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1, 2, 3, meins…

orgel

Die allermeisten Menschen, die ich berate, sind einfach nur dankbar. Es kennt sich doch keiner aus in unserem Gewerbe und einer der Sätze, die am häufigsten höre lautet: „Ach, da hätten wir jetzt gar nicht dran gedacht, wir kennen uns ja nicht aus.“

Aber immer wieder mal stößt man auf jemanden, der schon mal einen Hamster beerdigt hat oder der als Kleinkind in die Beerdigung seiner Uroma involviert war, etwa indem er beim Kaffeetrinken dabei war, und der sich total auskennt. Dazu gehören auch die Leute, die ihre Informationen über das Bestattungsgewerbe aus den für ihre Sachlichkeit bekannten Boulevard-Magazinen der Privatsender beziehen.

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Ich bitte die Familie in einen unserer Beratungsräume und weil es vier Personen sind, nehme ich den größeren und ernte schon dafür eine Bemerkung der Wortführerin. Opa Meinhard ist da, dessen Frau auch, aber die liegt schon in unserem Keller und ist die Ruhigste von allen, sein Sohn Albert und seine Tochter Regine Gröhler mit Schwiegersohn Albin.
Opa Ferdinand Meinhard ist mindestens Achtzig, war mal Rechtsanwalt, aber das muß zu Zeiten gewesen sein, als die Gesetze noch von israelitischen Volksführern auf Steintafeln von Bergen geholt wurden. Der Opa hört so gut wie nichts, scheint etwas debil zu sein und fängt sofort an, die bereitstehenden Kugelschreiber der Reihe nach auseinander zu schrauben.
Sohn Albert gibt sich als Orthopäde zu erkennen und muß heute noch in die Klinik. Diesem Wunsch verleiht er während des weiteren Gesprächs unablässig Ausdruck, was ich hier der Verständlichkeit halber weglasse. Wer mag, streue selbst nach jedem zweiten Satz ein hektisches Auf-die-Uhr-Gucken und die Aussage: „So, ich müsste dann gleich in die Klinik“ ein.

Der Schwiegersohn, Albin Gröhler, ist eigentlich Lehrer (Sekundarstufe II), arbeitet aber heute, wie er mir in blumenreichen Worten schildert, als Leiter des Projektes „Blumenschein“ als Streetworker.
Ich bin ja noch vom alten Schlag und habe lange Zeit gedacht, ein Streetworker habe eine orangefarbene Warnweste an und benutze Besen und Schaufel… Aber das weiß ich natürlich inzwischen viel besser und bin entsprechend beeindruckt.
Die Wortführerin ist Regine, seine Frau und Opa Meinhards Tochter.

Von ihr ernte ich also den Kommentar zum Beratungszimmer: „Das ist ja kühl hier!“
Unwillkürlich fasse ich dienstbeflissen an den Heizkörper und stelle fest, daß der heiß ist. Das sieht Regine und kommentiert das: „Aber bitte, ja? Ich meine selbstverständlich die Atmosphäre hier.“

Ich schaue mich um und kann nichts Ungewöhnliches entdecken. Der Raum ist mit Konferenzmöbeln ausgestattet, office-grey herrscht vor, aber wir haben schon ein paar Grünplanzen aufgestellt und schöne Bilder an die Wand gehängt.

„Sehr ungemütlich, das muß ich schon sagen“, kommentiert Frau Gröhler weiter und normalerweise hätte ich am Liebsten gesagt: Friß, oder stirb!
Doch was mache ich? Ich bin so doof und biete an, nach nebenan zu gehen und das Einzige, was den sofortigen Umzug ins andere Beratungszimmer hemmt, sind die vielen Kugelschreiber-Einzelteile, die Opa Meinhard gerne mitnehmen will.

