Geschichten

Das dicke Ende

Sinnlos farbwechselnde Ampeln flackern bunte Lichter in den nassen Asphalt. Außer mir sind nur wenige Menschen unterwegs. An der Filiale eines Billigbäckers klappert ein Mann scheppernde Rollwagen über den Gehweg zu seinem Lieferwagen. Ein paar Straßen weiter zieht eine dicke Frau mit Lockenwicklern und Bademantel eine pissende Töle an der Hauswand entlang.

In der Rheinstraße steht eine rauchende Nutte neben ihrem pink beleuchteten Wohnwagen. Mehr als Stehen kann sie wohl auch in diesen hochhackigen Stiefeln nicht. Laufen ausgeschlossen, zumindest über längere Strecken.

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An der einzigen noch geöffneten Tanke befreie ich einen in Plüsch gepressten PVC-Hasen aus China aus seinem Regal, ich muss irgendeinen Scheiß kaufen, meine Kleine hatte heute Geburtstag und ich hatte nix. Heute? Ich grinse in mich hinein, nee, gestern! Es ist halb vier am Morgen und ich komme aus Frankenthal zurück.

Der Tag davor

Als Bestatter in der Großstadt gelten andere Regeln als bei den vielen zufriedenen und satten Dorfbestattern, die Platzhirsch Nummer Eins in der fünften Generation sind. Du hast nicht einfach so deinen fast schon fest kalkulierbaren Grundumsatz. Um die paar tausend Toten kämpfen hier zehn, zwölf Bestatter, darunter auch die Pietät Eichenlaub, die inzwischen nahezu alle Leichen vom städtischen Krankenhaus und aus den meisten Seniorenheimen abholt. Wie das bloß kommt?

Früher reichte es, gute Arbeit abzuliefern, freundlich, nett und unauffällig zu sein, und einmal im Jahr für die alten Leute einen bunten Nachmittag mit Vorsorgevortrag zu organisieren. Dann noch vor Weihnachten einen großen Adventskranz für den Frühstücksraum spenden; und schon warst Du einer von den Bestattern, die vom Heim immer mal wieder gerufen wurden.

Wie es heißt, sind heute alle kleinen Gefälligkeiten verboten, das wäre ja Korruption. Dafür kann Heimleiter Friedrichs jetzt erstaunlicherweise immer zweimal im Jahr nach Thailand fliegen. Frau Simons vom Guten Hirten, so munkelt man, habe ihren schönen neuen BMW „in der Lotterie gewonnen“, ja, in der Eichenlaub-Lotterie.
Beweisen kannst Du sowas nicht.

Trotzdem, das Geschäft läuft gut. Mal sitzt Du mit Deiner ganzen Mannschaft drei Wochen komplett auf dem Trockenen. Existenzängste sind Dein ständiger Begleiter und der Briefträger will einfach nicht aufhören, immer mehr Rechnungen ins Haus zu bringen. Die Zahlen auf dem Konto lassen Dir die Wahlfreiheit, Löhne zahlen oder Rechnungen schieben. Das Geld ist knapp? Nö. 50.000 tummeln sich auf dem Konto und trotzdem musst Du rechnen, allein 24.000 sind jeden Monat für Löhne fällig…
Und der ganze andere Kram muss ja auch bezahlt werden, Strom, Gas, Wasser, Lieferanten, Steuer, Mieten, Pacht, Fahrzeugkosten…
Am Ende des Monats bekommst Du dann von der Dicken mit der Schweinenase, die beim Steuerberater für uns zuständig ist, deine Papiere und stellst erneut fest, dass so mancher Angestellter diesen Monat mehr verdient hat, als du selbst.

