Frag doch den Undertaker

Nackt! Panik! Herzrasen!

Eine junge Frau hat panische Angst davor, dass jemand anders sie nackt sehen könnte.

Während sie das im Alltag verhindern kann, geht ihre Angst aber so weit, dass sie sich immer wieder Gedanken darüber macht, was mit ihr mach ihrem Tod geschieht. Was passiert, wenn sie die Kontrolle nicht mehr ausüben kann, wenn Fremde über ihren Körper bestimmen?
Das treibt diese Frau so um, dass ihre Gedanken ständig um dieses Thema kreisen. Die Dame hat mir mehrfach geschrieben und immer mehr detaillierte Informationen erbeten. Ich bin in vielen Mails geduldig darauf eingegangen und habe auch einen Blogpost dazu veröffentlicht.
Doch meine Mails und die erhaltenen Informationen reichen nicht aus. Ich muss erkennen, dass es sich hier vermutlich um ein psychisches Problem handelt, dem durch Argumente und Information nicht beizukommen ist.

Ich habe immer noch ganz massive Panikattacken mit Herzrasen, Alpträumen, Appetitlosigkeit+starkem Gewichtsverlust und Depressionen, sodass meine Ärztin meinte, sie hat Angst, dass ich ernsthaft krank werden könnte. Hier ist ein Teil des Posts, zudem ich einige Fragen habe:

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„Natürlich kannst du bei deinem Bestatter eine Bestattungsvorsorge abschließen und deine Wünsche ganz exakt zu Protokoll geben. Selbstverständlich darf man da auch verfügen, dass man auf jeden Fall bekleidet bleiben möchte. Es wird einigen Aufwand für den Bestatter bedeuten, aber das kann er ja dementsprechend berechnen. Dann kann er ggf. auch bei der evtl. notwendigen 2. Leichenschau dabei sein und mithelfen, den Anstand zu wahren. Da ist in Absprache mit dem untersuchenden Arzt ganz sicher was möglich. Mit deiner Ärztin und ihrem Vertreter kannst du das bequem absprechen. Sei offen und schildere deine Gedanken. Man wird dir zuhören.“

Ich habe mit meiner Hausärztin darüber gesprochen und sie meinte, dass sie ihre Leute bis jetzt immer alle ganz ausgezogen hat, aus Angst, sich strafbar zu machen und, dass sie noch nie gehört hat, dass jemand seine Leichenschau in Unterwäsche haben wollte und rein gar nichts dazu weiß. Darf ich wirklich bei meiner Leichenschau bekleidet bleiben, oder ist eine Leichenschau in Unterwäsche strafbar? Ist bei 1 Leichenschau 1 Bestatter immer mit dabei? Wenn ich meine Leichenschau in Unterwäsche verfüge, muss man sich dann zwingend daran halten, oder ist das von der Todesursache abhängig? Meine Hausärztin meinte auch, man weiß ja auch nicht, wann und wo man stirbt. Wenn ich das mit ihr absprechen kann, darf sie meine Leichenschau auch machen, wenn ich im Krankenhaus sterbe? Muss ich das verfügen? Wie schreibe ich das? Für eine schnelle persönliche Antwort von Ihnen, auch aufgrund meines Gesundheitszustandes wäre ich unendlich froh und wahnsinnig dankbar.

Wenn es wirklich möglich ist, bei meiner Leichenschau bekleidet zu bleiben, darf meine Unterwäsche auch aus einem langen Unterhemd und einem Slip bestehen? Ich bin nämlich durch meinen Autismus so verklemmt, dass ich total verstört und verängstigt reagiere, wenn meine Hausärztin nur meinen Bauch sehen will. Gibt es bei Autismus eigentlich auch ein Attest für eine Leichenschau in Unterwäsche, das mich zusätzlich zu einer Verfügung absichert? Ich habe eine unbändige Panik, dass eine Verfügung allein nicht ausreicht, um die Leichenschau in Unterwäsche zu machen, vor Allem durch die Aussage meiner Hausärztin.

