Allgemein

Daniela und Beat -V-

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Die Situation belastet uns alle. In der Kühlkammer liegt Beat und wartet auf seine Verabschiedung und die beiden einzigen Personen auf dieser Welt, die diese wichtige Arbeit leisten können, stehen dafür nicht zur Verfügung.
Seine Frau Daniela ist im Institut für psychische Gesundheit von Professor Vogelsang und sein Vater Räto will mit ihm nichts zu tun haben.

Beat ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen und seine junge Frau Daniela konnte mit diesem plötzlichen Weggang nicht zurecht kommen.
Deshalb hatten wir für sie eine schrittweise Verarbeitung des ganzen eingeplant und wollten sie langsam Abschied nehmen lassen.
Das Unausweichliche und Unabänderbare, den Tod, hatten wir ihr anhand Beats Leiche recht drastisch vor Augen geführt. Einfach damit sie begreifen konnte, daß ihr Beat auch wirklich tot ist.
Wie oft habe ich es schon erlebt, daß Menschen plötzlich aus dem Leben gerissen wurden und die Angehörigen diesen Verlust einfach nicht wahrhaben wollten. Selbst angesichts der Leiche verweigern sie es ihrem Verstand, es zu begreifen und sagen dann tatsächlich: „Das ist nicht meine Mutter“ oder „Diesen Menschen kenne ich nicht“.

Sie verdrängen die schreckliche Wahrheit und ein harsch geäußertes: „Jetzt stellen Sie sich mal nicht so an!“, wie ich es mal im pathologischen Institut von einem Kripobeamten hörte, hilft da gar nicht weiter, denn die Leute verweigern ja nicht absichtlich die Zusammenarbeit, sondern es ist eine innere Schutzfunktion, die da greift und sie selbst vor Schaden bewahrt.

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Bei Daniela hat es geholfen, daß sie Beat sehen konnte. Fast so wie wir ihn von der Unfallstelle geholt hatten, jedoch ohne die schlimmsten Verletzungen, die meine Mitarbeiterin Sandy geschickt kaschiert hatte.
Dann trat ich mit Daniela einen Prozess an, bei dem sie sich Stück für Stück von ihrem Mann verabschieden sollte.
Das schien auch zunächst sehr gut zu funktionieren, jedoch fanden wir sie dann mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Aufbahrungszelle und sie kam ins Krankenhaus.

Eine Erste Hilfe-Ausbildung haben bei uns nach bestimmter Betriebszugehörigkeit alle Mitarbeiter. Diese Ausbildung bietet die Berufsgenossenschaft an und ich suche immer mal wieder aus dem Seminar- und Lehrgangsangebot etwas für meine Mitarbeiter aus. Die freuen sich, weil sie einen oder zwei Tage nicht arbeiten müssen und ich bekomme im Laufe der Zeit immer besser qualifizierte Mitarbeiter.
Aber natürlich geht es uns wie jedem Laien, der als Ersthelfer tätig werden muß. Zunächst überwiegt der Schrecken und man kann sich fast an nichts mehr erinnern und weiß nicht was zu tun ist.

Dennoch haben wir Daniela gut und schnell versorgt, was auch nötig war. Als Apothekerin wußte sie natürlich, wie man die Schnitte an den Handgelenken setzen muß, damit es eine schnelle Wirkung hat.

Nach dem Aufenthalt im Krankenhaus, wo sie erst einmal recht lange bewußtlos war, wurde sie dann am übernächsten Tag sehr rasch in das IPG zu Prof. Vogelsang gekommen.
Jetzt steht es in den Sternen wann wir die Trauerfeier für Beat machen können.

Räto, das ist Beats Vater, ist heute Morgen hier bei uns erschienen und brachte völlig überraschend ein Paar Schuhe für seinen Sohn.
Nur schnell abgeben und schnell wieder verschwinden…
Doch ich ließ ihn nicht, sondern bat ihn freundlich zu mir ins Büro, ließ mir die Schuhe aushändigen und betrachtete sie. Es sind nagelneue und sicherlich nicht billige Herrenschuhe.