Doch heute war gut. Heute war echt gut. Der Liebe Gott hatte es gnädig mit uns gemeint und uns zehn Tote ins Auftragsbuch getrommelt. Zehn! Das war seit langem der Rekord. Hab ich heute gesagt? Nee, eigentlich schon gestern, doch irgendwie ist für mich immer noch derselbe Tag. Es war schon morgens um halb vier losgegangen. Mir wird bewußt, dass das vor 24 Stunden war.
Eine heulende Frau wollte, dass sofort jemand kommt, ihr Mann ist gestorben. Wir also da hin, der Mann wiegt drei Zentner, hat sich vollgemacht und liegt halb eingeklemmt zwischen Klo und Badewanne. Wie hat der Arzt da bloß die Leichenschau gemacht?
Manni und ich geben alles. Trotzdem bin ich froh, dass die Frau in ihrer Küche bleibt, denn so ganz würdig ist der Vorgang nicht, wie wir den dicken Mann da rausziehen. Das Runtertragen ist eine Herausforderung, ich schwitze wie ein Schwein, mein Kopf ist hochrot, und auch Manni stöhnt und ächzt. Wir müssen dreimal absetzen und durchatmen, dann haben wir ihn endlich im Auto. Manni fährt den Mann weg, ich bleibe da, um bei der Frau das Beratungsgespräch zu machen.
Zweieinhalb Stunden später bin ich wieder im Büro, trinke meine zwölfte Tasse Kaffee und rauche die x-te Zigarette.

Bin ich Hellseher, bin ich Jesus? Wächst mir Gras aus den Taschen oder habe ich Löcher in den Händen? Woher soll ich wissen, dass inzwischen schon wieder jemand angerufen hat? Jedenfalls reagiere ich gereizt, als die Allerliebste mich fragt, ob ich nicht bald mal nach Heidelberg fahren will. Das ist sowieso so ihre Art, immer anzunehmen, dass ich auch alles weiß, was sie weiß. Sie hat das Gott weiß wem erzählt und bildet sich dann immer ein, ich wäre das gewesen.
Und rotzig sein kann die kleine badische Hexe mit ungarischen Wurzeln auch noch. Sie schneidet einem das Wort ab, dreht einem die Worte im Mund herum und hat, wenn’s drauf ankommt eine Lust zum Streiten, das ist einfach fürchterlich. Als Mann bekommst du da niemals Recht, niemals. Und da bleibt dir keine andere Möglichkeit, als schon dann mit dem Zuhören aufzuhören, wenn die zum Sprechen auch nur einatmet.

So gesehen liegt es vielleicht doch an mir, dass ich vom Heidelberger Sterbefall nichts mitbekommen habe. Jedenfalls habe ich schlechte Laune als ich da hinfahre. Und die Leute in Heidelberg haben auch schlechte Laune. „Das haben wir uns aber anders vorgestellt. Wir haben ja schon vor einer Stunde angerufen. Sowas nennen Sie prompt? Was denken Sie sich eigentlich dabei? Meinen Sie, wir haben unsere Zeit gestohlen? Wie können Sie sich mit so einer Arbeitsmoral bloß am Markt halten? Na, wo Sie jetzt schon mal da sind…“
In einem abgekauten Stück Fingernagel von mir wäre genügen Eloquenz vorhanden, um die Saftärsche in den Senkel zu stellen. Aber letztlich ist auch Saftarschgeld Geld.

Der Tote liegt im Krankenhaus, den müssen wir erst nach dem Wochenende holen. Die Saftärsche nerven mich und ich kann nicht verhehlen, dass ich ganz bestimmt nur gezwungen freundlich zu denen war. Nichtmals ein Glas Wasser bieten die mir an, und ich bekomme auch keins als ich danach frage. Einer von denen sagt zwar: „Jutta, bring dem Mann mal Leitungswasser, der hat Durst!“, aber Jutta steht nur auf, bleibt dann in der Küchentür stehen und meint: „Mal eben aufpassen, der kommt jetzt mit den Särgen, da zocken die einen gerne ab.“

Ich sach ja: Saftärsche.

Kaum wieder im Auto ruft mich Sandy an. Es ist so gegen neun Uhr und es sind zwei weitere Sterbefälle angenommen worden. Mein Unternehmerherz lacht. So macht der Beruf Freude und die Aussicht auf den Umsatz spült auch die Saftärsche aus meinem Magengeschwür.

