Frau Rosalita de la Cruz hatte schon x-mal bei uns angerufen und immer hatte mir die Zeit gefehlt, mit ihr zu sprechen, denn sie hatte schon beim ersten Anruf angekündigt, daß es ein längeres Gespräch werden würde.
Eines Morgens war es dann so weit, Frau Büser düdelte wieder auf meinem Apparat durch und diesmal nahm ich das Gespräch an.
Leider stammte Frau de la Cruz aus Brasilien und lebte erst 40 Jahre in Deutschland was natürlich erklärt, daß ich zunächst kein Wort von dem verstand, was sie mir da in einem wahnsinnig schnellen Redefluß alles sagte. Ich brauchte einige Minuten, bis sich mein Sprachzentrum an den Singsang des Gemischs aus Portugiesisch, Deutsch und badisch-kurpfälzischem Dialekt gewöhnt hatte und dann verstand ich in etwa, daß Frau de la Cruz diplomierte Trauerbegleiterin war, die gerne mit uns zusammenarbeiten wollte.
„Oh nein, nicht schon wieder so eine Tante“, schoß es mir durch den Kopf und während die Brasilianerin weiter kauderwelschte dachte ich an die ganze Reihe von Damen und Herren, die sich mit ähnlichem Ansinnen schon an uns gewandt hatten, denen wir anfangs auch immer eine Chance gegeben hatten und mit denen die Zusammenarbeit stets nach kurzer Zeit wieder geendet hatte. Nur die wenigsten Kunden waren bereit, die teilweise doch recht hohen Kosten für eine professionelle Trauerbegleitung zu bezahlen. Das kirchliche Trauer-Café und der Gesprächskreis leidender Angehöriger unter dem Vorsitz einer nüsselschweifähnlichen Matrone reichten den meisten als Hilfsangebot.
Ich weiß nicht, was mich dazu bewogen hat, Frau de la Cruz zu einem Gespräch einzuladen. Vielleicht lag es daran, daß ich so wenig verstanden hatte und ihr die Chance geben wollte, es mir von Angesicht zu Angesicht sagen zu können.
Jedenfalls kam sie am selben Tag nachmittags noch vorbei.
Und „hui“, was für eine tolle Frau! Also wirklich, Frau de la Cruz war sehr charmant, trotz ihrer sicher 60 Jahre sehr gutaussehend und in ihrer quirligen Art glaubte ich auch so etwas wie südamerikanisches Temperament erkennen zu können.
Doch mit dem Verstehen ihrer Sprache blieb das so eine Sache. Auch heftig angewandtes Lippenlesen, reflexartiges Lauterwerden meinerseits und und ein Verfallen in Pseudo-Kanaksprache halfen nicht, daß ich aus dem was sie sagte wirklich schlau wurde.
Das Problem war wohl, so vermutete ich anschließend, daß sie vor 40 Jahren nach Deutschland gekommen war und niemals richtig Deutschunterricht hatte. Sie konnte reden wie ein Wasserfall, schien alle deutschen Wörter zu kennen, sprach jedoch kaum eins korrekt aus und das alles tat sie auch noch mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs.
Soweit ich ihre Worte entschlüsseln konnte, hatte sie sich nach der Beendigung ihrer beruflichen Laufbahn als Reisebüroangestellte dem Studium an einer Art Trauerakademie gewidmet und legte mir auch Diplom der Hans Huckebein-Stiftung für angewandte Trauerpsychologie vor, in dem bestätigt wurde, daß Frau Rosalita de la Cruz sämtliche 26 Brieflektionen eines Fernlehrgangs ordnungsgemäß durchgearbeitet und die Endnote „gut“ erreicht hatte.
Nun hatte Frau de la Cruz ihrerseits eine Trauerakademie gegründet, das Amonitias-Trauerwerk, und wiederum eine Dame und einen Herrn ausgebildet, die mit ihr gemeinsam gerne trauernde Angehörige bei der Trauerarbeit, den sie „den Weg des Schmerzes“ nannte, begleiten wollten.
Hierzu hatte sie in der örtlichen Schnelldruckerei einige Faltblätter anfertigen lassen, die sehr hochwertig und edel wirkten, allerdings keinen Aufschluß über die Preisgestaltung gaben.
Ja, das sei so eine Sache, da orientiere man sich im wesentlichen an den Einkommensverhältnissen der Trauernden und natürlich sei man sozial eingestellt und führe viele Menschen absolut kostenlos über den huckebeinschen Schmerzensweg.
Schon am nächsten Tag stellte sich der Rentner Herr Ostermann bei uns vor. Ich hatte nämlich Frau de la Cruz zugesagt, es einmal mit ihrem Amonitias-Trauerwerk zu versuchen. Meine positive Entscheidung kann ich heute nicht mehr begründen, vielleicht lag es daran, daß ich Frau de la Cruz nett fand, vielleicht aber auch daran, daß sie versicherte, selbst nur die organisatorischen Abläufe des Trauerwerks zu koordinieren und die eigentliche Arbeit in die Hände des Theologen Ostermann und von Frau Sommerklee zu legen.
