Nein wirklich, manchmal kann ich mich schon richtig aufregen. Wie alle modernen Bestatter erstellen wir unsere Auftragsbestätigungen und Rechnungen mit einem Computerprogramm. Unsere Dienstleistungen sind abgespeichert und wir müssen nur noch anklicken, was alles gemacht wurde, fertig.
Jetzt lautet der Text zu einer Rechnungsposition:
Hygienische Versorgung
Waschen, Kämmen und Ankleiden d. Verstorbenen, sowie hygienische Versorgung.
In diesem knappen Text ist eine Menge Arbeit verborgen. Dazu gehören beispielsweise das Verschließen der Augen, das Einsetzen der dritten Zähne, das Verschließen des Mundes, das Verhindern des Austritts von Körperflüssigkeiten usw. Ich will es jetzt mal nicht im Einzelnen schildern, aber es ist eine Menge was wir da machen. Das letztendliche Herrichten des Verstorbenen, also das Ankleiden, Schminken und Kämmen, sind da nur ein Bruchteil.
Wenn uns Angehörige danach fragen, erklären wir natürlich gerne, was da im Einzelnen gemacht wurde, aber normalerweise halten wir uns da eher bedeckt, weil jede unnötige Erklärung oft nur zu weiteren unnötigen Nachfragen und manchmal zu Entsetzen führen kann.
In diesem konkreten Fall, über den ich mich hier und heute aufrege, rief mich gestern Abend um 23 Uhr eine Witwe an. Sie habe nun die Rechnung erhalten und sich sehr darüber aufgeregt. Sie habe auch alle ihre Freunde und Nachbarn zusammengerufen und man säße jetzt zusammen und sei in hellster Aufregung. Das sei ja Betrug und man habe auch einen Rechtsanwalt in der Verwandtschaft.
„Was behagt Ihnen denn an unserer Rechnung nicht? Falls da ein Fehler passiert ist, müssen wir darüber reden. Aber sagen Sie mir doch bitte zunächst einmal, was nicht stimmt.“
„Was da nicht stimmt? Na, das ist doch Betrug! Sie wollen eine Witwe ausnehmen, Sie wollen die Trauer ausnutzen, um ungerechtfertigt Geld zu verdienen. Sowas gehört verboten.“
Dabei wurde die Anruferin immer lauter. Ich fragte nochmals nach, was denn ihrer Meinung nach nicht korrekt sei.
„Na hören Sie mal. Sie berechnen da knapp 100 Euro fürs Kämmen, mein Mann hatte aber gar keine Haare!“
„Das ist doch eine Gesamtposition und das Kämmen steht nur automatisch mit dabei, es handelt sich um die gesamte hygienische Versorgung.“
„Nein, so geht das nicht. Mein Schwager, also der neue Mann von der Ex-Frau meines Mannes, der ist Patentanwalt und der sagt, dass Sie das nicht berechnen dürfen, das Kämmen. Und weil ich mich jetzt so aufgeregt habe, habe ich Anspruch auf Schmerzensgeld und brauche Ihre Rechnung gar nicht zu bezahlen. Ist das klar?“
Ja, ist klar!
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: alte, doch, spinnt
Na jetzt bin ich aber sehr gespannt auf den Ausgang dieser patentrechtlichen Haarerauferei!!
Nachvollziehen kann ich es trotzdem, dass sie sich erst aufregt. Allerdings sollte spätestens der "Patentanwalt" unaufgeregt genug sein, um die Erklärung nachzuvollziehen.
Dennoch: Wie wäre es mit einem allgemeineren Text für die jeweiligen Rechnungspunkte? Dadurch wird es zwar pauschaler, aber das ist (auch wenn's paradox klingt) wesentlich persönlicher als wenn da Punkte auftauchen, die gar nicht angefallen sind. Unverfänglicher ist es allemal.
@Ramses: Unter unseren Rechnungen steht noch folgender Zusatz:
"Sämtliche Artikeltexte beziehen sich auf eine pauschalierte Leistung, deren Bezahlung auch dann anfällt, selbst wenn einzelne, aufgeführte Leistungen nicht erbracht wurden oder nicht zutreffen können."
Ich kann mir aber schon vorstellen, dass ausgerechnet das Wort "Kämmen" sehr, sehr leicht und oft zu Irritation führen kann – so sind doch Verstorbene natürgemäß oft im gehobenen Alter gewesen und ich vermute mal einfach ins Blaue hinein, dass der Mann der Dame nicht der Einzige ohne Haarpracht gewesen ist, der in all der Zeit durch eure Hände gegangen ist? Vielleicht ließe sich da ein anderes Wort, oder eine allgemeinere Umschreibung finden? Der Text in der Software ist ja in einer Minute angepasst.
P.S. Ein sehr interessantes Blog, danke dafür!
Wir haben das Wort "Kämmen "inzwischen durch das neutralere "Herrichten" ersetzt.
Sollen sich nicht so anstellen, effektiv gibt's nur ganze wenige Menschen ohne Haare, denn bloss weil keine auf dem Kopf…
War schliesslich Zivi…
Ich denke, ein Patentanwalt sollte dann auch eher bei seinen Patenten und Marken bleiben und sich aus der "Beratung" von Schadensersatzansprüchen wegen "seelischer Grausamkeit" (oder was hier auch immer den Schadensersatz rechtfertigen sollte) heraushalten – das könnte sonst zu reichlich Gelächter beim Gericht führen.
Naja, wenn sie sich weiter aufregt, wird sie vielleicht auch schnell Kundin. Und vielleicht hat sie ja Haare, dann können Sie ihr ja ne richtig tolle Friesur verpassen.
Update: Mittlerweile hat der verworren verwandte Schwager angerufen und wir haben uns auf einen Preisnachlass von 8 Euro geeinigt.
Was mich in dem Zusammenhang interessieren würde: Haben Sie als Bestatter in extremen Fällen von Kunden eigentlich das Recht, den Vertrag über die Bestattung aufzukündigen und zu sagen, daß Sie die Bestattung nich ausrichten werden? Ich stelle mir das ein wenig kompliziert im Umgang mit dem Toten vor, wenn dieser bereits im Kühlhaus liegt.
Ja, das kann vorkommen. Es ist aber in den über 20 Jahren nur ein Mal wirklich passiert. Die Leute sind so pampig und frech gewesen, haben uns in einer Tour beleidigt, da habe ich gesagt: "Wissen Sie was, wir haben 7 Bestatter hier am Ort, bitte gehen Sie doch freundlicherweise einem anderen Kollegen auf den Keks." Jedes zweite Wort von denen war "Scheißladen". Auf solche Kunden kann ich verzichten. Andersherum kommt es häufiger vor. D.h. dass die Kunden kommen und sagen, dass sie lieber den Bestatter xyz hätten. Das ist immer darin begründet, dass uns eine Tochter oder so voreilig bestellt hat und dann die Witwe sagt, dass sie lieben den anderen Bestatter hätte Ganz oft ist das bei Polzeiabholungen der Fall. Da holen wir nachts ein Unfallopfer etc. und am nächsten Tag sagen die Angehörigen, dass ein anderer Bestatter, der schon mehrfach für sie tätig war, den Job machen soll. Unsere Geschäftsbedingungen sehen vor, dass die Kunden jederzeit einen anderen Bestatter mit der Fortführung der Angelegenheit betrauen können. Allerdings ist das stufenweise gestaffelt. Liegt… Weiterlesen »