Den nächsten Sterbefall in Worms erledigt Sandy, die anderen Leute kommen zu uns ins Haus. Die sind von der netten Sorte. Arme alte Oma, die ihren Mann betrauert, liebe Enkelkinder, die sie begleiten. Alles einfach, schlicht und günstig, nur 45 Minuten und die sind wieder weg.

Ich sitze am Rechner und tippe die ganzen Aufträge ein. Das sollte man zügig nach dem Gespräch machen, damit man Kleinigkeiten nicht vergißt, auch keine Großigkeiten.
Das macht Spaß. Ich habe eine so tolle Maske programmiert, da geht das Eingeben fast wie von selbst und man kann fast keine Fehler machen. Ich muss mir mal eine andere Maus kaufen, mein rechter Arm schläft ein, die Finger sind ganz taub. Außerdem wird es mir schummerig, die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen. Die Müdigkeit! Das liegt nur an der Müdigkeit. Ich rufe Antonia, die bringt mir noch einen und noch einen und noch einen Kaffee. „Chef, ich mach mal das Fenster auf, sie haben die Bude sowas von vollgequalmt!“, meint sie.

Mittagszeit, ich freu mich aufs Essen. Hab mir Pfannekuchen gewünscht. Vielleicht ist der Rauch ja verflogen und die Allerliebste hat mir welche gemacht. Danach werde ich einen Mittagsschlaf machen. Muss sein, mir ist einmal kurz schwarz vor den Augen gewesen. Ich habe eindeutig zu wenig geschlafen.

Doch es kommt anders. Unfall auf der Autobahn. „Drei ex“, sagt der Polizist am Telefon: „Packt Ihr die alle ein, oder soll ich noch ’nen anderen rufen?“ Nee, bloß nicht, wir holen alles.

Mit zwei Wagen fahren wir auf die Autobahn, vor einer Auffahrt werden wir von der Polizei rausgewunken: „Ihr fahrt hinter uns her, wir fahren von hier aus auf der falschen Seite über die gesperrte Autobahn zur Unfallstelle. Die haben wieder kaum Rettungsgasse gebildet.“

Feuerwehrleute halten Tücher aufgespannt hoch, auf der gegenüberliegenden Seite stehen tatsächlich welche und filmen mit dem Handy. Ein Polizist ruft denen was zu. Die antworten mit: „Verpiss Dich, Du Saubulle!“

Es ist eine körperlich anstrengende Schufterei. Wir stehen wegen der vielen Rettungsfahrzeuge weiter weg und müssen Tragen und Särge weit schleppen. Es ist psychisch belastend, von den drei Toten ist nur noch einer am Stück.

Ich platze fast vor innerer Hitze, mein Arm ist vom schweren Schleppen schon wieder ganz taub, ein Feuerwehrmann schüttet mir Mineralwasser aus einer Plastikflasche über den Kopf: „Komm, kühl Dich mal ab!“ Und ein Bulle klopft mir jovial auf den Bauch: „Auch zu viel auf den Rippen, was?“

Ich denke an zu Hause, ich denke an meine Couch. Ich will mich hinlegen. Nur ein Stündchen.
Doch daraus wird nichts. Zwei Omas, zwei Opas, einer davon dement, Helga und Mimi und Ellen, von der ich bis heute nicht weiß, wie die überhaupt mit uns verwandt ist, alle sind sie gekommen und feiern mit einem Dutzend mir vollkommen unbekannter Mütter und Kinder den Geburtstag meiner Tochter.
Scheiße!

Vorsicht, liebe Lesenden und Lesendinnen! Keine Vorurteile bitte. Ich falle in dieser Beziehung aus jedem nur erdenklichen Klischee heraus. Ich vergesse keinen Hochzeitstag, keinen Geburtstag und auch sonst keine Festlichkeit. In der Beziehung bin ich vorbildlich. Natürlich haben meine Frau und ich uns schon lange vorher Gedanken über geeignete Geschenke für die Kleine gemacht. Und genau die hat sie auch bekommen. Aber es ist so ein Tochter-Papa-Ding, dass sie von mir immer noch was anderes bekommt, was nur vom Papa und nur für die Josie ist.

