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Amerika, ein Land von dem man träumen kann

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Sandy, ja das ist so eine Sache…
Wo gibt es schon eine junge Frau, die Bestatterin aus Leidenschaft ist, ausgeflippt ist wie alle Marx-Brothers auf einmal, hübsch aussieht und dann auch noch eine sehr gute Arbeit abliefert. Die Herren in unserem Haus schließen immer mal wieder Wetten ab, ob nicht der eine oder der andere doch mal bei ihr Erfolg hat, aber Sandy spielt dieses Spielchen nur vor der Hand mit. Sie ist, sagen wir es mal so, multiorientiert und die Typen und Typinnen, die sie so anschleppt verursachen zumindest bei mir immer nur ein so heftiges Kopfschütteln, daß mir der Nacken weh tut.

Am Liebsten würde Sandy ja mich heiraten, vom Fleck weg, auf der Stelle, ohne Wenn und Aber. Das hat sie mehrfach, sehr überzeugend und ernsthaft geäußert. Das wäre doch für alle Beteiligten äußerst praktisch, sie käme auf der Stelle an ein eigenes Bestattungshaus, was ihr Hauptziel ist und ich hätte meine beste Kraft in der Familie.

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Ein Gedanke, der nicht ohne Reiz ist und der mir ehrlich gesagt auch schmeichelt. Doch der Altersunterschied ist mal ein Aspekt und ob meine Ehefrau mit der Rolle einer Nebenfrau zufrieden wäre…
Nein, man muß es ganz klar sagen: Sandy ist eine tolle Frau, aber sie wäre mir ja sowas von zu anstrengend, das kann man gar nicht sagen. Immer in Hektik, immer aufgedreht, ständig am Herumflachsen und schon morgens so voller guter Laune…
Außerdem kann Sandy nicht kochen, nicht putzen und nicht waschen, wäre also im häuslichen Bereich eher aufgeschmissen.
Und überdies ist sie, was Partnerschaften anbetrifft, nicht besonders standhaft.

Wir sind schon vor geraumer Zeit übereingekommen, daß wir uns gegenseitig klasse finden, aber daß es eindeutig bei einer, wenn auch freundschaftlichen, beruflichen Beziehung bleibt. Damit können alle leben und seitdem spricht meine Frau auch wieder mit Sandy.

Um in Sandy eine gute Mitarbeiterin zu haben, muß man als Chef einfach ihre komischen Anwandlungen tolerieren. Anfangs habe ich versucht, sie in unseren Betriebsablauf zu pressen, indem ich auf der Einhaltung der üblichen Regeln bestand. Ich habe aber schnell erkannt, daß sich dieser Wildfang so nicht zähmen läßt und daß ihre Fähigkeiten dann verkümmern.
So hat sie heute mehr Freiräume, kann sich entfalten und siehe da: sie arbeitet erstklassig.

Eines der wenigen Fotos, die es je von Sandy hier im Weblog geben wird, zeigt Sandy bei einer morgendlichen Besprechung in ihrem Büro. Dieses Büro hat sie jetzt seit etwa 9 Monaten, weil sie dann ungestörter ist und vor allem die anderen nicht stört.

Jeden anderen würde ich in den Hintern treten, würde er sich morgens nach Dienstbeginn erst mal noch ein halbes Stündchen auf den Boden legen, um dann auch noch liegen zu bleiben, wenn ich hereinkomme.

Aber warum sollte ich das bei Sandy tun? Kommen Kunden ins Haus, zieht sie sich ein absolut konservatives Kostüm an, bindet sich gern auch mal eine Krawatte um, hat ein tadelloses, sehr höfliches Auftreten und benimmt sich, als habe sie ihre Erziehung in einem strengen Schweizer Internat genossen.
Bei den Kunden ist sie äußerst beliebt und wenn Sie einmal bei den Leuten war, wollen die dann auch immer nur mit ihr sprechen.

Also steht einwandfrei fest, daß ich auf so eine Mitarbeiterin nicht verzichten kann und will.
Auf der anderen Seite weiß ich, daß sie spart wie ein Schwabe, um irgendwann das Geld für ein eigenes Bestattungshaus zusammen zu haben. Im Hintergrund hat sie einen Onkel, der auch noch über entsprechende Mittel verfügt, der aber, anders als ich, nur ihr privates Äußeres und Auftreten sieht und sich gar nicht vorstellen kann, daß sie in der Lage sein könnte, so ein Institut zu führen.
Früher oder später aber wird der Tag kommen, an dem sie sich selbständig macht.

