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Alufolie

orgel

Frau Eisenbichler war wieder da.
Frau Eisenbichler wohnt in der Nachbarschaft und hatte sich vor Jahren mal bei uns erkundigt, ob wir nicht die eine oder andere Arbeit für sie hätten, ihre kleine Rente treibe sie in den Erwerbsprozess zurück.
So kam es, daß die sehr seriös wirkende Dame mit dem eleganten grauen Stufenhaarschnitt für uns Kondolenzbücher ausgelegt hat, Trauerhallen dekorierte und Angehörige bei Aufbahrungen auf den Friedhöfen begleitete. Alles immer sehr souverän und würdevoll.

Bis eines Tages…

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Ja, bis eines Tages Frau Eisenbichlers beste Freundin Trudhilde Fickler (keine Erfindung, die hieß wirklich so ähnlich) sich einer Tempelsekte angeschlossen hat. Es sei das eine esoterische Loge, die die Weisheit nicht nur mit Löffeln gefressen, sondern zum Wohle der Menschheit quasi wieder ausgeschissen habe.
Der feinstoffliche Bereich spielte forthin auch in den Überlegungen und Reden der Frau Eisenbichler eine entscheidende Rolle und immer dann, wenn sie mit ihren Überzeugungsversuchen in einer argumentativen Sackgasse landete, musste der feinstoffliche Bereich als Pseudo-Erklärung her halten.
Davon verstünden wir nichts, das sei eben feinstofflich und wir seien eben grobstofflich veranlagte Wesen, die noch auf Ewigkeit auf das Rad von Geburt und Wiedergeburt geflochten seien.

Trudhilde Fickler ist inzwischen in dieser Loge sogar zur Türwächterin aufgestiegen, was nichts mit dem gemeinen Türsteher vor Diskotheken zu tun hat, sondern eine sehr weihevolle Aufgabe bei der Ausübung der allwöchentlichen Zeremonien sein soll.
Und als solche Türwächertin obliegt es Frau Fickler auch, ihre Freundin Eisenbichler und alle Menschen, die mit Frau Eisenbichler zu tun haben, in gewisser Weise zu observieren.
Vermutlich soll sie überwachen, ob die Eisenbichlerin auch wirklich streng nach den Regeln der Loge lebt, also kein Fleisch mehr isst, ihre Mikrowelle und den Fernseher entsorgt hat und nur noch Osmosewasser trinkt.
Außerdem soll sie sich von den bösen Einflüssen der im Grobstofflichen Verharrenden fern halten.

Alles gut und schön, meinetwegen können die sich ja auch Frikadellen ans Knie nageln, so lange ich dafür nichts bezahlen muss und die von mir nicht verlangen, daß ich das auch mache.
Aber wir bekommen Beschwerden.
Frau Eisenbichler hat Reklametraktate in die Kondolenzbücher gelegt und versucht auf Beerdigungen die Leute zu ihren Logensitzungen einzuladen.

Das geht nicht.
Das möchte ich nicht.
Aber das kann Frau Eisenbichler nicht verstehen.
Hinzu kommt, daß Frau Eisenbichler in diesen zwei Jahren, seit sie zu der Loge gehört, komisch geworden ist. Sie ist fahrig, unkonzentriert und auch körperlich hat sie sich verändert. Sie geht verdreht und gekrümmt und ihr Arzt hat Osteoporose diagnostiziert. Dem glaubt sie aber nicht mehr, sondern geht zu einer Heilbeterin in den Schwarzwald.
Das heißt, sie geht da nicht wirklich hin, sondern sendet Fotos von sich ein und bekommt dann einen durch Pendeln ermittelten Heilvorschlag, der auf der Verwendung von Tropfen aus dem Bereich der Bachblüten basiert.
Chemie kommt in sie nicht mehr rein.
Ich meine ja, daß der dauernde Genuss von destilliertem und Osmosewasser dem Körper wichtige Mineralien entziehen kann und ihre Körperverkrümmung eventuell ja auch da herrühren könne.
Aber von so etwas will Frau Eisenbichler nichts wissen, sondern legt sich neuerdings Alufolie in ihre mittelbraune Strickmütze, weil wir ja alles Handys und Computer haben und die sie Strahlung 10 cm neben dem rechten Ohr und 3 cm unterhalb des Kinns spüren kann.

Das Schlimme aber ist, daß Frau Eisenbichler sich seit Monaten einer gewissen körperlichen Reinigung unterzieht, jetzt mal mehr innerlich…
Dazu trinkt sie Unmengen Spargelwasser und einen Sud aus schwedischen Kräutern, der jedes normale Geschäft in ein Großereignis verwandelt. Und wenn sie mal einen Tag nicht geschissen hat, wie eine ganze Herde laktoseintoleranter Kälber, dann fühlt sich Frau Eisenbichler aufgebläht, krank und muß zu uns kommen um uns ihr Leid zu klagen.

Diese Spargel- und Kräuterkur, in Verbindung mit einem gewissen, höhlengereiften Schwarzkäse führt dazu, daß die Frau aus den Poren riecht wie ein Gnorkelfliets. Fürchterlich!
Man könnte auch ein Schollenfilet sechs Wochen in die Sommerhitze legen…

Abgesehen davon, daß die Frau uns allen furchtbar auf die Nerven geht, weil sie in allem und jedem einen Auswuchs der Weltverschwörung sieht und sie ausserdem auch noch missionarisch ist, haben wir Frau Eisenbichler eigentlich alle ganz doll lieb.

Sie war immer eine tolle, nette und zuverlässige Mitarbeiterin.
Aber jetzt?
Mir ist und war es immer schon wichtig, daß jeder seine religiösen oder sonstigen Vorstellungen ausleben kann. Das ist der jeweilige Mensch. Ich biete ihm nur die Arbeit um Mensch sein zu können. Deshalb bin ich der Meinung, daß die Arbeit nicht immer und unbedingt verlangen kann, dass der Mensch sie verbiegt, verleugnet und anpasst.
Aber auch das hat natürlich seine Grenzen, denn die Freiheit des Einzelnen endet immer da, wo die Freiheit des anderen anfängt.

Ich habe x-mal mit ihr gesprochen, doch alle Versuche, da den letzten Funken Vernunft irgendwie zu entflammen, sind im Sande verlaufen.
Ich bekomme irgendwelches Atlantis- oder Pyramidengeschwurbel zur Antwort und dann holt sie eine kleine Phiole mit einer grünlichen Flüssigkeit aus der Manteltasche, tropft davon etwas auf die Handfläche und pustet es dann in alle vier Himmelsrichtungen, wobei sie vermutlich in Altaramäisch rezitiert…
Leider wird sie gehen müssen.

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