Die Omas haben Likör getrunken und sind redselig. Der eine Opa erzählt von der Flucht und der Demente will sich immer Wasser ins Ohr schütten. Die Kinder spielen im Gang irgendwas, was es erforderlich macht, ständig laut zu schreien und das Mutterrudel schnattert über Erziehungsfragen und neue Ernährungsproblematiken. Scheinbar werden ja alle Kinder heute mit Laktoseintoleranz, ADHS und mindestens 23 Allergien geboren.

„Jonas, nicht so schnell, Du weißt doch, Dein Asthma!“

Ach ja, Asthma hatte ich vergessen, haben die auch alle. Na ja, jetzt vielleicht nicht alle, aber die, die kein Fleisch essen dürfen und nie die Hosentaschen voller Regenwürmer hatten. Aber Kinder unter Ritalin sind halt „führiger“ und die Psychologen wollen später ja auch von was leben.

Mein Kopf ist kurz vor dem Platzen, solche Kopfschmerzen hatte ich noch nie. Ein Hämmern tief drin im Kopf, schmerzhaft und ich sehe Blitze vor den Augen.
Trotzdem, ich will ein toller Papa sein, spiele mit den Kindern eine Runde Eierlaufen, klinke mich beim Sackhüpfen aus, singe noch ein Karaokelied mit den Kleinen und helfe dann, dem Dementen das Wasser aus dem Ohr zu schütteln und bin eine Viertelstunde charmant zu den Hubschrauberinnen. Ellen und die Omas kriegen auch ihre Aufmerksamkeitseinheiten ab.

Ich geh runter in den Keller, da ist gerade niemand. Kühle, Ruhe und der Geruch von Holz. Ich setze mich im Mannschaftsraum auf einen Stuhl, lege die Füße auf den Tisch und bin immer kurz vor dem Einschlafen, bis mich wieder ein schlagender Schmerz im Kopf wach macht. War einfach zu viel heute, muss nur etwas ausspannen, Ruhe haben, mal für mich sein.

Haben die anderen Bestatter in der Stadt ihre Telefonhörer daneben gelegt? Warum rufen alle heute bei uns an? Okay, das wollte ich immer so, jetzt isses so, und da muss ich jetzt durch, Umsatz winkt!

Sandy ist mir die größte Hilfe im Betrieb. Sie ist eine Universalbestatterin. Tiptop in der Werkstatt, 1a bei der Totenversorgung und bei den Kundenberatungen beliebt und auch umsatzstark.
Hört doch auf! Ein Bestatter ist immer auch Kaufmann. Keiner in der Branche macht das wegen Jesus oder aus caritativen Gründen. Da kann mir was erzählen, wer will. Das ist ein Beruf, bei dem man am Ende des Monats Geld bekommen will. Und wie bei allen Leuten gilt da „viel Geld ist gut, mehr Geld ist besser“.
Nein, wir zocken niemanden ab, wir bedrängen die Leute nicht, wir schwatzen denen auch nichts auf. Das ist Unternehmensphilosophie. Da hält sich auch jeder dran.
Aber Umsatz ist Umsatz und wenn der stimmt, dann freut sich meine Krämerseele.

Sandy nimmt mir einiges ab, auch an diesem Tag. Doch am Abend muss ich sie unterstützen. Messiewohnung, von der Eingangstür bis zum hintersten Zimmer nur Müll, verwesender Müll mit Tieren drin. Der Tote ist auch so… Also jetzt kein Müll, um Himmels Willen. Aber eben verwesend, schwarz von Fäulnis, mit Tieren drin und ausgelaufen. Der Gestank und das Ungeziefer sind kaum auszuhalten. Mich juckt es am ganzen Körper. Von dem Gestank wird mir wieder kurz schwarz vor den Augen, Sandy rempelt mich an. „Was’n los?“, fahre ich sie an. „Chef, Du wärst gerade beinahe umgekippt!“ „Quatsch, ich bin hier nur über den Scheiß gestolpert.“

