„Nummer 46, Nummer T23 und Nummer 9, bittääääääää!“
Meine Damen und Herren, wir sind Augenzeugen der sonntäglichen Speisenverlosung im „Viet Food“, dem neuen vietnamesischen Restaurant-Imbiss an der Gutenbergstraße. Etwa 30 Hungrige haben sich eingefunden und warten darauf, daß ihre Nummern aufgerufen werden.
Aus praktischen Gründen sind die 174 verschiedenen Gerichte auf der Speisenkarte der Vietnamesen durchnummeriert, die Namen wie „Mi Terd nus“ und „Ma Ku La Tur“ oder „Sü SSau Er“ kann sich kein deutsches Hirn merken und so bestellt man entweder direkt im Restaurant oder vorher per Telefon das Gewünschte anhand der Nummern.
Da sich die um Restaurantchef Mi Nang gescharte Crew aber weder Tisch, Namen, noch Telefonnummern merkt, ruft man die fertiggewokten Speisen einfach anhand der Nummern aus.
„Nummer ainunakzisch, Teeeee Fimf un‘ doreiundoreisisch mitte Kanton-Sohs!“
Es geht zu wie beim samstäglichen Rentnerbingo in einem überhitzten Gemeindehaus irgendwo im Bible-Belt der südlichen Vereinigten Staaten. Rund dreißig wackere Baldesser stehen in fettgeschwängerter und duftüberladener Imbissluft und murmeln verzweifelt ihre Nummern vor sich hin: „T41, 66, 71, 125…“
Immer und immer wieder wiederholen sie das Mantra der Hungrigen, so als ob ihr Leben davon abhinge. Nur bloß die Nummern nicht vergessen.
Wird eine Zahlenfolge ausgerufen, ist es wichtig, ein möglichst gleichgültiges Gesicht zu machen, man ist ja Deutscher, man lässt sich ja nicht anmerken, daß man fast eine Stunde auf „quick und cheap“ gewartet hat, man will ja bloß nicht auffallen. Anderswo würden die nun reichlich mit Essen und Glück versorgten vermutlich vor Freude an die Decke springen, jubeln und vor Erleichterung strahlen, die anderen würden vielleicht Beifall klatschen. Aber wir sind nicht in Venezuela, nicht in Ungarn, wir sind überhaupt nirgendwo, wo Lebensfreude und Freude an Essen und Trinken was gilt, wir sind in Deutschland und da leidet man in aufgesetzter Gleichgültigkeit.
„Aktunviazisch!“
Eine Frau mit Tannenbaumfigur und zehentrennenden Badelatschen ruft „Hier“, tritt zwei Schritte vor und nimmt ihre Tüte gegen 6 Euro in bar in Empfang. Ihr Freude kann sie nur mühsam mit gespielter Langeweile und Gleichgültigkeit überdecken. Doch jeder sieht an ihrem aufgereckten Gang, was sie uns allen sagen will: „Seht her, ihr die ihr hungrig weiter warten müsst, ich habe mein in Zitronengras gewickeltes Huhn bekommen!“
Dann geschieht es: Kum Pay Nyong, die kleine, hübsche Frau an der Kasse und Essensausgabe ruft: „Fimfunsiebezisch un‘ eima kleine doreiunsessisch mitte Koko’sohß“ und gleich zwei Glückliche treten vor. Doch nur einer von ihnen kann der Richtige sein, nur einer kann das große Los gezogen haben. Wer war nun zuerst dran? Wer kommt zuerst und mahlt zuerst?
Der eine ist dunkelhaarig, klein, in Pitralon beduftet, Sportkleidung; der andere ist offenbar so wie er die Nacht verbracht hat am späten Nachmittag unter dem Laken hervorgekrochen. Wirres Gekräusel auf dem Kopf, ein viel zu knappes Muskelhemd und kurze, verfleckte Hosen und am ganzen sichtbaren Körper behaart wie ein Erdferkel vor der Mauser.
Dem Dunkelhaarigen ist’s bang um seinen Fortbestand, er lächelt einmal kurz und lässt dem halb schlaf- oder sonstwie trunkenen Berserker den Vortritt.
Alle grummeln, alle werfen dem Behaarten böse Blicke zu, jeder weiß, daß der erst ganz zum Schluss hereingekommen ist.
