Menschen

Das Arschloch

Wie wird der Mund einer Leiche verschlossen?

Als Herrn Warneckes Frau vor etwa 12 Jahren gestorben ist, habe ich ihn das letzte Mal gesprochen. Seitdem habe ich ihn nur hin und wieder mal von weitem gesehen und wenn ich ganz ehrlich bin, dann bin ich darüber auch ganz froh.
Schon als Kunde unseres Bestattungshauses hatte sich Ferdinand Warnecke eher als schwieriger Kunde gezeigt, der an allem etwas herumzumäkeln hatte und hinterher auch immer an den Rechnungen etwas auszusetzen hatte und uns monatelang auf die Bezahlung warten ließ.

Immer? Ja, immer. Denn mit dem Tod seiner Frau hatte Herr Warnecke innerhalb von zwei Jahren den fünften Sterbefall über uns abgewickelt. Das ist sehr viel, wenn man bedenkt, daß im Durchschnitt normalerweise immer etwa zehn Jahre vergehen, bis man wieder einen Angehörigen zu Grabe tragen muss.

Erst waren es seine Eltern gewesen, die in recht hohem Alter beide an Krebs gestorben waren und diese Sterbefälle hatten wir routiniert und unprätentiös erledigt. Dann war er schon zwei Monate später wieder bei uns, dieses Mal in Begleitung seiner Frau, und musste seine 23-jährige älteste Tochter zu Grabe tragen, die mit einem Motorroller verunglückt war.

Werbung

Das war an sich schon eine dramatische Sache, weil bei so jungen Menschen die Trauerhalle naturgemäß immer besonders voll ist. Wir wissen ja: Will man, daß ganz viele Leute zur Beerdigung kommen, dann muss man früh sterben.
Besonders seine Frau litt sehr unter dem frühen Tod ihrer Tochter und weil Bruder Hein eben nicht der aufräumende Ausputzer ist, der freundlicherweise die Alten und Kranken abholt, sondern ein Sadist erster Güte, der seine Sense hinschwingt, wo immer es ihm gerade beliebt, haute er gleich sechs Monate später schwungvoll in die selbe Kerbe und nahm den Warneckes auch noch den jüngeren Sohn, der auf einer Skifreizeit an schweren Kopfverletzungen starb, die er sich beim Zusammenstoss mit einem Pistenfahrzeug zugezogen hatte.

Seine Frau soll über dieses Schicksal schwermütig geworden sein, war lange in Behandlung, auch mehrmals „weg“ und ständig in Therapie. Aber alles das hat nicht genug geholfen, um sie davon abzuhalten, eines Tages mit einer Überdosis Schlaftabletten ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Wie gesagt, da war es das letzte Mal gewesen, daß ich Herrn Warnecke gesprochen hatte.
Natürlich hat das Schicksal diesem Mann übel mitgespielt und er hat auch allen Grund, verbittert zu sein, aber die Art und Weise, in der er mit mir und meinen Mitarbeitern umgegangen ist, die hat uns allen nicht gefallen und ehrlich gesagt, haben wir damals über ihn gesagt: „So ein Arschloch!“

Das klingt hart und ist auch sonst nicht so unsere Art. Aber er hatte die Angewohnheit, an jeder durchaus berechtigte und sinnvolle Frage immer noch eine Satzendung anzuhängen, die einen dazu brachte, in der Hosentasche die Faust zu ballen.
Er fragte beispielsweise Manni: „Haben Sie denn meine Frau schon abgeholt?“
Damit wäre die Frage gestellt gewesen und Manni hätte vernünftig antworten können.
Aber Herr Warnecke saß da, das Gesicht vor lauter Arroganz regelrecht in die Länge gezogen und fragte:
„Haben Sie denn meine Frau schon abgeholt, oder sind Sie zu dämlich, meine Terminvorgaben zu erfüllen?“
Zu meiner Frau hatte er gesagt: „Na gut, wenn Sie meinen, daß Sie aus Ihrem Geschreibsel hinterher klug werden, dann soll mir das egal sein. Ich allerdings würde mir das mal richtig vernünftig aufschreiben, vor allem wenn ich des Lesens und Schreibens nur gerade so eben mächtig wäre.“
Und der Friedhofsverwalter musste sich anhören: „Ich sage es Ihnen auch gerne noch dreimal, wenn Sie nicht in der Lage sind, diese einfachen Informationen in ihrem Schädelhohlraum abzulegen.“

Okay, man hat natürlich als Bestatter Verständnis dafür, daß sich die Leute, die zu einem kommen, merkwürdig verhalten, man rechnet es ihnen an, daß sie sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befinden und oftmals nicht wirklich Herr ihrer Sinne sind.
Aber dennoch haben wir doch eher Leute bei uns, die sich hilflos geben, sich von uns leiten und begleiten lassen und nicht solche Stinkstiefel, wie den Warnecke.
Ein bißchen konfus darf man sein, man darf sich auch etwas dämlich anstellen und manche Sachen siebzehnmal fragen, man darf sich hinterher bei der Rechnung auch nicht mehr daran erinnern, daß man das alles wirklich bestellt hatte – das darf man alles. Aber man ist doch schließlich trotz allem Kunde und Vertragspartner und hat uns doch den gleichen Respekt entgegen zu bringen, wie man es auch von uns erwarten darf.