Ein ganz junger Typ von der freiwilligen Feuerwehr hat sich ne Gasmaske aufgesetzt und schreitet am Toten zur Tat. Mutig und einsatzbereit! Danke dafür. Danke an all Euch Feuerwehrmänner und -frauen da draußen, Ihr macht das toll!
Dank seiner Hilfe schaffen wir es, das verwesende Etwas in einen Leichensack zu bugsieren und seine Kollegen helfen dabei, den Sack auf die Trage zu legen und rauszubringen.

Sandy fährt in die Firma und macht dann Feierabend, ich muss noch nach Frankenthal, der letzte Fall für heute, denn ab dann hat Antonia Telefondienst. Sie kann zwar nur Beratungen bei uns im Büro machen, aber sie ist auch sehr gut darin, die Leute auf den nächsten Tag zu vertrösten. Leichen abholen können unsere Männer.

Das ist mein Tag und jetzt ist es kurz vor vier Uhr morgens, bis auf die kurze Auszeit im kühlen Keller hatte ich kaum eine Minute Ruhe. Gegessen habe ich nur ein Stück Geburtstagskuchen und zwischendurch einen Bratwurstfettschlauch mit Ketchup aus der Hand.

Irgendwie muss die Wurst nicht gut gewesen sein. Mir stößt es schon seit ’ner Weile auf, mir ist übel und die Scheißkopfschmnerzen wollen auch nach drei Ibuprofen nicht aufhören. Wird Zeit, dass ich ins Bett komme…

Das Bett. Das Bett ist anders. Ich liege so hoch! Seit wann haben wir Leuchtstoffröhren im Schlafzimmer? Was piepst da die ganze Zeit? Ich raffe nicht, was los ist und schlafe wieder ein.

Als ich wieder wach werde, steht ein Alien neben meinem Bett. Es dauert eine Weile, bis ich begreife, dass das die Allerliebste ist, mit grünem Schutzkittel, Plastikhaube auf dem Kopf und Schutzmaske an.
„Beam mich hoch, Scotty!“, will ich scherzen, doch aus meinem Mund kommt nur „Gemalbumm“.

Das Schlimmste ist, wenn Ärzte in Anwesenheit des Patienten mit den Angehörigen über den Zustand und die Prognose reden, so als sei der Patient ein Haustier oder ein unmündiges Frettchen. Aber auf diese Weise erfahre ich, dass ich nie wieder das eine kann, nie wieder das andere werde tun können, und dass jetzt erstmal Verlegung von Intensiv auf Normal kommt, dann Reha und dann in einem halben bis dreiviertel Jahr könnte man mal weitersehen…

Vier Wochen später sitze ich wieder an meinem Schreibtisch. Ich kann reden, herumlaufen, spüre beide Arme und Beine und fühle mich wohl. 15 Kilo hat mich das Krankenhaus gekostet, das tut gut.
Ja, ich bin unvernünftig, ich habe mich mal wieder benommen wie ein unzerstörbarer Ostpreuße sich so benimmt, und mich selbst auf eigene Verantwortung aus dem Krankenhaus entlassen. Was von alleine kommt, geht auch von alleine wieder! So!

Aber ich hatte Zeit im Krankenhaus, Zeit zum Nachdenken. 225 Abende im Jahr bin ich nicht zu Hause. Leicht nachprüfbar in meinem Handy. Neben der Arbeit noch die Arbeit als Vorsitzender des örtlichen Gewerbevereins und Mitglied im Landesvorstand einer Mittelstandsvereinigung…