Der andere Raum ist eher wie ein Herrensalon ausgestattet, Teppiche, Holztäfelung, Ledergarnitur. Sehr gediegen, Generationen alt, aber auch etwas unpraktisch.
Man nimmt Platz, Regine Gröhler schaut sich um, nickt ihrem Albin wissend zu und ich höre, wie sie leise zu ihm sagt: „Jetzt sollen wir in Kaufstimmung gebracht werden!“

Zuerst frage ich die Personalien der Verstorbenen ab, die wir bereits in der Nacht aus dem Haus der Meinhards abgeholt haben, wo sie wohl mit ihrem Mann und dem Ehepaar Gröhler gelebt hat. Dann komme ich zu den Daten des Auftraggebers. Mir ist das immer ziemlich egal, wie die Familie das intern mit dem Bezahlen regelt, ich will einen Auftraggeber, der in den nächsten Tagen als fester Ansprechpartner, auch für die Behörden, fungiert und der am Ende auch die Rechnung bezahlt. Auf irgendwelche Erbengemeinschaften oder Mehrpersonenrechnungen lasse ich mich nicht ein, da habe ich beim Geldeintreiben sehr schlechte Erfahrungen gemacht.

Ich frage, wer der Auftraggeber ist, die Gröhler sagt: „Ich natürlich!“
So frage ich ihre Daten ab und notiere das.
Die Gröhler sagt: „Aber bitte, ja? Moment mal! Soll das heißen, daß ich dann für alle geradestehen muß? Dann nehmen Sie bitte meinen Bruder, der hat eine sehr gute Rechtschutzversicherung.“

Albert, der Sohn, nickt und ich ändere die Angaben auf meinem Formular. Ich ahne es schon. Die Leute sind in der Überzeugung zu mir gekommen, sie würden hier betrogen, belogen und abgezockt. Umso mehr Mühe gebe ich mir bei den anschließenden Fragen, um ja immer deren Wünsche zu berücksichtigen und keinesfalls den Eindruck zu erwecken, ich wolle ihnen etwas aufschwatzen.

Schon bei der Frage ob es ein Reihengrab oder Familiengrab werden soll, kommt es zu erneuten Problemen. Es ist ja so, daß Opa Meinhard mit Sicherheit auch nicht mehr ewig leben wird und deshalb ist der Gedanke an ein Mehrpersonengrab ja sehr naheliegend. Dann kann er eines Tages neben seiner Frau liegen.

„Und was kostet das?“

Ich schaue in die Liste und nenne die Summe.

„Aber bitte, ja? Das kommt ja mal gar nicht in Frage! Ich habe mich erkundigt und weiß, daß es auch viel billigere Gräber gibt. Das geht schon bei 320 Euro los!“
Sie schaut sich triumphierend um und erntet anerkennende Blicke von Albin und Albert. Opa Meinhard interessiert das Ganze nicht, er bastelt derweil aus meinen Kugelschreibern einen geostationären Satelliten.

„Nein“, sage ich, „für 320 Euro bekommen Sie ein anonymes Urnengrab auf dem Gemeinschaftsfeld.“

„Sehen Sie, das meine ich!“

„Was meinen Sie?“

„Daß Sie uns zuerst das Teure empfehlen, aber das Günstige verschweigen.“

Ich drehe die Liste mit den Grabpreisen zu ihr um: „Bitte, Sie können ja selbst schauen und dann auswählen.“

„Das brauche ich nicht, wir nehmen selbstverständlich ein Familiengrab.“

„Also das, was ich Ihnen auch empfohlen habe, nicht wahr?“

„Nein, das hatte ich mir schon vorher überlegt. Ich komme ja nicht unvorbereitet hierher.“

Wir kommen zu der Frage, wo die Trauerfeier stattfinden soll. Die Familie hat die Wahl, die Trauerhalle auf dem Friedhof zu buchen, was 320 Euro kostet oder die Trauerhalle in unserem Haus zu nutzen, was auf 270 Euro käme.

„Sie brauchen mir gar nicht mit den Preisen zu kommen. Wir nehmen die Halle auf dem Friedhof.“

„Aber Sie wissen schon, daß die wesentlich teurer ist?“

„Das sind doch nur Lockvogelangebote.“

Na gut, ich notiere die Trauerhalle auf dem Friedhof.

Im Ausstellungsraum geht es genau im gleichen Stil weiter.

„Eiche? Na hören Sie mal, das ist doch bekannt, daß Bestatter einem immer Eiche verkaufen wollen. Wir möchten aber keine Eiche.“

Sie hat sich noch keinen einzigen Preis angeschaut, lehnt den Eichensarg für 1.100 Euro ab und wendet sich einer Kuppeltruhe in Kirschbaumfurnier zu. „Was ist denn mit der hier?“

Ich sage irgendetwas Unverbindliches, im Sinne von: „Der ist auch sehr gut.“

Frau Gröhler grinst überlegen und befielt: „Na, dann schreiben Sie den mal auf.“

Ich notiere: „Kirschbaum-Kuppeltruhe 1.870 Euro.“
„Da ist die Innenausstattung schon dabei“, erwähne ich, denn dieser Sarg wird vom Hersteller schon fertig ausgeschlagen geliefert, weil auch der Deckel von innen mit weißem Satin ausgeschlagen ist.