Daß sie jetzt nach Amerika will, hat mich dann aber doch erstaunt. Diesen Entschluß verkündete sie so, als wolle sie nur mal eben zu LIDL oder Schlecker und nicht für viele Jahre nach Übersee.

Und wenn eine so sprunghafte Person einen solchen Entschluß so locker präsentiert, so als ob sie sich gar keine Gedanken darüber gemacht hat, dann muß man das als ernsthafterer Mensch hinterfragen, ja sogar in Frage stellen.

So begann ich das Gespräch mit Sandy mit gemischten Gefühlen. Würde ich ihr von vornherein abraten, könnte es passieren, daß sie in eine Trotzreaktion verfällt, würde ich ihr allerdings zum Schein zuraten, könnte es passieren, daß sie sich zu sehr bestärkt fühlt.

Schwierige Sache!

Ich fragte, ob es am Geld liege, ob sie zu wenig Urlaub bekomme, ob sie mit ihrer Wohnsituation unzufrieden sei und jedes Mal schüttelte sie nur den Kopf. Alles was ich mir ausgemalt hatte, traf nicht zu.
Jägermeister! Jägermeister war bei uns ja ewig lang das Getränk der alten Herren und wird jetzt gerade mit viel Werbeaufwand auch für ein jüngeres Publikum interessant gemacht. Was hierzulande die wenigsten wissen: In den USA ist Jägermeister schon seit Jahren in bestimmten Gegenden DAS Szene-Getränk schlechthin und unsere Sandy liebt Jägermeister!
Und ganz zufällig hatte ich am Nachmittag so ein Fläschchen in Gastronomiegröße besorgt. Alkohol soll ja die Zunge lösen, vielleicht klappt das ja auch bei Sandy.

Und es hat geklappt!
Schließlich konnte ich aus ihr herausbekommen, daß es eine junge Schornsteinfegerin ist, die Schuld an der Misere ist.
In eben jene Kaminkehrerin hat sich Sandy verguckt und eben die ist es, die Sandy überreden will, gemeinsam mit ihr in die USA zu gehen. Ja und ohne ihre Kaminfegerin möchte Sandy nicht mehr sein…

So hat Sandy alte Kontakte spielen lassen und sich nach einem Job in den Staaten umgehört. Auch eine Wohnung konnte sie wohl schnell finden und da sie eine „green card“ hat, kann sie jederzeit wieder in den USA arbeiten, ja schlimmer noch: Sie muß immer mal wieder dort auftauchen, um diese Berechtigung nicht zu verlieren. So genau kenne ich mich nicht aus, aber es scheint so zu sein, daß das Ding ungültig wird, wenn man das Land verlässt und nicht innerhalb einer bestimmten Frist wieder einreist.

Bevor jetzt der Text hier noch viel länger wird: Wir haben uns darauf geeinigt, daß Sandy und ihre Kaminkehrerfreundin im Juni in die Staaten gehen. Dort bleiben sie sechs Wochen und kommen dann wieder zurück.
Es ist nämlich so, daß Sandy die USA kennt, in- und auswendig. Ihr Verhältnis zu dem Land ist sehr ambivalent. Einerseits liebt sie die Weite, die Freiheit, das ganze amerikanische Drumherum und schon deshalb spricht sie immer mal wieder davon, irgendwann dorthin zurückzugehen. Andererseits weiß sie aber auch um die realen Umstände dort. Schlechte Gesundheitsabsicherung, wenig freie Tage und und und… Sie sagte einmal zu mir: „Amerika ist ein Land von dem man träumen kann, aber keins in dem man leben kann.“

Mal redet sie ganz begeistert von den USA, mal schimpft sie ohne Unterlaß.

Also: Jetzt ist erstmal ein sechswöchiger Urlaub angesagt und ich bin mir sicher, daß es Sandy dann sowieso wieder reicht.
Und ob in den USA ausgerechnet deutsche Kaminkehrer gesucht werden, ist sowieso fraglich, behaupte ich jetzt mal.
Überhaupt scheinen mir die Pläne der jungen Schornsteinfegerin etwas unausgegoren und nicht zu Ende gedacht. Es wird wohl so kommen, daß die beiden dort eine schöne Zeit haben werden, aber letztlich ist Sandy bei uns besser aufgehoben. Das sieht sie inzwischen auch so.

Hoffen wir mal das Beste!

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#amerika #kann #land #träumen

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