Ich hatte eine Entscheidung gefällt. Als ich sechs Jahre alt war und den ersten Tag in meinem Leben zur Schule gehen musste, hatte uns die Klassenlehrerin Fräulein Dybowksi gefragt, was wir denn eines Tages mal von Beruf sein wollten. Damals war die Welt noch eine unaufgeregtere. Einige Kinder wollten das werden, was ihre Eltern waren, doch einige wollten auch Cowboy werden, um Indianer zu erschießen, ein anderer wollte Negerkönig werden und ein Mädchen wollte sogar ein Hitler sein.
Zu Eurer Beruhigung: Keines dieser Kinder ist das geworden, was es sich damals gewünscht hat. Alle haben was Anständiges gelernt. Aber die haben auch alle Regenwürmer in der Tasche gehabt und keine Allergien gehabt.
Ich bin auch nicht das geworden, was ich damals werden wollte: Ein Bücherschreiber.

Doch, jetzt, nach einigen Wochen Krankenhaus will ich genau das werden, das steht bombenfest.

Tja, und so isses dann auch gekommen.

Bildquellen:
  • hase: Bild von redmupfe auf Pixabay


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Die Geschichten von Peter Wilhelm sind Erzählungen und Kurzgeschichten aus dem Berufsleben eines Bestatters und den Erlebnissen eines Ehemannes und Vaters.

Die Geschichten haben meist einen wahren Kern, viele sind erzählerisch aufbereitete Tatsachenerzählungen.

Die Namen, Geschlechter und Berufe der erwähnten Personen sind stets verändert.

Lesezeit ca.: 20 Minuten | Tippfehler melden | Peter Wilhelm: © 19. Juni 2021

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Elena
3 Jahre zuvor

Mit das Beste, was Du je geschrieben hast.

Maddin
3 Jahre zuvor

Großartig. Tiefer Verneigung vor soviel Sprachkunst und Selbstehrlichkeit.

NIXE
3 Jahre zuvor

Was war es denn? Schlaganfall oder Herzinfarkt? Liest sich stellenweise sehr beklemmend.

Keksi98
Reply to  NIXE
3 Jahre zuvor

Auf einer Buchlesung wo wir mal waren hat er gesagt Anzeichen eines Schlaganfalls. Aber er hat es runtergespielt. Stand auch so mal in der Wikipedia glaub ich. Aber da löscht einer immer alles raus.

Marschbegleiter
3 Jahre zuvor

Undertaker Tom, wie er immer war. Er lebt noch! Ich hatte es fast schon aufgegeben, daran zu glauben. Aber das Warten hat sich gelohnt. Bitte ab und zu mehr davon.
Hab irgendwo gelesen, dass Du jetzt in Rente bist. Das sei Dir gegönnt. Aber bitte lass uns nicht ganz hängen, wir lieben Deinen unverwechselbaren Stil.
Ich bin da süchtig nach. Und meine „Allerliebste“ übrigens auch.

Katrin
3 Jahre zuvor

Als langjährige „stumme“ Mitleserin dieses Weblogs finde ich diesen Text in erster Linie befremdlich.

Keksi98
3 Jahre zuvor

Düster, stimmungsvoll und es zieht einen in den Bann. Klasse!

Dr. Fried
3 Jahre zuvor

„zieht eine pissende Töle an der Hauswand lang“, GROSSARTIG!!!!

Der kleine Tierfreund
3 Jahre zuvor

Du lässt mich- wie immer- sehr nachdenklich werden.

Lowlander
Reply to  Der kleine Tierfreund
3 Jahre zuvor

Respekt – gab es zu diesem Zeitpunkt das Blog bereits oder war das davor?

Konni
3 Jahre zuvor

Oh ja, keiner von uns ist unzerstörbar. Alles Gute Peter.

Ingrid Hoerner
3 Jahre zuvor

Ich habe es bis zum Ende gelesen und finde Deinen Schreibstil großartig.

Allerdings gibt es auch Passagen, wo ich doch ein bisschen ins Stutzen kam.

Ich hatte in meiner Zeit, als ich auch noch Verstorbene versorgt habe, das Glück, es nur mit „normalen“ Todesfällen zu tun zu haben.

Aber es war eine sehr lehrreiche Zeit für mich, die ich nicht missen möchte und die mir auch 3 Bandscheibenvorfälle eingebracht hat.

