Geschichten

Das Antlitz des Herrn geschaut

Frau Birnbaumer-Nüsselschweif sitzt mir gegenüber. Nein, sie ist nicht in unserem Bestattungshaus. Da würde ich sie nur noch hineinlassen, wenn sie steif, kalt und so richtig tot wäre.
Wir alle wissen, aß diese Frau ein übersteigertes Geltungsbedürfnis hat und bei allem das verspricht, daß man nächstentags vielleicht in der Zeitung steht, ist Frau Birnbaumer-Nüsselschweif mit dabei.
So gesehen könnte sie ja auch ein bißchen sterben, ich garantiere, daß sie dann auch an einem der nächsten Tage in der Zeitung steht.

Aber diesen Gefallen mag mir die Dicke mit dem halsverschlingenden Doppelkinn nicht tun und ist stattdessen zur ehrenamtlichen Friedhofsrenoviererin aufgestiegen.
Das muß man sich einmal vorstellen! Da kassiert der „Friedhofsbetrieb“ für die Bestattungen und Grabstellen eine Menge Geld und kann sich dann die dringend notwendige Renovierung der Friedhofskapelle nicht leisten.
Der Putz bröckelt in größeren Fragmenten von der Wand, überall verwandelt sich die weiße Farbe in blättriges Gefrumsel und es riecht -auch ohne anwesende Leiche- nach Moder, Schimmel und totem Elch.
Die Steinplatten des Fußbodens haben sich gegeneinander verschoben und stellenweise gehoben, so daß einerseits die Trauergäste gerne auch mal straucheln, stolpern und beinahe stürzen und andererseits der in die Halle gefahrene Sarg gefährlich hopst und poltert, auf das man Angst hat, er könne vom Sargwagen hüpfen.
Das wäre natürlich die Katastrophe schlechthin! Der Sarg hüpft, kippt und fällt zu Boden, der Deckel platzt auf und zu den Klängen von „You never come back“ purzelt der Verstorbene der ergriffen lauschenden Familie vors tränennasse Gefüß und dann faääkt in die vor Staunen oder Schreck aufgerissenen Mäuler kübelweise Putz von der Decke.

Mei, mei, mei… Nein, das darf nicht passieren und so hat sich, ganz ähnlich den schulzimmerrenovierenden Eltern, eine Art sanierender Bürgerwehr auch für die Friedhofskapelle gebildet. Unter dem Vorsitz der Gauwartin Birnbaumer-Pinselschwenk sollen nun also die nicht Schulinvolvierten und eher dem Morbiden Verhafteten in ihrer, durch das Rentnerdasein ohnehin üppigeren, Freizeit die Kapelle wieder herrichten. Eine Fachfirma hat in den letzten Wochen den Fußboden gerichtet. Das war komplizierter aber die einfacheren Arbeiten wie Anstreichen soll nun die Schweif’sche Pinseltruppe machen.

Werbung

Und wie das so ist, veranstaltet der Chef der Friedhöfe und Gräber, der Verwaltungsdirektor Hobelmann, gemeinsam mit zwei Presseleuten, den Friedhofsgärtnern, Steinmetzen, Bestattern und der Pinseltruppe einen so genannten runden Tisch.
Der ist eckig, also der Tisch, nicht Herr Hobelmann. Der Tisch steht in der Wagenhalle des Friedhofs.
Gemeinsam soll man klären…

Ja was eigentlich?

Wofür sind wir alle da?

Es kann doch nicht so schwer sein, daß die Stadtverwaltung oder der Eigenbetrieb Friedhöfe nun ein paar Eimer und Pinsel bereit stellt und die Pinselwilligen dann mit dem anfangen wofür Farbe und Pinsel für gewöhnlich genommen werden.
Was sollen wir alle dabei?

Wir sollen unsere Ideen und Vorstellungen sagen und „uns einbringen“.
Wie? Mich einbringen? Die bringen mich da noch früh genug ein!