Schau, ich habe Dir x-mal per Mail und auch schon hier im Blog geschrieben. Deinen Klarnamen hast Du ja bereits in Deinen Kommentaren offengelegt.
Ich habe Dir mit sehr viel Empathie geantwortet und nehme Dein Anliegen wirklich ernst.

Aber irgendwann ist ein Punkt erreicht, an dem auch Empathie und Einfühlungsvermögen nicht mehr ausreichen. Dieser Punkt ist jetzt und hier erreicht. Ich kann nur ausdrücklich der Empfehlung Deiner Ärztin folgen und Dir den Rat geben, Dir professionelle Hilfe eines Facharztes zu suchen. Im Grunde liegt das Problem nämlich da, dass Du sicherstellen willst, dass ein großer Apparat sich Deinen Vorstellungen gemäß anders verhält. Ziel einer professionellen Herangehensweise sollte es aber sein, Dich dahin zu bringen, dass Du Dich ohne Probleme in diesem eng umrissenen Einzelfall den Vorstellungen dieses Gesamtapparates stellen kann.

Dein Anliegen ist, dass Du sicherstellen willst, dass Dich nach Deinem Tod niemand nackt sieht. Wie Du das auch angesichts vieler Unwägbarkeiten eventuell erreichen kannst, habe ich Dir geduldig und haarklein schon geschrieben.

Ich spreche absichtlich die Unwägbarkeiten an. Unwägbarkeiten sind Umstände, die sich auch in völlig unerwartete Richtungen verändern können und die auch bei sorgfältigster Planung nicht auszuschließen sind.
Vergleiche das mal mit einem 100 Liter-Kübel Wasser, den jemand in einem Wohnzimmer ausgießt. Er kann viel tun, um das Ausgießen so oder so zu gestalten, beispielsweise indem er eine Tülle anbringt. Aber er wird nicht voraussagen können, an welcher Stelle das Wasser eine Etage tiefer durch die Decke kommt. Es könnte eine Lehm-Stroh-Decke sein, die sich vollsaugt und unten kommt fast nichts heraus. Das Wasser könnte in ein Leerrohr laufen und nur aus einer einzigen Steckdose herauskommen. Es könnte sich aber auch unter dem Fußboden nach links, nach rechts oder in beide Richtungen bewegen. Es ist unwägbar, das ist eine Imponderabilie, eine Unwägbarkeit, etwas, das nicht leicht vorhersagbar ist.

Genauso verhält es sich mit dem Umfeld, in dem Deine Angst eine Rolle spielt.
Es kann niemand wissen, wann, wo und wie Du eines Tages sterben wirst. Das kann ein Unfall in einer fremden Stadt sein, das kann eine plötzliche Erkrankung sein und sogar ein Verbrechen wäre möglich.
Zur Leichenschau könnte Deine Hausärztin erscheinen, zur Todesfeststellung kann auch ein Notarzt von irgendeinem Krankenhaus oder Rettungsdienst kommen. Es könnte auch ein niedergelassener Augenarzt kommen, der gerade Bereitschaftsdienst macht.
Außerdem geht es gar nicht nur um die Leichenschau. Selbst wenn Du nur ohnmächtig wirst, kommt ein Rettungswagen, die Rettungssanitäter machen Deinen Oberkörper frei und kleben Kontakte für das EKG auf Deine Brust.
Ein völlig Fremder könnte Dich vorfinden und lebensrettende Erstmaßnahmen durchführen und öffnet dazu Dein Oberteil, um auch ja die richtige Stelle für eine Herzdruckmassage zu finden.
Selbst ein Bruch der Schulter könnte von den Rettern so versorgt werden, dass Teile der Oberbekleidung zerschnitten und abgenommen werden.

Und selbst, wenn man bei all den oben beschriebenen Maßnahmen irgendwie durchkommen könnte, ohne entkleidet worden zu sein, könnte ein Staatsanwalt immer noch eine Obduktion anordnen lassen, und dabei ist jeder Obduzierte nackt.

