Geschichten

Da ist nichts zu holen

Ein Kunde steht beim Discounter an der Kasse einer Kassiererin gegenüber

Also, wenn ich mal bei einem bestimmten Discounter einkaufe, sitzt da immer eine Frau an der Kasse, die mir noch einen Arsch voll Geld schuldet. Ich grüße immer freundlich, tue aber ansonsten so, als ob ich sie nicht erkennen würde…

Ich erinnere mich genau an diesen Sterbefall.
Die Frau kam damals zu mir ins Bestattungshaus und hat von Anfang an gesagt, dass sie kein Geld hat.

„Ich arbeite ein paar Stunden als Kassiererin bei P., habe vier Kinder und bin alleinerziehend. Jetzt ist unser Vater gestorben und der muss ja unter die Erde. Wir sind zu sechst, also meine Geschwister und ich. Ich kann mir das gar nicht leisten.“

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Sie hat dann mit mir einen Termin für den späten Nachmittag ausgemacht, bei dem auch ihre Brüder und Schwestern dabei sein wollten.

Um 17.30 Uhr waren zehn Leute im Beratungszimmer und alle warteten noch auf Rudi. Der reagierte aber weder auf SMS, noch auf Anrufe. Er hatte zwar gesagt, dass er kommen würde, blieb aber verschollen.
(Später habe ich erfahren, dass er in einer auf dem Weg liegenden Kneipe zu dringenden Gesprächen und wichtigen Erledigungen einkehren musste.)

Wir haben dann gemeinsam alles besprochen. Ich beriet die Familie sehr kostenoptimiert und hatte den Eindruck, dass mir alle auch sehr dankbar waren, dass ich ihnen da durch helfe.
Am Ende habe ich bei vielen Positionen einen Strich gemacht und denen also das eine oder andere schlichtweg geschenkt.

Alle machten den Eindruck oder sagten das auch, dass sie kaum das Geld haben, um über die Runden zu kommen. Hartz IV, viele Kinder, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Behinderung und wahrscheinlich im einen oder anderen Fall auch Arbeitsunlust waren die Gründe.

Der Vater bekam eine Seebestattung ohne Begleitung. Das kostet tatsächlich am wenigsten, weil kein Grab, kein Baum, kein nichts benötigt wird.
Keine Trauerfeier auf dem Friedhof, stattdessen eine Messe in der Pfarrkirche, bei der vorne ein Foto vom Verstorbenen steht.

Wir kamen tatsächlich alles in allem mit 1.200 Euro hin.

Und dafür hat unsere Kassiererin auch unterschrieben.

Am nächsten Tag kam Rudi. „So geht das ja nicht, mein Vater war im Verein, die Kegelbrüder machen einen Aufstand, wenn es keine Trauerfeier mit dem Sarg gibt. Das kommt gar nicht infrage!“

Ich wies ihn darauf hin, dass wir den Verstorbenen dann mit dem Sarg auf den Friedhof bringen müssen. Das kostet dann die Bestattungsgrundgebühr plus Kühlkosten.
Dann schlägt die Trauerhalle mit über 300 Euro zu Buche, der obligatorische Organist kostet 60 Euro, das Hin- und Herfahren kommt mit mindestens 250 Euro dazu…
Alles in allem wird das Ganze doppelt so teuer, einfach nur wegen der 20 Minuten in der Trauerhalle. Und Blumen und eine mögliche Traueranzeige in der Zeitung kämen ja auch noch dazu.

Ich habe unsere Auftraggeberin informiert und im Laufe des Tages gab es dann ein Riesentheater in der Familie. Am Ende setzte sich Rudi durch.

Tja, und es kam, wie es kommen musste, und wie Du Dir das bestimmt auch schon denkst: Alles lief ordentlich ab, Trauerfeier und Seebestattung waren vorüber, nur wollte dann keiner die Rechnung bezahlen.