Herr Ostermann war etwa Einsneunzig groß, dürr, lange Arme und Beine, langer Hals und rothaarig. Seine etwas große Nase harmonierte, durchaus mit seinen sehr kleinen Maulwurfsaugen und am lustigsten fand ich, daß beim Reden die Ohrläppchen seiner großen Ohren wackelten.
Ich konnte gar nicht anders, als da immer wieder hinzusehen. Er hatte vor rund dreißig Jahren aus Liebe zu einer Frau das Priesterseminar abgebrochen, war dann Werkzeugmacher geworden aber leider dennoch ledig geblieben. Es gibt ja bekanntlich nur sehr wenige ledige Werkzeugmacher.
Neben seiner beruflichen Laufbahn hatte er sich verschiedenen Religionen zugewandt, empfand sich selbst als eine Art Universalgelehrter und mehr oder weniger selbsternannter Seelsorger.
Nein, aufs Geld komme es ihm nicht an.
Ich hakte nach und wollte genau wissen, wie hoch die Beträge sind, die die Angehörigen zu bezahlen haben, wenn sie die Dienste des Trauerwerks in Anspruch nehmen. Wieder erhielt ich nur eine ausweichende und wenig aussagekräftige Antwort. Das komme darauf an.
Eine gewisse Skepsis machte sich in mir breit, aber im Grunde war Herr Ostermann sehr nett und liebenswürdig. Ich nahm mir vor, bei passender Gelegenheit mal das Faltblatt an eine Trauerfamilie weiterzugeben und dann eventuell zu erfahren, ob der „Verein“ was taugte.
Dazu sollte ich dann auch ein oder zwei Wochen später Gelegenheit haben. Eine Frau war verstorben, nicht besonders alt, vielleicht so Mitte Vierzig. Ihr Mann, Realschulehrer, fragte mich im zweiten Beratungsgespräch ausdrücklich nach einem Seelsorger, der nicht „von der Kirche“ sei.
Mit „der Kirche“ habe er nämlich seit Jahren nichts mehr am Hut, am liebsten sei ihm ein Freidenker oder Freimaurer oder so, also auf jeden Fall jemand, mit dem er sich im Gespräch austauschen könne, das sei vielleicht auch für seine Kinder ganz gut.
Zuerst zögerte ich, doch dann überreichte ich ihm den Amonitias-Zettel, den er dankend annahm.
Am Tag darauf durfte ich die zweite seelsorgerische Kraft des Trauerwerks kennenlernen. Frau Glotz war eine ganz normale Frau vom Typ gemütliche Hausfrau und Mutter, die im Ruhestand ist, deren Kinder aus dem Haus sind und die sich jetzt zum Ausgleich um andere Menschen kümmerte.
An ihr fiel mir nichts Außergewöhnliches auf.
Sie sei mit dem Realschullehrer und seiner Familie verabredet und wollte bei dieser Gelegenheit das durch uns angefertigte Kondolenzbuch überreichen, das sei doch ein guter Einstieg ins Gespräch, dann könne man über die Trauerfeier sprechen und anhand der Einträge im Kondolenzbuch mal aufarbeiten, was die Verstorbene den einzelnen Trauergästen bedeutet haben mochte.
Die Idee gefiel mir und so gab ich ihr das Buch mit.
So, und nun?
Wer nun erwartet, daß ich schreibe, das sei alles Kokolores gewesen und Frau de la Cruz und Herr Ostermann und die Mutti seien alberne Scharlatane gewesen, der irrt.
Beim abschließenden Gespräch bedankte sich die Tochter des Lehrers, ebenso wie er selbst, für die wunderbare Betreuung durch Herrn Ostermann und Frau Glotz. Das seien ja so liebe und einfühlsame Menschen und sie hätten der ganzen Familie so viel Kraft und Auftrieb gegeben, daß man sich fragte, warum nicht jede Familie, egal ob jetzt in Trauer oder nicht, mal mit diesen netten Leuten spricht.
Was das denn gekostet habe, wollte ich wissen. Große Augen. Wie das kostet was? Nein, Herr Ostermann habe mal gesagt, man solle ihm gelegentlich mal 50 Euro geben, fürs Benzin und so, aber sonst koste das nichts. Gegen eine kleine Spende habe man nichts einzuwenden, aber da verbiete es der Anstand, danach zu fragen. Die Kontonummer stehe ja auf dem Faltblatt.
Der nächste Einsatz des Trauerwerks lief für mich dahingehend unbefriedigend, als daß ich nichts vom Ergebnis erfuhr. Ich kann also nicht sagen, ob auch diese Trauerfamilie zufrieden war.
So blieb die Erfahrung der Lehrerfamilie für mich eine ganze Weile eine Einzelerfahrung.
