Ich bin ja froh, daß heute keine einzige andere Beerdigung auf diesem Friedhof terminiert war. Voll ist gar kein Ausdruck! Bei uns im Haus waren wir knapp an der Grenze, den Notstand auszurufen, aber just in dem Moment als in mir leichte Anflüge von Panik aufsteigen wollten, begann das Streichquartett und es kehrte Ruhe und Ordnung ein. Als die erste Viertelstunde exakt wie geplant geklappt hatte, wusste ich dass auch der Rest klappen würde.
Und so war es auch. Alles, aber auch wirklich alles klappte wie geplant und sozusagen wie am Schnürchen. Als dann die letzten Leute ihr Schäufelchen Sand oder ein Blumensträußchen ins Grab geworfen hatten, fiel mir mehr als nur ein Stein vom Herzen.
Ich habe nach der Beerdigung noch eine halbe Stunde mit Klaus, dem Freund der Verstorbenen zusammengesessen. Während seine Eltern und die Eltern Jennifers die Kondolenzwünsche entgegennahmen, hatte er sich an mich geheftet und gebeten, ich möge ihn irgendwie daran vorbeischmuggeln, das sei alles zuviel für ihn. Einer unserer Fahrer musste dann die paar hundert Meter in die Firma laufen, ich habe Klaus im Bestattungswagen (vorne) mitgenommen.
Er erzählte mir, daß für ihn die Sache dann einen Abschluss hat, wenn das Grab endgültig angelegt ist, ein Grabstein darauf steht und eine rote Kerze brennt. Mit sich selbst habe er den Vertrag geschlossen, Jennifer niemals zu vergessen, aber sich nicht in der Trauer zu vergraben. „Es ist doch alles eine große Scheiße, aber es ist eine Scheiße, die man nicht ändern kann“, sagte er zu mir. „Warum soll ich jetzt ein Leben lang innerlich Schwarz tragen, da gehe ich kaputt dran.“
Der Pfarrer habe ihm dazu geraten, vorwärts zu blicken und er wolle es versuchen. Keine so schlechte Idee, wie ich finde.
Bei uns im Haus wurden bei der Trauerfeier 288 Personen gezählt. Zwei größere Gruppen und zahlreiche Einzelpersonen haben sich gleich zum Friedhof begeben, weil sie sich die Trauerfeier nicht antun wollten. Auf dem Friedhof zählten wir 381 Personen, wobei eine andere Zählung 423 ergeben hat. (Ist schwierig bei der Menge, mehreren Eingängen und vermutlich zwei Dutzend Unbeteiligter „Zuschauer“.)
Der ergreifendste Moment war, als der Sarg abgelassen wurde. Ohne Absprache fing ein etwa 19jähriges Mädchen an „Amazing Grace“ zu singen. Eine wunderschöne Stimme, die die Töne schön lang halten konnte. Mir ist es eiskalt den Rücken runtergelaufen und selbst jetzt beim Schreiben bekomme ich noch eine Gänsehaut. Wieviel Wasser können rund 400 Leute weinen?
Ich glaube es war eine gute Idee, für die nächsten Angehörigen Stühle aufzustellen, spätestens bei „Amazing Grace“ wären mir sonst einige in die Knie gegangen.
Viele von Euch haben geschrieben, wie toll sie es finden, dass wir so einen Aufwand treiben. In der Summe erscheint das vielleicht als viel Aufwand, aber für uns hatte das eher etwas mit der für eine private Bestattung doch recht großen Zahl an Trauergästen zu tun. Ansonsten gilt bei Trauerfeiern in unserem Haus, daß die Trauergäste und nicht zuletzt auch die Verstorbenen als unsere Gäste betrachtet werden und wir alles tun, damit es denen so ergeht, wie man es erwarten darf. Wir finden da auch nichts Besonderes dabei und deshalb stellen wir für viele Dinge, die Euch evtl. erstaunen, auch gar nichts in Rechnung.
Die Beerdigung von Jennifer wird teuer. Das ist gar keine Frage. Aber das liegt in erster Linie an den Transportkosten, dem Wunsch nach einem besonderen Sarg und der Kühlung, sowie der Einbalsamierung. Die Benutzung unserer Trauerhalle ist extrem günstig. Wir liegen da unterhalb der städtischen Gebühren, damit es sich für die Familien auch lohnt. Wenn wir dann noch wesentlich mehr bieten, ist das erst recht ein Argument, zu uns zu kommen.
Mit Genehmigung der Angehörigen und bei entsprechender Anonymisierung kann ich nächste Tage die Rechnung hier posten. Ich muss nur noch die Kostenaufstellung aus Norwegen abwarten.
Jetzt bin ich „fix und foxy“, der Tag war sehr anstrengend. Neben der großen Beerdigung ging ja das Tagesgeschäft weiter. Jetzt ist es gleich 21 Uhr und ich geh hoch in die Wohnung, mache mir nen Gin-Tonic und werde heute mal ne Pfeife rauchen.
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Schlagwörter: norwegen
na dann glückwunsch das alles so gut gelaufen ist
ich glaube ich wäre eher der typ der erstmal innerlich daran kaputt und das nicht zu knapp
uhi, uhi… bei dem "Amazing Grace" musste ich beim lesen erstmal heulen… Uff.
@Tobias: das ging nicht nur Dir so.
Gratulation! Es Ist erstaunlich das es bei Eurem Job der so viel Stress mit sich bringt, soviel Einfühlungsvermögen gibt. Es ist nur zu bewundern mit welchem Einsatz Ihr für die Wünsche und Bedürfnisse der Hinterbliebenen da seid.Das kann man gar nicht mit Geld bezahlen.