Am wenigsten wollte Rudi etwas von der Bestattungsrechnung wissen. Er ließ seine Schwester im Regen stehen und begründete das damit: „Wenn ich mich nicht gekümmert hätte, wäre der Papa verscharrt worden wie ein Hund im Wasser. Ihr habt mich nicht mit einbezogen und deshalb ist es so gekommen.“

Die anderen Geschwister waren durchweg der Meinung, dass Rudi für die Mehrkosten einzustehen hätte. Sie hätten ja nur einer Seebestattung mit Messe zugestimmt.

Also blieb alles an unserer armen Kassiererin hängen.

Ich rief sie an, sie war auch mal bei mir im Büro, aber es blieb dabei: Die Rechnung wurde nicht bezahlt.
Auf einen Brief, in dem ich ihr Ratenzahlung anbot, überwies sie einmal 80 Euro, dann nie wieder was.

Ich habe lange mit meiner Frau darüber gesprochen. Sie meinte, Schnaps ist Schnaps oder so… Jedenfalls schickten wir der Frau einen Mahnbescheid. Keine Reaktion. Es folgte ein Vollstreckungsbescheid.
Der Gerichtsvollzieher, den ich von den Modelleisenbahnern kannte, winkte nur ab: „Ich fahr da hin, aber ich sag Dir jetzt schon, da ist nichts zu holen.“

Ehrlich gesagt, hätte ich der Frau nicht einmal einen Mahnbescheid geschickt. Ich bin zu weich… Aber meine Allerliebste hatte gemeint, dass dann die Geschwister vielleicht den Ernst der Lage erkennen und sich doch beteiligen.
Und sie hatte ja auch Recht. Wenn jeder 250 Euro in Raten bezahlt hätte, wäre zumindest so viel eingegangen, dass ich nichts draufgelegt hätte. Auf Gewinn kann man verzichten, gelieferte Waren muss aber auch ich bezahlen.

Danach hatte ich viel um die Ohren, habe mich nicht mehr gekümmert und so gingen dann die Jahre ins Land.
Der Vollstreckungsbescheid gilt noch.

Aber inzwischen ist so viel Zeit vergangen, dass ich mir blöd vorkäme, das Geld noch haben zu wollen. Vielleicht, wenn ich die Frau mal in einem Lamborghini sehe, aber nicht, solange sie ihren Lebensunterhalt beim Discounter an der Kasse verdient.

Vor drei Wochen kaufe ich im Blumenladen einen Strauß für die Allerliebste. Der Blumenladen liegt so schräg hinter dem Discounter. Ich lege gerade den Strauß in den Kofferraum, da sehe ich diese Kassiererin hinterm Discounter an der Rampe stehen und eine Zigarette rauchen.
Sie schaut in meine Richtung. Ich habe den Eindruck, dass es ihr unangenehm ist.
Also gehe ich einfach zu ihr hin. Als ich noch fast acht Meter entfernt bin, sagt sie: „Hallo, ich weiß, was Sie von mir wollen. Ich will Ihnen aber sagen, dass ich Ihnen sehr dankbar sind, dass sie im Laden noch nie was gesagt haben, das wäre mir unangenehm gewesen…“

„Hallo, Frau F., und ich wollte Ihnen sagen, dass Sie nichts zu befürchten haben. Die Sache ist vergessen und vorbei. Ist doch schon so lange her.“

Ich schüttele ihr die Hand, weiß auch nicht so recht, wie ich mit der Situation umgehen soll und sage einfach „Tschüss“.

Als im am Auto bin, höre ich, dass sie hinterhergerannt kommt. Sie weint. Das kann ich schon gar nicht haben – weinende Frauen…
Ich hab ihr dann noch eine Rose aus dem Strauß geschenkt und gesagt: „Vergessen Sie’s einfach. Das Leben ist auch so schon schwer genug, ohne dass wir uns das Leben noch schwerer machen müssen.“

Bildquellen:

  • discounter-kasse: Peter Wilhelm KI

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#Bruder #Geschwister #Kassiererin #nicht bezahlt #rechnung

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