Na ja, ob wir da noch so Ideen hätten?

„Rosa“, kräht ein kleines Männlein, der zu den Steinmetzen gehört: „Rosa find ich schön, jetzt aber nicht so ein schwules Pink sondern mehr so ein beruhigendes Rosa, so mehr an der Decke.“

„Rosa ist Kacke“, sagt einer der Gärtner im hiesigen Dialekt und meint: „Weiß, einfach nur weiß und dann ist’s gut.“

Der Mann vom früheren Reichsbund ruft: „Das war immer schon weiß und das wird auch nicht geändert. Wo kämen wir denn hin, wenn wir alle 50 Jahre was Neues machen würden?“

Frau Birnbaumer-Nüsselschweif schreibt die verschiedenen Vorschläge auf und will mich dann ärgern und fragt mich nach meiner Meinung: „Und Sie, Sie haben nichts dazu zu sagen?“

„Ich? Och nö. Nö, wirklich nicht. Wissen Sie, Frau Birnbaumer-Nüsternbläh, ich bin vollauf, felsenfest und absolut davon überzeugt, daß diese kulturell sehr anspruchsvolle Aufgabe bei Ihnen und nur bei Ihnen in den allerbesten Händen ist. Wenn sich jemand mit Pinseln in den Händen alter Männer auskennen könnte, ja dann fällt mir wirklich kaum ein besserer Kandidat ein als Sie.“

So ganz sicher, ob das nun eine Verbalinjurie war oder nicht, ist sich die Wabbeltante nicht, nickt also nur und drückt sich ein gequältes Lächeln aufs pausbäckige Gesicht.

Dann holt sie etwas aus und erzählt von der bedeutenden Wichtigkeit der Aufgabe und ich höre deutlich zwischen den Zeilen heraus, daß sie in Wahrheit überhaupt gar keine Lust auf irgendwelche Renovierungsarbeiten hat. Sie will nur mal eben in die Zeitung und dann soll die Sache schnell vorüber sein.
Bloß keine Arbeit und es darf auch bloß nicht lange dauern, sich gar über Wochen hinziehen.

„Die will doch schon nächste Woche Vorsitzende beim VDK werden und da sagt man unter den Mitgliedern, daß man nur jemanden wählt, der nicht in vielen anderen Ämtern ist, damit er sich richtig widmen kann“, flüstert mir ein älterer Steinmetz durch seinen grauen Bart zu. Das bestätigt mich in meiner Meinung. Die will nur etwas Aufmerksamkeit und dann nix wie weg zur nächsten Stelle wo fotografiert wird.

Der Verwaltungsdirektor bittet uns nun zum Ortstermin in die Kapelle.
Dort sieht es etwas nach Baustelle aus. Der frisch gemachte Boden ist noch mit Sand und Dreck überzogen, an den Wänden stehen so fahrbare Gerüste.
Man sieht weiße, abblätternde Farbe, sonst nichts.

Ich schaue ganz angestrengt nach oben, deute dann auf einen braunen Streifen, den eingedrungene Feuchtigkeit hinterlassen hat und murmele: „Na, wenn das mal keine mittelalterlichen Fresken sind, die da zu Tage kommen.“

Einige der Anwesenden schauen mich irritiert an, andere schütteln nur den Kopf ob so viel Unkenntnis, aber der Friedhofsdirektor ist sofort alarmiert. „Was? Wo? Fresken? nein!“

„Doch“, sage ich: „sieht das da oben rechts nichts aus wie das Antlitz unseres Herrn?“

„Was? Wo? Ui, da muß dann erst das Denkmalsamt her!“ ruft der Verwaltungsdirektor, der schon sieht, daß nun doch das Stadtsäckel für eine richtig gute Renovierung geöffnet werden muß.

Haha! Das dauert! Egal ob da nun Fresken sind oder der Zufall irgendetwas hingeschimmelt hat, jetzt wird das Amt erst einmal schauen, prüfen und entscheiden und so lange ist die Birnbaumer an diesen Posten gefesselt.