Deine Ärztin hat auch vollkommen recht. Eine ordentliche Leichenschau kann nur vorgenommen werden, wenn der Leichnam komplett entkleidet und von allen Seiten ordentlich untersucht worden ist.

Ja und dann kann es sein, dass Du eingeäschert wirst. Und im Krematorium findet die letzte Leichenschau statt, bei der jeder entkleidet wird.

Ich zeige mich auch nicht gerne nackt, und wenn ich das mal wollen würde, wollen die anderen das nicht…

Aber Menschen werden mit nichts als ihrer Haut geboren. Der nackte Mensch ist vollkommen natürlich. Unsere heutigen Schamvorstellungen schränken die Nacktheit im Alltag und in der Öffentlichkeit ein. Aber es gibt Situationen, in denen die Nacktheit auch heute als völlig normal angesehen wird. Eine richtige Untersuchung beim Arzt gehört beispielsweise dazu. Zum Beispiel beim regelmäßigen Hautkrebs-Screening muss der Arzt zwingend den gesamten Körper auch im Bereich der Genitalien und Brüste komplett und sorgfältig betrachten. Auch eine Mammographie kann ohne nackte Brüste nicht funktionieren. Und vom Urologen, Proktologen und Gynäkologen will ich gar nicht erst anfangen.

Das alles in seiner Gesamtheit ist der große Apparat, von dem ich oben gesprochen habe. Du musst einsehen, dass es so viele Beteiligte, so viele Situationen und so viele Unwägbarkeiten gibt, dass es tatsächlich und unabwendbar unmöglich ist, auszuschließen, dass man nach seinem Tod nackt gesehen wird.

Ich habe ganz viel Sympathie und Verständnis für Dich. Nacktheit ist für viele Menschen ein besonderes Thema. Während manche überhaupt kein Problem damit haben, sich nackt zu zeigen, haben andere da große Vorbehalte.
Dass man sich nackt zeigen muss oder dass andere einen auch mal nackt sehen müssen, ist aber ein normaler Vorgang, der oft nicht zu umgehen ist. Du solltest daran arbeiten, mit dieser Vorstellung klarzukommen. Ich empfehle Dir, mit Deiner Ärztin darüber zu sprechen, welche Hilfe Dir geboten werden kann, um durch vielleicht therapeutische Maßnahmen einen etwas entspannteren Umgang zu erarbeiten.

Bildquellen:
  • nackte-menschen-pixabay: Bild von Saulius Rozanas auf Pixabay


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Ich erteile Auskünfte ausschließlich aufgrund meiner Erfahrung und erbringe keine Rechts-, Steuer- und Medizinberatung.

Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 16. Juli 2022 | Revision: 5. April 2024

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turtle of doom
2 Jahre zuvor

„…könnte ein Staatsanwalt immer noch eine Obduktion anordnen lassen, und dabei ist jeder nackt.“

Ich fürchte den Tod nicht, aber auf den Anblick eines nackten Staatsanwaltes bin ich nicht vorbereitet…

Nobody
Reply to  turtle of doom
2 Jahre zuvor

Oh shit, das Kopfkino wird mich noch ne Weile Beschäftigen 😀

Ich finde im übrigen das es viel wichtiger ist das derjenige würdevoll und professionell damit umgeht. Und ich vertrete ganz klar den Gedanken, wenn ich erst tot bin, dann juckt es mich vermutlich nicht mehr… viel wichtiger ist mir das ich vor meinem Tod das Gefühl habe das alles mir wichtige getan ist. Aber das liegt hoffentlich noch in weiter Ferne…

Gina
Reply to  turtle of doom
2 Jahre zuvor

Und im Krematorium sind sie scheinbar auch alle nackt bzw, werden entkleidet. Das wusste ich auch nicht, hab jetzt auch ein wenig Angst.




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