des Grabes auf die Reste der Lok stoßen würde, wen will man dann noch zur Rechenschaft ziehen?

Für ihren Gustl wählte Frau Buselmann einen großen Eichensarg mit schöner Deckelschnitzung, ein hellgraues Totenhemd und eine dazu passende Decke mit Kissen aus grauer Atlasseide.
Ob sie am nächsten Tag kommen könne, um ihrem Gustl die Lok zu bringen und ihn noch einmal anzuschauen? Ja klar!

Am Nachmittag rief mich dann der Sohn des Ehepaares Buselmann an und hatte noch ein paar Fragen zum Blumenschmuck. Während ich mit ihm telefonierte, hatte ich so eine Idee…

Der nächste Tag kam und pünktlich um 9 Uhr, wenn wir das Haus für Besucher öffnen, hatte unser Technik-Leiter Manni Herrn Buselmann in seinem Sarg in den Aufbahrungsraum Nummer 3 geschoben.
Gegen 11 Uhr kam ein junges Mädchen von der Gärtnerei und brachte noch ein paar Blumen für die Dekoration von Sarg und Aufbahrungsraum. Alles sah sehr schön aus und ich schaltete nach meinem Kontrollbesuch bei Herrn Buselmann die Kühlung aus, denn wenn die Familie kommt, muß es ja nicht bitterkalt sein.

So etwa um 14 Uhr kamen dann die Buselmanns. Vorne weg eine etwas schnippische Schwiegertochter, die uns merken ließ, daß sie uns für untergeordnetes Pack hält, der wir aber gerade deswegen mit besonders ausgesuchter Höflichkeit begegneten, hinter ihr der Sohn der Buselmanns, also ihr Mann, und an dessen Arm die Witwe, die sich ganz nach alter Tradition von den Schuhen, über die Strümpfe bis hin zur kompletten Oberbekleidung in Schwarz gekleidet hatte.
Büroangestellte Antonia und Auszubildende Nadine standen am Eingang des Bereiches, wo es zu den Aufbahrungsräumen geht, Spalier und Manni wartete an der geöffneten Tür von Raum Nummer 3.
Kurz vor der Tür hielten die drei Buselmanns kurz inne, Frau Buselmann seufzte und sagte: „Na, dann woll’n, wir mal“ und ging als Erste in den Raum zu ihrem Mann. Dann erst folgten Sohn und Schwiegertochter.

„Ach nee, was schöööön!“ hörten wir Frau Buselmann rufen und da wußten wir, daß wir wieder alles richtig gemacht hatten und zogen uns diskret zurück.

Der junge Herr Buselmann drückte Manni beim Weggehen 20 Euro in die Hand und wischte sich dann nochmals die Tränen aus den Augen. „Sie haben das alles ganz wunderbar gemacht, vielen Dank.“

Manni und ich gingen dann in Raum Nummer 3, um den Deckel zu schließen und die Schrauben einzudrehen, damit Manni den Sarg zum Friedhof bringen konnte.
Als wir den Raum betraten, warf ich noch mal einen Blick auf den Verstorbenen, wie er da lag, in seiner blauen Eisenbahneruniform, die rote Mütze auf der Brust, die Trillerpfeife an einer Schnur um den Hals und mit der Märklin-Lok in der linken und seiner kleinen Abfahrtskelle in der rechten Hand.

Manni drückte den Knopf für das Rolltor hinten an Raum 3 und schob den Sarg raus. Ich sagte: „Abfahrt frei für Herrn Buselmann.“

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(©si)