Menschen

Zwei sind einer zu viel 6

Zwei sind einer zu viel. Das war mein Gedanke, als ich feststellte, daß Leonie zwei Väter hat. Einen leiblichen, der sich nie gekümmert hat und einen Stiefvater, der alles für sie getan hat. Und der Mann hatte sicher keine leichte Aufgabe, denn Leonie war viele Jahre krank und brauchte täglich eine umfangreiche Fürsorge.
Aber wer ist um Himmels Willen diese Frau, die jetzt in der Halle vor mir steht. Ich hatte beim Namen Frau Leuschner an Leonies Mutter gedacht, nun steht da aber eine etwas ältere Frau im dunkelblauen Kostüm und tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen. In der Hand hält sie drei rote Rosen und schaut mich etwas ängstlich an.

Ich stelle mich vor, reiche ihr die Hand, die sie zögerlich ergreift und sie sagt:

„Ich bin Leonies Oma.“

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Ach ja, der Kindsvater Leuschner muß ja eine Mutter haben und die ist ja logischerweise auch die Oma von Leonie. Stimmt ja, bei solchen Scheidungen werden ja oft genug auch die Großeltern mit weggeschieden…
Abermals biete ich die englische Ledergarnitur in der Halle an und wir setzen uns.
Ich mache das ganz gerne so. Halle klingt so feierlich, aber es ist der große Flur, der wegen der Höhe der dahinter liegenden Trauerhalle auch recht hoch ist und schon die Ausmaße einer Zweizimmerwohnung hat.
Die Wand zur Straße, da wo sich die sechs hohen, schmalen Fenster befinden, die unserem Haus von vorne einen etwas sakralen Eindruck verleihen, ist mit Dutzenden großer Grünpflanzen versehen, was der davor befindlichen Sitzecke einen recht heimeligen Charakter verleiht. Außerdem muß man mit den Gästen nirgendwo reingehen. Leute, die noch nie in einem Bestattungshaus waren, haben ja oft die Befürchtung, hinter jeder Tür könne ein Sarg stehen oder eine Leiche herumliegen…

Ich sage nichts, schaue die Frau mit den grauen Strähnen nur freundlich an und nachdem sie zwei- oder dreimal tief durchgeatmet hat, beginnt sie zu sprechen:
„Ich bin Leonies Oma, Frau Leuschner, Henriette Leuschner, mein Sohn ist Leonies Vater.“

Ich nicke nur und sie fährt fort:

„Ach, das war damals schlimm für mich als mein Sohn seine Familie im Stich gelassen hat. Der ist ja fleißig und hat es zu was gebracht und der verdient auch gut, aber so vom Charakter her… Ich weiß nicht, ich glaube mein verstorbener Mann hat recht gehabt. Der hat mal gesagt, der tauge nichts. Aber er ist eben mein Sohn und ich liebe ihn, egal wie er ist. Ich habe nur den einen Sohn, müssen Sie wissen.
Ich wollte ja damals den Kontakt zu meiner Schwiegertochter und meiner Enkelin aufrecht erhalten, aber das hat mein Sohn kategorisch abgelehnt. Das sei vorüber, dieses Kapitel sei ein für allemal abgeschlossen.
Aber ich habe das nicht gekonnt und von mir aus versucht, Kontakt zu meiner Schwiegertochter aufzunehmen, aber das hat die dann nicht gewollt.
Das war damals alles nicht einfach. Erst hat mein Sohn versprochen, sich regelmäßig um Leonie zu kümmern, sie einmal die Woche in die Klinik zu fahren und dann ist er nie gekommen. Da ist dann irgendwann bei meiner Schwiegertochter die Sicherung durchgebrannt und sie hat es rundweg abgelehnt, daß wir Kontakt aufnehmen. Sie hat gesagt: ‚Entweder kümmert der sich richtig oder ihr laßt das bitte, denn so ein unzuverlässiges Hin und Her kann ich nicht gebrauchen.‘ Und dann hat sie ja den Wittrock kennengelernt.

Es hat gedauert bis Leonie in den Kindergarten gekommen ist, da habe ich dann Kontakt aufgenommen und zwar über Leonies andere Oma, der Mutter meiner Schwiegertochter. Ihr habe ich Geschenke gebracht und immer mal wieder etwas Geld gegeben und sie hat es in ihrem Namen, ohne mich zu erwähnen an Leonie weitergegeben. Als Leonie dann in die Schule gekommen ist, haben wir uns mal bei der anderen Oma getroffen.
Das war vielleicht ein schwieriges Treffen, kann ich Ihnen sagen. Sie hatte keine Erinnerung an mich und ich kannte sie ja auch nur als ganz kleines Mädchen. Die Oma hat mir dann regelmäßig Fotos von Leonie geschenkt und ich habe Leonie so etwa einmal im Monat heimlich bei der Oma getroffen. Das liebe Mädchen hat nie etwas verraten.
Als ich gehört habe, daß sie ins Krankenhaus gekommen ist, hat mich Trude, das ist die andere Oma, angerufen und so habe ich dann auch erfahren, daß Leonie hat sterben müssen…“

Sie beginnt zu weinen und es dauert eine Weile bis sie sich wieder beruhigt hat. Ich lasse sie, gehe ein paar Minuten weg, hole ein Glas Wasser für sie und stelle es ihr hin.

„Möchten Sie Leonie jetzt besuchen?“

Die Frau reiß die Augen auf, ist ganz erstaunt und fragt: „Ja, geht das denn? Ich denke mein Sohn hat sie ins Feuer schieben lassen.“

„Doch, das geht, wir haben sie wieder zurück geholt. Ihre Mutter wollte das so.“

„Das haben Sie richtig gemacht! Mein Sohn spinnt! Der meint, er müsse jetzt, jetzt wo sowieso alles zu spät ist, sich irgendwie doch noch kümmern und weil er mit dem kranken Kind ja sowieso nie klar gekommen ist, will er es schnell fort schaffen. Endlich weg, endlich Ruhe…“
Sie stöhnt leise auf, schüttelt den Kopf und sagt leise: „Der ist so ein dummer Hund, das gibt es gar nicht. Ich könnte mich ohrfeigen, daß mich ihm überhaupt etwas gesagt habe.“

Ich schiebe der Frau das Glas Wasser etwas näher hin, schaue sie kurz an und lasse sie einen Moment alleine.
Im Aufbahrungsraum 2 fahre ich die Isolierwand elektrisch hoch, die den gekühlten Teil mit dem Sarg vom Teil mit dem Teppich und den Stühlen trennt. Dann zünde ich die Öllämpchen an, schiebe noch ein paar von den künstlichen Bäumchen aus dem Versorgungsgang hinter den Aufbahrungszellen neben Leonies Sarg und dann begutachte ich mein Werk.
Das Kind sieht aus, als wolle es jeden Moment die Augen öffnen. Es scheint als drücke sie Antonias Teddy an sich und so ein ganz kleines bißchen sieht es aus, als lächele Leonie ganz leicht.

Dann hole ich die Oma.
Wie bei fast jedem Besucher stockt auch ihr Schritt als sie bei mir untergehakt der offenstehenden Tür näher kommt.
Gerade will ich sie behutsam in den Raum führen, da ertönt hinter mir eine laute Stimme.

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(©si)