„Das geht ja gar nicht!“ protestiert die Gröhler, „Wir lassen uns doch nicht bevormunden. Wir wollen alles in Weiß. Notieren Sie das bitte!“

Nun, die Ausstattung wäre ja sowieso in Weiß gewesen, ich tue so, als ob ich was aufschreibe und sie ist einmal mehr davon überzeugt, daß sie mir ein Schnippchen geschlagen hat.

Nachdem wir alles ausgesucht haben, geht es zurück ins Beratungszimmer, Opa Meinhard freut sich, daß er wieder mit den Kugelschreibern basteln darf und entdeckt zu seinem größten Entzücken auf meinem Schreibtisch so einen Magnetbecher mit Büroklammern. Den holt er sich und beginnt, eine lange Kette aus den Klammern zu basteln.

Im Grunde läuft die Beratung optimal für mich. Ich kann vorschlagen was ich will, die Gröhler lehnt das als Halsabschneiderei ab und wählt etwas Teureres. Eigentlich könnte ich ja ganz zufrieden sein, doch dann kommt es zum Zusammenrechnen der voraussichtlichen Endsumme.

Sie zückt einen Zettel und will von mir wissen: „Geben Sie mir mal die Kontonummer ihrer Treuhandfirma!“

„Unserer was?“

„Na der Treuhandfirma.“

„Und was bitte soll das sein?“

„Na hören Sie mal, haben Sie noch nie was bei Ebay ersteigert? Da kann man den Kaufbetrag auch erst mal auf ein Treuhandkonto überweisen und der Verkäufer bekommt sein Geld nur dann, wenn alles in Ordnung war.“

„Sie bestellen bei mir aber eine Bestattung und ersteigern nichts bei Ebay.“

„Na wenn das schon bei Ebay geht, dann geht das auch bei Ihnen, ich habe mich erkundigt, Bestattungshäuser haben immer ein Treuhandkonto.“

„Wir haben auch ein Treuhandkonto, aber auf das werden Beträge für Bestattungsvorsorgen eingezahlt und dort verwahrt, bis die Vorsorgekunden eines Tages sterben.“

„So? Und das wollten Sie mir nicht gleich sagen, nicht wahr?“

„Das habe ich Ihnen nicht gesagt, weil wir hier nicht über eine Vorsorge, sondern über einen aktuellen Auftrag sprechen.“

„Ich möchte den Betrag jetzt sofort überweisen und zwar auf das unabhängige Treuhandkonto damit Sie nicht an das Geld kommen.“

Opa Meinhard meldet sich zu Wort: „Zweimal ist das Geld schon kaputtgegangen und der Euro ist vom Teufel.“

Normalerweise läuft das ja so: Wenn alles herum ist, bekommt der Auftraggeber von uns eine Rechnung und die überweist er dann. Das ist doch noch viel besser, als irgendein Treuhandkonto, denn im Zweifelsfall überweist der Kunde gar nichts, nur einen Teil oder manche fangen auch, ohne das abzusprechen, einfach mit einer Ratenzahlung an.

„Kommt ja gar nicht in Frage!“ tönt Frau Gröhler, „Was bei Ebay geht, ist Vorschrift, das ist Gesetz und anders will ich das nicht.“

„Wir haben mit Ebay nichts zu tun. Bei uns ist das anders.“

„Und wie stellen Sie sich das vor?“

Da ich schon ahne, daß die mir Schwierigkeiten machen wird, erwähne ich gar nicht, daß man eine Rechnung bekommt, die man später bezahlt, sondern sage: „Sie überweisen mir den Betrag sogleich.“

Ich weiß ja nicht, was in ihrem Kopf so vor sich geht, aber sie ist ganz begeistert: „Das ist ja noch viel besser, da kann ich den Betrag ja jederzeit zurückbuchen lassen. Gut, ich mache das gleich heute Nachmittag online.“

Wenn sie meint…

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

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(©si)