Menschen

Zwei sind einer zu viel 2

Die Mitarbeiterinnen vorne im Büro diskutieren den Fall noch lange mit mir, sie können es einfach nicht fassen wie der Mann sich benommen hat und daß er beinahe keine Gefühlsregung gezeigt hatte.
„Tja“, sage ich, „so sind manche Leute eben“ und dieser Satz gibt nur meine Hilflosigkeit wieder, denn auch ich habe in Wirklichkeit keine Erklärung dafür und so etwas in dieser Form noch nicht erlebt.
Frauen muß man manchmal fast mit Hammer und Meißel vom Sarg ihres Kindes wegholen und ihre Männer markieren nur den Starken und Überlegenen, denn sind die Väter mal alleine mit der Leiche ihres Kindes, dann ist dieses Trauererlebnis auch für uns, die wir das nur als Dritte mitbekommen, so intensiv, das kann man sich gar nicht vorstellen.

Der Montag geht ganz normal zu Ende und wir tun das was wir viel lieber machen, als Leonies zu bestatten, wir holen alte Leute und tun sie in Särge, damit sie nach einem langen Leben nun in Frieden neben ihrem vorangegangenen Ehepartner in ein Doppelgrab kommen. Das ist auch traurig aber eben der Lauf der Dinge.

Der Dienstag fängt mit viel Arbeit und Kleinkram an und plätschert arbeitsreich vor sich hin, gegen 16 Uhr dann kommt Antonia und sagt mir, daß Frau Leuschner und ihr Mann da seien.
„Na gut“, sage ich, denn am vorangegangenen Montag hatte ich vergebens auf die Frau gewartet, Herr Leuschner war ja schon da und ich hatte gar nicht nach seiner Frau gefragt, weil ich einfach angenommen hatte, ihr sei das alles zu viel.

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In der Halle treffe ich auf zwei mir vollkommen fremde Menschen. Das ist ja meistens so, wenn Angehörige zu uns kommen, aber auch der Mann ist mir absolut fremd. Mein Herr Leuschner von gestern hatte ganz anders ausgesehen.
„Grüß Gott“, sage ich, wie das so meine Art ist, halte der Frau meine Hand hin und stelle mich vor. Sie sagt ihren Namen ‚Leuschner‘ und dann tue ich dasselbe bei dem Mann und er sagt: „Wittrock“.

„Wittrock?“ sage ich mit einem fragenden Unterton und schaue abwechselnd von ihm zu ihr und die Frau beeilt sich zu sagen: „Das ist mein zweiter Mann, ich bin geschieden.“

Innerhalb einer Sekunde werde ich blaß, fühle einen eiskalten Schauder meinen Rücken hinunterlaufen und mein Magen grummelt. Mir ist sofort klar, was passiert ist und ich bitte die beiden in einen Beratungsraum.
Dort klärt sich nach wenigen Sätzen die Situation. Am Tag zuvor war der leibliche Vater von Leonie, der geschiedene Mann von Frau Leuschner bei mir gewesen und hatte die Bestattung bestellt.

„Aber ich bin doch Leonies Papa!“, protestiert Herr Wittrock und etwas leiser zu seine Frau: „Siehst Du, wir hätten das mit den Namen anders machen sollen.“

„Wie kommt der denn dazu?“ sagt Frau Leuschner schluchzend: „Der ist drei Monate nach Leonies Geburt verschwunden und hat sich nie wieder gekümmert. Zehn Jahre haben wir von dem nichts gehört, nur seinen Unterhalt hat er überwiesen, aber auch immer nur die Hälfte von dem was er eigentlich zahlen mußte.“

„Is‘ egal, wir brauchen dem sein Geld nicht“, stößt Herr Wittrock zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Wie kommt der dazu? Was soll das denn? Mein Gott! Was passiert denn nun?“

Zunächst einmal versuche ich Ruhe in die Sache zu bringen, lasse Wasser und Kaffee servieren, gebe mich überlegen und versichere den beiden, daß wir alles im Griff haben.
Die Wahrheit ist aber, daß mir schlecht vor Aufregung ist und ich fast Panik bekomme, denn Manni meldet sich nicht, sein Handy ist aus oder er hat keinen Empfang und Frau Büser hat nach einem Blick auf den Tourenplan gesagt, daß er mit Gregor zusammen zwei Särge auf verschiedene Friedhöfe bringt und dann das Mädchen abholt um sie in Krematorium zu bringen. „Die wollen das erledigt haben bis um fünf das Krema zu macht.“