Wie gut, dass das jetzt schon einige Jahre her ist, denn scheinbar werden die Menschen immer schwerer und leider gibt es eben für Bestatter keine Begrenzung mit max. 30 kg, wie das bei Paketdiensten ist.

Es sei Dir gegönnt, Dich jetzt zurückzulehnen und den Rest des Lebens so zu gestalten, wie es Dir gefällt!

Nobody
3 Jahre zuvor

Wie dichteten die „weisen Typen“ aus Köln seinerzeit: „Doch es ist nicht die Zeit, die man nicht hat, sondern die man sich nicht nimmt. Oder einfach verliert.“
Also ruhig etwas weniger arbeiten und mehr leben… und sich vorzugsweise mit Menschen umgeben die einem gut tun, Familie, Freunde…

Sabine B.
3 Jahre zuvor

@ NIXE
Hört sich nach Schlaganfall an.

Ruthe hat für das Evangelische Klinikum Bethel mal ein Video zum Thema gemacht:
https://www.youtube.com/watch?v=SmZZLGnbWxc

NIXE
Reply to  Sabine B.
3 Jahre zuvor

ja, sehr gut, das kann sich jede/r merken

Bowler
3 Jahre zuvor

Für einen kurzen Moment wollte ich fast „Katrin“ folgen- dann kam die Erinnerung und vorher die Wortmeldung vom „Marschbgleiter“- dem ich voll und ganz zustimme!Endlich mal wieder ein echter, direkter, klarer „Undertaker“-Text! Vielen Dank sagt der Bowler aus Sachsen!

Melancholia
3 Jahre zuvor

Lieber Peter,
ich frage mich auch gerade, ob dieser Text eine verspätete Einleitung zum von mir sehr geliebten Bestatterweblog ist. ?

Wie auch immer -Ich wünsche Dir, der Allerliebsten und Euren beiden Großkindern alles erdenklich Gute.

Melancholia / A.

Claus Rudi
3 Jahre zuvor

Ja, tatsächlich schön mal wieder einen Text vom Original-Undertaker zu lesen. Aber man merkt, dass hier nach Jahren und vielen dunklen Gedanken das Ende dieses Lebensabschnitts noch einmal rekapituliert wird – das macht den Text ehrlich und interessant. Im Gegensatz zu den anderen Lesern würde ich mich aber freuen, wenn es nicht immer ganz so klischeehaft zugeht, wenn es nicht immer die Frau mit Bademantel und Lockenwickler samt „Töle“ und nicht immer die „Nutte“ mit klar – hochhackigen Stiefeln ist.
Ein sonst immer allwissender Chef, der alles regelt, hier auch am Ende seiner Kräfte zu sehen, ist interessant.
Ich hoffe vom Herzen, Dir geht es gut! Was macht es mit einem, wenn man ein langlebiges Familienunternehmen zu machen muss? Wie geht es einem, wenn man plötzlich das Geld ganz anders verdienen muss? Wie ist es, wenn nach Medienhype und Fernsehauftritten es plötzlich ruhig um einen wird?
Das sind alles private Fragen und ich kann verstehen, wenn Du das Alles für Dich behalten willst. Aber spannend, spannend fände ich es.

Katzenlady
3 Jahre zuvor

Schade, dass man in der heutigen Zeit nicht endlich mal auf die Bezeichnung „Neger“ (wie in Negerkönig) verzichten kann. Und ja, mir ist durchaus bewusst, dass es im Prinzip „Schwarzer“ heißt, aber ich, die selbst afroamerikanische Wurzeln hat, lasse mich nicht als Neger bezeichnen – dafür ist dieses Wort zu negativ besetzt. Seit Jahren schaue ich immer mal wieder hier rein und weiß, dass die Texte auch mal etwas „kerniger“ werden – Alltagsrassismus (und die Verwendung des Wortes Neger gehört für mich durchaus dazu) mag ich allerdings nicht mehr unterstützen, weil zu oft erlebt.




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