Wäre ich jetzt in Ihrer Nähe – ich würde den Gin Tonic tauschen mit einem edlen, leicht rauchigen Single Malt. Einer, der gut zum Tabak passt, der sich ganz ruhig in den Gaumen legt und ganz leise flüstert…
@Orchidee: Was fluestert der denn? "All your liver are belong to us"? 🙂
@Wasabi
Nicht doch. Es wäre ein mildes, liebevolles und dankbares flüstern. Kein scharfer, grüner Rättich…
@thomas / banger:
mir liefen da auch ein paar traenen runter.
hat mich an die trauerfeier fuer meinen cousin (21 – tod bei dem seilbahnbrand in Oesterreich) erinnert.
@Bestatterblog-Schreiber:
es tut gut irgendwie ueber sowas zu lesen. danke.
Dann war ich ja doch nicht der einzige den es bei "Amazing Grace" erwischt hat.
Nicht dass ich indiskret werden möchte…aber ich frage mich gerade, wie ihr so als Familie mit Tagen wie diesem umgeht. Wie ist das z.B. für eure Kinder, die ja doch stärker mit Trauerfällen in Berührung kommen als das sonst so der Fall ist? Es beeindruckt mich, dass ihr so "gastfreundlich" sein könnt – aber bestimmt gehört auch einiges dazu, dann wieder eine Grenze zwischen Beruf und Privatem zu ziehen. Büro und Wohnung sind doch im selben Gebäude, oder habe ich trotz eifrigen Bloglesens was verwechselt?
Noch eine indiskrete Anschlußfrage: Hast du schonmal die Bestattung von Verwandten oder engen Bekannten übernommen? Ist das dann irgendwie "anders"?
@Franzi: der (Ex-)Mann meiner Freundin ist ebenfalls Bestatter und deren Kinder gingen damit immer sehr "normal" um. Sie sind damit aufgewachsen und sind mit dem Tod (ihnen fremder Menschen) sehr natürlich und unbefangen umgegangen.
Ich habe eine der Töchter, als sie ca. 10 war, mal gefragt, was sie werden möchte und wie aus der Pistole geschossen kam "Bestatterin" zur Antwort.
Na ja, heute ist sie 20 und hat einen anderen Weg eingeschlagen! 😉
"Wir finden da auch nichts Besonderes dabei und deshalb stellen wir für viele Dinge, die Euch evtl. erstaunen, auch gar nichts in Rechnung."
Das machen wir aus Barmherzigkeit und legen gerne auch noch was von unserem privaten Geld dazu. -Das hast du noch vergessen.
Ich hatte auch Tränen in den Augen, als ich Amazing grace las. Ein wunderschönes Lied. Und sehr ergreifend. Ich hab einen Kloß im Hals. Es ist wunderbar zu lesen, dass alles so reibungslos geklappt hat!
@Henry: Ja klar, wir machen das sowieso nur aus Barmherzigkeit.
Aber mal Spaß beiseite: Natürlich sind wir, und darauf habe ich oft genug auch hier hingewiesen, ein kaufmännisch orientierter Dienstleistungsbetrieb, der in erster Linie Geld verdienen will. Aber es ist schon immer ein gutes Marketinginstrument gewesen, bestimmte Dienste oder Waren zu besonders guten Preisen anzubieten, um Kunden zu gewinnen. Bei der Preisgestaltung für Waren hat das aber seine Grenzen. Anders sieht das bei Dienstleistungen aus, die wir nebenher erbringen. Hier haben wir ein nahezu unerschöpfliches Potential, mehr zu bieten -und das zu niedrigen Preisen oder gar ohne es zu berechnen- als die Konkurrenz.
Ich lese hier schon länger mit – aber dieses war auch bei mir der erste Beitrag, der mich weinen ließ. Aus deinem Eintrag meine zu erahnen, dass die Verstorbene noch verhältnismäßig jung war (so viele Menschen, Freund, Eltern noch lebend). Und ja, mir liefen an der Stelle mit Amazing Grace die Tränen. Schön, wenn es Menschen wie dieses Mädchen gibt, die ein Gespür für sowas haben.
Gruß,
Sommerwolke
Ich habe die Geschichte mitverfolgt, auch wenn ich eher die stille Leserin bin. Vor ein paar Tagen erst haben wir einen 21jährigen Kollegen beerdigt – wir, die wir im Rettungsdienst eigentlich permanent mit Tod und Leid zu tun haben. Es war unendlich schwer – und unendlich berührend. Und ich mußte beim Lesen Deiner Geschichte wieder daran denken…
Sehr berührende Geschichte, wunderbar beschrieben!
Ich habe diesen Text nun drei Mal gelesen und finde diese Stelle mit dem "Amazing Grace" Song sehr eindringlich, um es mal vorsichtig auszudrücken.
Die ganze Geschichte tut mir für den jungen Mann sehr leid. Ich finde seine Einstellung richtig,sich nicht hängen zu lassen.
Die schwere Phase wird aber erst in einigen Wochen kommen wenn der Alltag wieder einkehrt. Nach dem Tod meiner Freundin vor 3 Monaten wird das Ertragen täglich schwerer,nicht leichter.
[…] Sarge lag 5. Henning 6. Olugulade (gekürzt) 7. Auch Biker können weinen 8. Es ist kalt 9. Tod in Norwegen 10. Tommy 11. Eine unheimliche Besucherin 12. Der dreifache Hundesohn 13. Sabrina und Thorsten 14. […]
Hallo,
der Beitrag ist sehr traurig!! Sehr schade, dass es so etwas passiert..
Ich möchte gerne wissen, wie hoch ist die Rechnung, die aus Norwegen kamm?