Mir ist das alles gleichgültig, ich kann mich beherrschen, ich habe mich unter Kontrolle und beginne die Platten an der abgehängten Decke zu zählen. Die Mauersteine des Raumteilers habe ich schon durch, es sind 1.761 Stück.
Niemals würde ich mich da vorne an der Theke zum Affen machen und irgendeine Regung zeigen.
Das würde schon meine fast 13jährige Tochter, die mit mir wartet, nicht erlauben, hatte sie doch vorher schon zu mir gesagt: „Aber Papa, nicht wahr, Du bist heute bitte mal nicht peinlich, ja?“
Ich und peinlich! Dieses Kind seiner Mutter ist oftmals an Frechheit nicht zu überbieten.
Nur noch drei Aufrufe muss ich abwarten, dann sind anderthalb Stunden hungrigen Wartens vorbei und endlich werden meine Nummern bei der Ziehung der Glücklichen berücksichtigt. Meine Tochter und ich treten artig vor, zahlen 16,50 und die Kleine nimmt die Tüte.
Gut, ich darf nicht peinlich sein, das habe ich meinem Mädchen versprochen. Aber ich kann es mir nicht nehmen lassen, meinen „Tanz“ aufzuführen, dreimal laut Jippiiiiieh zu rufen und den anderen eine lange Nase zu drehen.
Seht her, ich hab‘ meins schon!
Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:
Keine Schlagwörter vorhanden
Bestell das nächstemal eine Extra-Tüte mit. Die kann Tochterkind sich dann über den Kopf ziehen, wenn Papi wieder peinlich wird *grinsel*
Der Vietnamese muss ja echt gut sein, wenn man dort 1,5 h auf sein Essen wartet. 🙂 Dann ist ein kleiner Tanz auch ok.
„Ma Ku La Tur“.
Esspapier?
B. A.
Ich dachte, die Story gleitet in Richtung Behaarter-Verschlafener-kämpft-mit-unbehaartem-Schickgekleidetem ab, tut sie aber doch nicht und dann meinte ich, es gäbe wieder so eine dolle Kindergeschichte.
Mit Knatterschlange, wissen Sie.
Tom will uns die Cliffhanger wieder angewöhnen. Ich riech es schon.
… behaart wie ein Erdferkel vor der Mauser. Ich schmeiß mich weg!!! 😀
Für mich bitte die 4 8 15 16 23 42 und wehe ich muss länger als 108 min warten…
@ Franzi.
Das waren aber jetzt die Lottozahlen, oder?
B. A.
Ich mag ja am liebsten „Wa rma lhu nd“
So ein Zahlenlotto kenn ich nicht. Ich kenn aber ein Restaurant, wo die Nummer der Bestellung (nicht der Gerichte) ausgerufen wird. Viel sinnvoller so.
@ Big Al
Mit den Zahlen würd‘ ich nicht Lotto spielen sonst biste reif für die Insel 😉
Zum Thema: Das muss ja ein Laden sein, wenn man freiwillig so lange auf’s Essen wartet. Quasi Slow-Food!
Hmm, um den Lottocharakter etwas zu entschärfen, wäre es eventuell praktisch, zumindest die telefonisch eingehenden Bestellungen anhand des Namens zu identifizieren… Zumindest macht das die örtliche Pizzabude meines Vertrauens so.
PS: Bin ich der einzige, der gerade an den „City Wok“ einer nicht ganz unbekannten Kleinstadt in Colorado denken muss? 🙂
@ 9
Jau, so einen Laden gibbet hier auch. Ein Pizzabügler, der einem ein kleines Rumpel- und Leuchtkästchen in die Hand drückt. Blinkt und rumpelt es, kann man zum Futterfassen kommen.
Erinnert mich an die Koffieshops (nicht Coffeeshops!) hier: Bis der Vorgaenger seinen Double Ristretto Venti Nonfat Organic Chocolate Brownie Frappuccino Extra Hot with Foam and Whipped Cream Upside Down Double Blended geordert und empfangen hat, hab ich schon wieder vergessen, was ich wollte……… Bloed das!
So nen Döner-Laden haben wir hier in Stuttgart. Bei dem warte ich gern 90 Minuten, bis ich meine Fleischgefüllte Fladen-Tasche in die Hand gedrückt bekomme. Genau wie die anderen 100 Leute, die da jeden Mittag stehen. Allerdings werden da nicht Nummern aufgerufen, sondern die Polonäse geht von der Theke einmal fast um’s Haus…
Wenn mir einer blöd kommt, sag ich immer pass uff ich kann KiBoTu, die gucken dann immer…, und bei der Auflösung wird gelacht.