Erst ein halbes Jahr später, dieses Mal handelte es sich um eine alleinstehende Witwe, durfte ich wieder einmal hören, wie das so mit dem Trauerwerk lief.
Die Frau war begeistert, zuerst war Frau de la Cruz persönlich bei ihr und hatte sie mehrmals zum Friedhof gefahren, dann war Frau Glotz gekommen und die beiden Damen hatten lange und intensive Gespräche. Dieses Mal hatte Frau Glotz anhand eines Fotoalbums das gemeinsame Leben des Ehepaares aufgearbeitet und der Witwe so sehr viel Aufmerksamkeit gewidmet und Kraft gegeben.
Wie ich erkannte, lag die Methode wohl darin, die erste Trauer, den Verlustschmerz und die innere Leere mit Erinnerungen zu füllen. Die Menschen sollten das Andenken an den Verstorbenen im Herzen bewegen und nicht ausschließlich im Verstand. Auf dem Friedhof sollte des Menschens gedacht werden, daheim und unterwegs sollte es nur das ehrende Andenken sein.
Nach Frau Glotz muß Herr Ostermann die Witwe betreut haben.
Anders ist es nicht zu erklären, daß ich etwa zwei Jahre später erfuhr, daß diese Witwe den schlaksigen Seelsorger geheiratet hatte.
Ich sage es doch: Werkzeugmacher sind ganz selten ledig.
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TOM, du liebst das Wort, das mit den Amoniten, oder?
Herrlich geschrieben.
Man bloß gut, dass da nicht das Rüsselschwein …
Keine Angst. Nacht. Dunkel. Innenhof. Erledigt. 😉
Fleischfondue? Supergünstig?
Satzfragmente. Einzelwörter. Kurze.
Fantasie.
Krötengulasch surprise?
In wiederum 2 Jahren werden wir möglicherweise erfahren, dass die Witwe des schlaksigen Seelsorgers jetzt auch trauerbegleitet.
Bleibt die Unerkenntnis, wovon alle leben? Von ungenannten Spenden?
Schönes Wochenende
Luft und Liebe?
Schatz in der Gruft und Diebe?
??? Wirklich schon zu Ende??? Ich bin immer noch skeptisch wo der Haken ist. Haben die deren Konten erleichtert, das Tafelsiber gelutscht und geklaut??? Gibt es tatsächlich noch so altruistische Menschen (außer mir selbstverständlich 😉 ?
Ich versteh das mit den ledigen Werkzeugmachern nicht… 🙂
Ein regionales Sprichwort? Oder was uuuuraltes? (Gibt überhaupt noch Werkzeugmacher? Müssen die alle einen Trauschein vorweisen? Warum haben 24 Std Tankstellen Türschlösser?)
Zufällig ein mehr oder weniger glücklich verheirateter Werkzeugmacher hier der mich aufklären kann? Wie lange dauert es vom Lehrantritt bis ich meine Frau zugeteilt bekomme? Darf ich mitreden?
Na klar gibt es noch Werkzeugmacher! Das sind die Kollegen, welche Formen bauen, mit deren Hilfe Stahlbleche zu Autoteilen verformt werden, oder in denen flüssiger Kunstststoff z.B. zu Handy-Schalen oder Zahnbürsten erkaltet. Und es gibt natürlich die Werkzeugmacher, die Messwerkzeuge herstellen mit denen alle diese Dinge nachgemessen werden.
Das versteh ich! Danke 🙂
Allein warum die nicht ledig sind…? Verdient man da so gut?
Werkzeugmacher machen sich ihr Werkzeug selber, sie bauen sich den Putz- und Kochroboter selber.
Reicht das?
Im richtigen Betrieb verdient man da nicht schlecht, der Werkzeugmacher ist der König unter den Metallfressern. Allerdings ist da auch gerne Schichtarbeit usw angesagt.
Wer ist Frau Sommerklee? Ich dachte sie sollte, neben Herrn Ostmann mit der Gewürzgurke, die Verbliebenen betreuen und nicht der Klotz am Bein.
Huch da hatte ich tatsächlich erwartet dass die Erzählung in ne andere Richtung geht, aber das finde ich ja voll schön….
Mal wieder schwer herrlich, die Geschichte. Das mit den _ledigen_ Werkzeugmachern wurde ja zum Glück hier in den Kommis aufgeklärt.
Danke, Mr. Undertaker, dass Du allem aktuellen Wortstreichungsaktionismus zum Trotz trotzdem solch wunderbar umgangssprachliche und auch mir geläufige Passsagen einflechtest wie „Pseudo-Kanaksprache“. DANKE! Einfach weil man das so sagt zwischen Menschen, manchmal, ohne groß nachzudenken. Befreiend.
Immerhin: Beim Gugeln dieses Namens kommt man auf einen gleichnamigen Gewerbebetrieb. (U-Steuer Nr. vorhanden!)