Menschen

Zwei sind einer zu viel 7

Die alte Frau Leuschner zuckt zusammen und ich fahre herum. An der Eingangstür zu dem Gang an dem die Aufbahrungsräume liegen, steht Antonia und bei ihr ist eine Dame, die gerufen hat: „Was soll das denn?“

Ich schaue sie ratlos an und Frau Leuschner sagt zu ihr: „Ach, Trude, was machst Du hier?“

„Kann mich mal jemand aufklären, was hier los ist?“ frage ich und will als Mann verhindern, daß zwei Frauen in diese Tiefe eines Gesprächs geraten, bei der Männer nur noch als Gesprächstapete nutzlos herumhängen.

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„Das ist Trude Kröger, die Mutter meiner Schwiegertochter, die andere Oma von Leonie.“

Ich begrüße Frau Kröger und die sagt zu Frau Leuschner: „Ich habe von der jungen Frau hier gerade gehört, daß du Leonie besuchen willst. Da will ich doch aber mit. Wir waren all die Jahre so ein verschwiegenes Team, da können wir das doch auch zusammen machen, für jede einzelne von uns wär‘ das doch ein viel zu schwerer Gang. Oder was meinst Du?“

„Du bist doch aber auch alleine her gekommen und hättest mich nicht angerufen“, schmollt Frau Leuschner.

„Wie dem auch sei, jetzt sind wir gemeinsam hier und gehen zusammen zu Leonie, oder?“ sagt Frau Kröger.

Beherzt schreitet Frau Kröger auf die andere Oma zu und dann gehen die beiden Omas ohne mich zu Leonie hinein.
Einen kurzen Moment bleibe ich noch, dann lasse ich die beiden Damen allein.

Ich hatte ja schon einmal erzählt, daß sich in den Aufbahrungsräumen Kameras befinden. Damit kann vorne im Büro bei Frau Büser gesehen werden, was sich in den Räumen tut. Das machen wir nicht, um in die Privatsphäre einzudringen, sondern damit wir die Angehörigen und Besucher im Blick haben.
Einmal hatten wir einen Fall, da wollte sich jemand dort aus lauter Trauer und Verzweiflung das Leben nehmen, ein anderes Mal hatten wir einen reichen Zigeuner, der in seinem Sarg mit so viel wertvollem Schmuck überhäuft worden ist, daß man da ein Auge drauf werfen mußte. Außerdem sind Leichen nicht gerade unempfindlich und man muß darauf achten, daß der körperliche Kontakt durch Anfassen, Streicheln usw. nicht zu starke Ausmaße annimmt. Überdies wird manchmal den Leuten übel oder sie bekommen Kreislaufprobleme.

Ich selbst denke meistens gar nicht mehr an diese Kameras, weil Frau Büser den Monitor dazu hat. An diesem Tag ruft sie mich aber zu sich und so stehen wir zu viert vor dem kleinen Monitor und sehen, wie die beiden Omas Leonies Kleid zurechtzupfen, ihre Hände richtig hinlegen und den Teddy besser in ihren Arm drücken. Dann legt Frau Leuschner die drei Rosen auf die Brust der Kindes und die beiden Frauen betrachten das Bild. Offensichtlich gefällt es ihnen so nicht, denn sie nehmen die Rosen wieder weg und beginnen von den Blüten die roten Blätter abzuzupfen und über die Decke und das Kleid von Leonie zu verteilen.
Dann sind sie zufrieden und es drückt mir ein Tränchen in den rechten Augenwinkel, als ich sehe wie die beiden alten Damen Hand in Hand vor dem Sarg ihrer toten Enkelin stehen und gemeinsam weinen.

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(©si)