„Er muß ja was an den Füßen haben“, sagte Räto und ich nickte und sagte: „Sicher.“
Dann schaute ich Beats Vater in die Augen und schwieg ihn einfach an. Der Mann ist ja nicht einfach so über Nacht auf die Idee gekommen, seinem toten Sohn ein paar Schuhe zu kaufen. Warum nur Schuhe? Warum kein Anzug? Nein, das ist eine Art Ersatzhandlung, die zeigt, daß er doch ein gewisses Interesse für den Verstorbenen hat.

Mir kommt eine Idee, eine einfache Idee, die es aber wert ist, ausprobiert zu werden: „Kommen Sie, dann schauen wir mal, ob sie ihm passen!“

Ich achte gar nicht darauf, ob Räto etwas sagt oder etwas sagen will, schon bin ich an ihm vorbei und schaue mich auch nicht um, ob er mir folgt. Ich weiß, daß er ganz verdutzt geschaut hat und ich höre ihn hinter mir schwer atmen, aber ich gehe deshalb nicht langsamer; bloß jetzt den Sog nicht schwächer werden lassen.

Tür auf, Licht an und während die Trennwand der Kühlung hochfährt und die Kälteanlage etwas klappernd abschaltet, trete ich einfach beiseite, stelle die Schuhe vor Beats Sarg am Fußende auf den Boden und gehe am Sarg vorbei nach hinten, schiebe den Vorhang etwas weg, der die hintere Tür verdeckt und gehe hinaus. Ich überlege kurz, was ich jetzt machen soll. Vielleicht nehme ich einfach ein Set mit Schminkutensilien und pudere Beat noch einmal. Irgendetwas Unverfängliches, Alltägliches sollte ich tun, damit Räto warten muß und so bei seinem Sohn sein muß.
So nehme ich die kleine Schminkmappe, öffne die schwere Kühlraumtür, die in der hinteren Aufbahrungsraumwand ist und bleibe wie angewurzelt stehen. Dann gehe ich zwei Schritte rückwärts, ziehe den Vorhang zu, schließe die schwere Tür und gehe durch den hinteren Gang und eine andere Aufbahrungszelle wieder in die Halle.

Räto kniete neben dem Sarg seines Sohnes, beide Hände auf der Kante des Sarges, den Kopf auf die Brust herabgesunken und ich glaube er weinte leise.

Es vergeht eine Viertelstunde und ich will gerade gehen und nach Räto sehen, da kommt er auch schon langsamen Schrittes aus dem Seitentrakt. Ich stehe auf, will den Mann in mein Büro führen und ihm ein heißes Getränk anbieten, es war ziemlich kalt im Aufbahrungsraum.
Doch wie ich Räto entgegengehe, breitet er plötzlich seine Arme aus, ergreift mich, drückt mich an sich und weint mir in den Kragen.
„Danke“ ist alles was er sagt, dann gewinnt die Contenance Oberhand und er löst sich von mir, nimmt meine Hand, schüttelt sie mit festem Druck und sagt wieder: „Danke, vielen Dank!“

Eine Stunde lang haben wir dann beieinander gesessen und Räto war gelöst, so wie ich ihn zuvor noch nicht erlebt hatte. Der wichtigste Satz, den er sagte, war: „Ich habe doch nur noch ihn gehabt und jetzt muß ich auch ihn gehen lassen, ohne ihm alles sagen zu können.“

Ich rede mit ihm und es gelingt mir, ihn dazu zu bringen, zu sagen: „Nun ist Daniela das Einzige was mir geblieben ist. Ich fahre jetzt sofort zu ihr. Ich glaube ich habe viel wieder gut zu machen.“

Daß er zu dieser Erkenntnis gekommen ist, darauf brauche ich mir nichts einzubilden. Der Knoten muß irgendwann im Verlaufe des vorherigen Tages geplatzt sein, die Schuhe waren ein Zeichen dafür. Ich habe ihm nur die goldene Brücke gebaut und jetzt muß er über diese Brücke gehen. Die ersten Schritte hat er jedenfalls gemacht.

Diese Geschichte ist auch im Podcast Nr. 25 erschienen

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

#beat #daniela

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(©si)