KiBoTu, KinderBodenTurnen
hey flamebeard du meinst das alaturka ?
das warten ist es wert 🙂
nicht in Ungarn <-- Na ich muss ja jetzt mal sagen: Bei uns gibt es genug zu Essen. Wir haben sogar so viel das wir es mit jedem Teilen, selbst wenn der Kühlschrank leer ist, ja sowas haben wir auch da.. stell dir das mal vor!
@ 13: Du hast zuviel in der Uncyclopedia gelesen. 🙂
Gutenbergstraße? Hier in Kiel? Ich muss los…
Ich mach mir jetzt einen richtig leckeren Kaiserschmarren … mit Apfelmus und viel Stauzucker … in 10 min. ist das fertig… ätsch !!!
@18: Für mich klingt das eher nach Starbucks
@UndertakerTom: Boah Papa! Du bist so peinlich! und dabei hat die Gute noch die Augen verdreht, gell?
@ Flamebeard (14)
Wo issn der? Als Vegetarier könnte frau ja den fleischfressenden Herrn in der Polonäse abstellen, und in Ruhe shoppen gehn? 😀
Mi-Terd-Nus bitte.
Die Sosse ist so schön sämig.
Meine Güte, der muss ja echt gut kochen, wenn der solch einen Zulauf hat.
Wir lassen bringen, hihi. Ist aber auch ein Problem, die Nummer richtig rüberzubringen 🙂
Oder wir gehen manchmal zum Chinesen, mit Buffet. Da war es mal so voll, dass es schon Geschimpfe gab, rund um das Buffet.
Pitralon ist kein Duftwasser, wusstet ihr das nicht? Aber angeblich wirkt es. Aber kein Mensch, wofür oder wogegen.
Es sollte natürlich heißen: Kein Mensch weiß…
So ähnlich geht es komischer Weise auch in dem neuen vietnamesischen Schnellimbiss bei uns zu….XD.
Kurios wird es…wenn es wie bei meinem Mann in der Kantine..eine vienamesiche Kassiererin und ein türkischer Koch aufeinander treffen:
Mitarbeiterin Mimi an der Kasse ruft zum Koch: „Ali, wakoschtan Flaaasch Zan Zan“
Ali zurück: „Mimi, redsch‘ Du Deutsch!“
Mimi: „Flaaasch Zaaan Zaaan!“
Ali: „Mimi, versteh isch kein Wort!“
Mitarbeiter: „Sie fragt, ‚was kosten die Fleischpflanzerln!“
und so nimmt ein schnöder Zahnarztbesuchswurzelbehandlungstag mit Dauerregen noch ein furioses Ende im Gelächter – danke Tom!
@flamebeard: Nähe Christophstr.? Versteh ich!
Ich kann jezt beruhigt schlafen gehen, gut Nacht!
#14 / Flamebeard:
Welche Dönerbude meinst Du denn?
@ Mirko, 21: Natürlich ist das eine Starbucks-Parodie. [url=http://uncyclopedia.wikia.com/wiki/Double_Ristretto_Venti_Half-Soy_Nonfat_Decaf_Organic_Chocolate_Brownie_Iced_Vanilla_Double-Shot_Gingerbread_Frappuccino_Extra_Hot_With_Foam_Whipped_Cream_Upside_Down_Double_Blended,_One_Sweet%27N_Low_and_One_Nutrasweet,_and_Ice]“Double Ristretto Venti Half-Soy Nonfat Decaf Organic Chocolate Brownie Iced Vanilla Double-Shot Gingerbread Frappuccino Extra Hot With Foam Whipped Cream Upside Down Double Blended, One Sweet’N Low and One Nutrasweet, and Ice“[/url] ist DIE Bestellung, die einmal Tumulte, Bürgerkriege und Hungersnöte verursacht hatte.
@14, Flamebeard:
Weil da die Polonäse einmal ums ganze Haus geht und ihr dabei alle so friert, wollt ihr Stuttgarter ja nun auch einen unterirdischen Bahnhof, damit es beim Warten wärmer ist. Oder?