Herr Warnecke hatte so eine Art, die Augen zu schließen, während er den Kopf fast in den Nacken legte, wenn er diese Gemeinheiten absonderte. „…oder können Sie das auch nicht?“ war so eine seiner Standardfragen, wenn er einen Satz beendete. Gerne nahm er auch: „das dürfte selbst für jemanden wie Sie doch nicht zu schwer sein.“

Also alles in allem ein Mann, dem das Schicksal übel mitgespielt hatte, der aber trotzdem von mir und meinen Mitarbeitern als schwieriger Kunde eingestuft worden war.

Aber man täuscht sich ja oft in den Leuten. Oder man könnte auch sagen, daß diese gemeine Art, mit uns umzugehen, vielleicht wirklich nur aus der jeweiligen Situation eines aktuellen Sterbefalls heraus entstanden war.
Wie Herr Warnecke sonst so war, wie er sein übriges Leben verbrachte, das konnten wir natürlich nicht wissen.

Wir wussten nur so viel, daß Warnecke Teilhaber eine großen Stahlbaubetriebes war und sein Name oft auf den großen Schildern an Baustellen zu lesen war. An Geld schien es ihm nicht zu mangeln, das hatte ich damals schon gesehen, als ich ihn anlässlich des Todes seiner Frau in seiner Villa besucht hatte.
Aber sonst war uns über ihn nichts bekannt.

Jetzt ist Warnecke tot, liegt kalt und steif unten in unserem Behandlungsraum auf dem Edelstahltisch und Manni hatte, gleich nachdem er ihn wiedererkannt hatte, gesagt: „Na, so isser wenigstens ruhig.“
Manni hat nicht vergessen, wie Warnecke damals zu ihm gewesen ist.

Doch die Umstände, wie es dazu gekommen ist, daß Herr Warnecke am Heiligen Abend, genauer gesagt in der Nacht von Heiligem Abend auf den ersten Weihnachtstag gestorben ist, die sind dann doch wieder berichtenswert.
Daß er überhaupt zu uns gebracht worden ist, das liegt daran, daß er eine Visitenkarte von uns im Portemonnaie hatte, auf der er hinten notiert hat: „Im Todesfall kümmern die sich um mich. Notar Wiemers anrufen!“
Notar Wiemers feiert auch Weihnachten und sein Anrufbeantworter sagt aber, daß er das Band am zweiten Feiertag abhören wird. Ich gehe davon aus, daß Herr Warnecke dort Verfügungen bezüglich seines Todes hinterlegt hat.

Und daß er überhaupt zu einem Bestatter gebracht werden musste, liegt einfach daran, daß er in dieser Nacht gegen halb zwei morgens in seinem Auto einen Herzinfarkt bekommen hat, dem er erlegen ist.
Und was macht der Inhaber eines mittelständischen Stahlbauunternehmens in der Weihnachtsnacht Heiligen Nacht draußen im Auto?

Nun, das hat uns am ersten Feiertag eine junge Kriminalbeamtin berichtet, die kurzfristig ermittelt hatte, ob mit seinem Ableben alles in Ordnung gewesen war. Aber da gab es nichts zu deuteln, er hatte schon am Nachmittag über heftige Herzschmerzen geklagt und war sogar in der Klinik gewesen, hatte sich aber einer stationären Aufnahme widersetzt und nachdem er Medikamente bekommen hatte, war er auf eigene Verantwortung wieder gegangen.

Die junge Polizistin erzählte uns, daß sie herausgefunden habe, daß Herr Warnecke seit dem Tod seiner Frau wohl jedes Jahr einen ungeschmückten Weihnachtsbaum in seinem großen Wohnzimmer aufgestellt hatte und wochenlang für alle seine Lieben Geschenke gekauft hatte. Dutzende von Päckchen, für seine Eltern, seine Frau und seine Kinder lagen am Heiligen Abend unter dem Baum und dann hatte er wohl jedes Jahr alle Geschenke in den Kofferraum seines VW-Phaeton gepackt und bei der Bahnhofsmission, bei der Heilsarmee und am illegalen Campingplatz unter der Autobahnbrücke an die armen Leute verschenkt.
Soviel sie ermittelt habe, seien das im wesentlichen warme Kleidung, gute Lebensmittel, Bargeld und so allerlei Schmuck gewesen. „So an die fünf- bis zehntausend Euro jedes Jahr. Das hat er alles in einem Heft notiert.“

Falls wir also nicht zu blöde dafür sind, werden wir diese Woche einen echten Weihnachtsmann beerdigen, sofern unser bißchen Hirn dazu ausreicht.

Hashtags:

Ich habe zur besseren Orientierung noch einmal die wichtigsten Schlagwörter (Hashtags) dieses Artikels zusammengestellt:

Keine Schlagwörter vorhanden

Lesezeit ca.: 10 Minuten | Tippfehler melden | Revision:


Hilfeaufruf vom Bestatterweblog

Das Bestatterweblog leistet wertvolle Arbeit und bietet gute Unterhaltung. Heute bitte ich um Deine Hilfe. Die Kosten für das Blog betragen 2025 voraussichtlich 21.840 €. Das Blog ist frei von Google- oder Amazon-Werbung. Bitte beschenke mich doch mit einer Spende, damit das Bestatterweblog auch weiterhin kosten- und werbefrei bleiben kann. Vielen Dank!




Lesen Sie doch auch:


(©si)