Soll ja auch ordentlich werden, oder?


Ich habe noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels für Sie zusammengestellt, damit Sie sich besser orientieren können:

Keine Schlagwörter vorhanden

Geschichten

Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 8 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 11. September 2012

Lesen Sie doch auch:


Abonnieren
Benachrichtige mich bei
16 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen
11 Jahre zuvor

Wunderbar böse, Herr Bestatter, ich bin entzückt von dieser Geschichte.

„Tränennasses Gefüß“, da muss man erst mal drauf kommen! 🙂

anna
11 Jahre zuvor

…und ich dachte schon, B.-N. würde der Kapelle jetzt einen eigenen Monchhichi-Jesus hinrenovieren.

Winnie
11 Jahre zuvor

Dann ist sie jetzt die Birnbaumer-Fesselschweiß. Die wird sich aber ärgern. Sowieso hat die nichts im VdK zu suchen, olle Schrippe.

Georg
11 Jahre zuvor

Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein,
mit glatten Köpfen, die des Nachts gut schlafen.
(Cäsar)

William Shakespeare –

Wenn wohlbeleibte Männer schon wenig stressen,warum sollte es bei wohlbeleibte Damen anders sein.
Diese Person ist wohl nur die Ausnahme von der Regel

🙂

11 Jahre zuvor

Juchu, B-N ist wieder da!

11 Jahre zuvor

Gemein – aber gut. 😀

strangement
11 Jahre zuvor

Wie riecht denn ’n nasser Elch?

Reply to  strangement
11 Jahre zuvor

Der Geruch liegt so zwischen feuchtem Biberschwanz und brennendem Ferengi.

Reply to  Undertaker_TOM
11 Jahre zuvor

Die armen Ferengi.

Aber ist das nicht ein Verstoß gegen die 320. Erwebsregel: Nie mit einem Disruptor spielen, wenn du vorher in Dilithium gebadet hast?

Osiris
Reply to  Tante Jay
11 Jahre zuvor

Es gibt nur 285 Erwerbsregeln. Und bei Ferengi in der Friedhofskapelle, seien sie tot, verwest oder getrocknet und in Stückchen geschnitten, werden sich die Renovierungsarbeiten noch lange hinziehen. Im Vergleich zu Forschern des Paranormalen sind Denkmalschützer völlig harmlos.

ein anderer Stefan
Reply to  Osiris
11 Jahre zuvor

Denkmalschützer sind grundsätzlich harmlos – ich sprech da aus Erfahrung…

Wolfram
Reply to  ein anderer Stefan
11 Jahre zuvor

Ihr Deutschen habts gut – hier in Frankreich sind die ne Pest!

Yeti
11 Jahre zuvor

Kannst du nicht mal eine Birnbaumer- Rüsselschweiß- Gedächtnis- Kaffeetasse in den Webshop stellen. Halt mit der alten Fährse drauf und nem Spruch wie „25 Ehrenämter haben noch keinem geschadet!“ 🙂

Funeralis-Fan
11 Jahre zuvor

Nicht, dass der Ort noch Wallfahrtsort wird! Mit einer Kapelle mit dem Gesicht des Herren. Würde allerdings den Tourismus und damit die Steuereinnahmen ankurbeln.

Astrid
11 Jahre zuvor

Harharhar…schön reingeritten 😀

Ma Rode
11 Jahre zuvor

O-Ton: Wenn sich jemand mit Pinseln in den Händen alter Männer auskennen könnte, ja dann fällt mir wirklich kaum ein besserer Kandidat ein als Sie.

Ein fein angedeuteter Senilos*x mit Frau Hirnhauer-Schlüsselkeif, womöglich noch als Domina …. denkt denn hier keiner an die Kinder?




Rechtliches


16
0
Was sind Deine Gedanken dazu? Kommentiere bittex