Es besteht natürlich kein Grund zur Panik. Im Krematorium werden die Särge ja nicht sofort nach der Einlieferung in den Ofen geschoben. Meistens stehen sie dort noch ein, zwei Tage in der Kühlung und dann muß der Amtsarzt ja auch noch die zweite Leichenschau durchführen. Also haben wir noch Zeit und ich muß zu allererst klären, wer da jetzt das Sagen hat und wer eigentlich über Leonies Bestattung zu verfügen hat.
Das aber kann mir nur Frau Leuschner sagen.

Die ist völlig aufgelöst und Herr Wittrock hat genug damit zu tun, sie zu beruhigen. Ich merke, daß ich in der nächsten Viertelstunde nichts werde ausrichten und in Erfahrung bringen können und lasse die beiden wieder alleine.

Manni ist immer noch nicht zu erreichen.

Inzwischen hat sich die Frau etwas beruhigt, Frau Büser ist bei ihr und mir ist es gelungen Herrn Wittrock aus dem Zimmer zu lotsen. Im Raum nebenan haben wir etwas Ruhe und ich bitte ihn, mir mal die Familienverhältnisse zu erklären.
„Das ist ganz einfach. Der Leuschner hat meine Frau und Leonie vor knapp zehn Jahren verlassen, einfach so von heut‘ auf morgen, ohne Erklärung, ohne was. Meine Frau hat dann erfahren, daß er zu einer anderen Frau gezogen ist. Ein Jahr später kam ein Schreiben von seinem Anwalt und eins vom Gericht und kurz darauf wurden die geschieden. Da kannte ich meine Frau aber schon und wir sind dann zusammengezogen und haben drei Monate nach der Scheidung geheiratet, da war Leonie noch keine zwei Jahre alt.
Die kennt überhaupt nur mich als Papa, hat den Leuschner noch nie gesehen und es wurde auch noch nie ausführlich über den gesprochen. Meine Frau hat ihr zwar erklärt, daß sie eigentlich einen anderen Vater hat, schon wegen der Nachnamen. Ich wollte ja immer, daß meine Frau und Leonie auch so heißen wie ich, aber für Leonie hätten wir die Zustimmung vom Leuschner gebraucht und das schien meiner Frau unrealistisch, das hätte der nie gemacht, irgendwas in der Art muß der bei der Scheidung schon gesagt haben.
So ein Arsch! Sich nicht um das Kind kümmern und dann verweigern, daß Leonie so heißt wie ich. Meine Frau hat dann gesagt, sie wolle auch weiter so heißen, weil es dann einfacher ist zu erklären warum Leonie so heißt. Mir hat das ja nie gepaßt!“

„Gut und schön“, sage ich, „aber viel interessanter als die Frage nach den unterschiedlichen Nachnamen ist für mich, zu erfahren, wer denn nun das Sorgerecht und das Aufenthaltsbestimmungsrecht hat und wer die Bestattung des Kindes veranlassen darf.“

„Ja, meine Frau, das ist ja wohl klar!“

„Das sagen SIE! Aber was sagt das Gesetz? Wie ist das bei der Scheidung geregelt worden? Ich kenne mich in einem solchen Fall nicht aus.“

„Na hören Sie mal, das ist doch klar, wir haben Leonie großgezogen, sie wohnt bei uns, sie ist unsere Tochter, da haben wir ja wohl auch das Recht, bestimmen zu dürfen wie und wo sie bestattet wird!“

„Sie haben aber, soweit ich das verstanden habe, Leonie nie adoptiert und somit haben Sie in der Sache gar nichts zu melden, wenn ich das mal so sagen darf.“

„Was?“

„Ja, ist so.“

„Ja aber meine Frau, die darf das doch, die ist doch schließlich Leonies Mutter!“

„Ja schon, aber wer darf denn jetzt die Bestattung regeln? Der leibliche Vater, die leibliche Mutter oder nur beide gemeinsam?“

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